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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 68 (Juli 1911)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Zeitgeschichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0095

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£inzelbezug 15 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

JAHRGANG 1911 BERLIN SONNABEND JULI 1911 NUMMER 68

Inhalt: h. W. und TRUST: Zeitgeschichten / Die Hilfe / Der Entwortete / Bubenstreiche / Der Kenner / SAR PELADAN: Die höchste Tugend /
WILLIAM WAUER: Der Regisseur / WALTER HEYMANN: Berliner Sezession 1911 IV / GOLO GANGI: Dr. S. Friedlaender: Friedrich Nietzsche /
HERMANN KOCH: Biosphor

tig, inich einen Komponisten in Anführungsstri-
chen zu nennen. Er erklärte mir zwar wieder-
holt in Gegenwart von zahlreichen Personen,
dass er meine Musik überaus schätze und dass
er mir alle seine gesammelten und in Zukunft
noch abzuschreibenden Libretti stets zuerst zur
Kompositon anvertrauen würde. Nun, der Mensch
kann sich irren. Die Presse hat ihn überzeugt,
und ich werde seine Libretti nicht mchr vcrtc-
nen dürfen. Da ich ihm aber doch auf jeden
Fall hätte die Worte streichen müssen und in
der alten Literatur ziemliche Kenntnisse besitze,
werde ich mich zu trösten wissen. Möge er in
seinem zukünftigen Leben das goldene Beispiel
der Pantomime befolgen: Schweigen.

H. W.

Bubenstreiche

Der Herr Pfemfert aus der Nassauischen
Strasse 17 kann sich noch immer nicht darüber
beruhigen, dass Karl Kraus ihm die Erlaubnis
zum Nachdruck seiner Arbeiten entzogen hat.
Als Ersatz für das fehlende Material bringt er
in jeder Nummer seines Blättchens Angriffe ge-
gen diesen grossten schriftstellerischen Künst-
ler unserer Zeit. Er veranlasst, gute und schlech-
te unkritische Dichter und Schriftsteller zu kri-
tischen Aeusserungen. Ein Doktor Anselm Ru-
est „entlarvt“ Kraus als Feuilletonisten, und Max
Brod sieht in ihm einen „mittelmässigen Kopf“.
Karl Kraus hat es überhaupt mit dem gesam-
ten deutschen Schrifttum verdorben, seitdem er
seine Broschüre „Heine und die Folgen“ er-
scheinen liess. Es ist durchaus begreiflich, dass
alle Heineepigonen entsetzt sind, wenn man ih-
nen den Vater erschlägt. Heine aber dadurch
zu verteidigen, dass man Kraus beschimpft,
kann weder etwas für Heine und noch weniger
gegen Kraus bedeuten. In meiner demnächst er-
scheinenden Broschüre Goethe, Nietzsche, Kraus
habe ich den Fall Heine ausführlich behandelt.
Ich muss es mir an dieser Stelle versagen, weil
ich mit einer analytischen Abhandlung viele
Nummern des Sturms füllen müsste, was gegen
den Sinn einer Zeitschrift wäre. Herr Ruest
kann sich aber beruhigen: Gegen ihn polemi-
siere ich nicht. Seine Ausführungen sind wirk-

Zeitgeschichten

Die Hilfe

Ein Herr Erich Köhrer springt mir bei.
Einmal, indem er in der Zeitschrift Das Theater
völlig verschweigt, dass zu der Pantomime Die
Vier Toten der Fiametta eine Musik gehört.
Ich nehme an, dass er im höheren Auftrag sei-
ner Verleger, mit denen ich mich ja noch immer
in munterer Prozessfehde befinde — das Reichs-
gericht wird sich jetzt mit dieser Angelegen-
heit beschäftigen — dass er also im höheren
Auftrag der Herren Verleger geschwiegen hat.
Hingegen findet er in der Wochenschrift Zeit
im Bild, dass meine Musik garnicht ganz
so schlimm ist:

Sie artet zwar zum Schluss in ein wildes
Toben aus, aber in der ersten Hälfte ist sie
nicht ohne Melodik und rhytmischen Schwung
und beweist, dass Walden vielleicht einmal
eine ganz brauchbare Tanzoperette schreiben
kann. Er braucht hinter Fall, Lehar, Lincke
und Holländer absolut nicht zurückstehen.
Bei Wauer wurde seine Musik ganz hervor-
ragend mimisch verkörpert von Rosa Valetti,
die eine sehr starke Könnerin ist, und vor
allem von Wauer selbst, der sich als ein Pan-
tomimist von ungewöhnlicher Gestaltungskraft
und Ausdrucksfähigkeit erwies.

