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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 75 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Die Vinnen gegen den Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0152

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Die Vinnen gegen den
Erbfeind

Nach dem Vorbild der Berliner Presse hat
ein in Cuxhaven lebender mittelmässiger Maler
namene Carl Vinnen verschiedene in Deutsch-
lancl gebürtige Kollegen seines Fachs nicht zum
Malen, sondern zum Schreiben aufgefordert. Herr
Vinnen ist nämlich überzeugt, dass es so nicht
weiter geht. Er schrieb deshalb in schlechtem
Deutsch zwei Zeitungsartikel, die schriftstellerisch
und inhaltlich nichts bedeuten. Die Ehrfurcht, die
die Deutschen nun einmal vör jedem gedruckten
Zeitungsartikel fühlen, veranlasste zahlreiche Ma-
ler, in dem gleichen schlechten Deutsch ihre
Bewunderung und Anerkennung fiir die „Tat“
des Herrn Vinnen auszudriieken. Dies alles wur-
de unter dem Titel „Ein Protest deutscher Kiinst-
ler“ zusammengestellt uncl bei Eugen Diederichs
herausgegeben, nicht ohne dass Herr Vinnen sei-
ne beiden Artikel zusammenzog und seinem „deut-
schen“ Protest den Namen quousque tandem gab,
und ihn mit dem Wort „angesichts“ beginnen
liess.

Herr Vinnen warnt. Er „ringt“ mit den
deutschen Kunstschriftstellern um die „Seele des
Volkes“. Die Seele des Volkes wird durch fran-
zösische Künstler infiziert. Das Volk entzückt
sich an Manet, Cezanne und van Gogh. Die
französischen Bazillen siegen über die deutschen
Vinnen. Gift schmeckt süss, und das deutsche
Volk lässt sich nicht mehr halten. Kein Palast
ohne van Gogh, keine Wohnung ohne Cezan-
ne, der Arbeiter verzichtet auf sein Huhn im
Topf, wenn nur ein Manet von seiner schlich-
ten Wand herunterblickt. Da ist es wirklich die
höchste Zeit, zu warnen und zu protestieren.

Herr Vinnen beweist die Infektion. Er wen-
det sich mit Vehemenz gegen die „Feder eines
modernen Kunstschriftstellers“. Der hat nämlich'
eine Vorrede zu einem Ausstellungskatalog ge-
schrieben, in der er behauptet, dass nicht nur
Cezanne, nein auch Henri Matisse Einfluss auf
die künstlerische Jugend haben. Derartig tief-
sinnige Analysen haben meiner Ansicht nach mit
künstlerischer Produktion nichts mehr zu tun,
bemerkt Herr Vinnen. Kunst muss „naiv“ ge-
schaffen werden und nicht durch verstandesmä-
ssige Reflexion. Die Verbreitung dieses Ausstel-
lungskataloges muss ungeheuer gewesen sein.
Denn die Seele des Volkes hat ihn aufgenom-
men und die Künstler sind durch ihn in ihrem
„naiven Schaffen“ verhindert worden.

Aber Herr Vinnen hat noch mehr Beweise.
Nicht nur die Kunstschriftsteller, auch dieSnobs,
besonders in Berlin, arbeiten an dem sittlichen
Verderben des deutschen Volkes. Herr Vinnen
hält zwar van Gogh und Cezanne für Künstler
und