Ich bin sehr glücklich, dass ich nach An-
sicht des Herrn Köhrer nicht einmal hinter so
berühmten Kollegen von der anderen Fakultät
zurückzustehen brauche. Auch zu einer brauch-
baren Tanzoperette will ich mich verstehen, nur
mache ich die Bedingung, dass kein Herr von
der Presse, und sei es selbst Lothar, mir das Li-
bretto dazu schreibt. Sonst ist der Herr Köh-
rer mit mir garnicht einverstanden. Er warnt
William Wauer väterlich, sich „in die Gesell-
schaft jener Kaffeehausbesucher zu begeben, die
man die Marodeure der Literatur nennen kann
und die den Grössenwahn in Erbpacht genom-
men haben.“ Es ist ein wahres Unglück, wenn
der Mensch den Kaffee dem Biere vorzieht. Viel-
leicht versuchen es die Bierhausliteraten ein-
fflal mit einem nicht alkoholischen Getränk. Viel-

leicht gibt es ihnen die Möglichkeit, die Läh-
mung ihrer Gehirnfunktionen im Lauf der Jahr-
zehnte zu beseitigen. Vielleicht nimmt es ihnen
den Grössenwahn über Kunst zu schreiben, sich
auf ein Gebiet zu begeben, auf dem sie höchstens
als Marodeure niedergeschossen werden. Und
in seinem Biernebel sah Herr Köhrer alle „jene
Erscheinungen im Zuschauerraum, die beim nor-
malen Menschen ein diingendcs Bedürfnis nach
Seife, Paquin und Zacherlin hervorrufen“. Rene
Schickele bemerkte einmal über die Schreiber die-
ses uralten und blöden Journalistenwitzes, dass
diese Herren, die Seife selbst erst zu einer Zeit
entdeckt haben, wo sie schon Krebse essen lern-
ten. I c h bin der Ueberzeugung, dass Herr
Köhrer noch nicht beim Krebsessen angelangt
ist. Er möge es sich gesagt sein lassen, dass
nichts gefährlicher ist, als mich anzuerkennen.
„Die Musik hat Anlass zu Kritiken gegeben,
wie sie in Berlin in dieser Schärfe noch nicht
erlebt worden sind. Die liebenswürdigsten nann-
ten sie blutigsten Dilettantismus. Herr Walden,
der jeden Kritiker, der nicht Mitglied des Clubs
der Grössenwahnsinnigen ist, Schmock nennt,
darf sich darüber nicht wundern“. Ich wunde-
re mich auch nur über Herrn Köhrer Er verdirbt
sich die Kollegen und ich verzichte auf ihn. Nichts
ist gefährlicher, als neutral zwischen den Partei-
en zu leben. Die Liste des Clubs der Grössen-
wahnsinnigen ist in Nummer 45 dieser Wochen-
schrift (Beitrag Kunstverständnis) zu finden.

Der Entwortete

Herr Pordes Milo bangt um seinen Dich-
terruhm. Er teilt den Zeitungen mit, dass er
der Verfasser der Pantomime Die Vier Toten der
Fiametta sei. Das, was er an dieser Arbeit ge-
leistet hat, die Worte, wurden für schlecht be-
funden. Deshalb druckt sie der kleine Jacob-
sohn in seinem Theaterblättchen ab, wo sich
jeder davon überzeugen kann. Im Uebrigen be-
nutzt Pordes Milo zu seinem Einakter eine uralte
Handlung. Nicht etwa nur dem Inhalt nach, auch
die Reihenfolge der scenischen Vorgänge ent-
spricht genau dem Original. Aber er verschweigt
auch in dem erwähnten Abdruck kühn die Tat-
sache. Er hält es in seinen Erklärungen für nö-
 
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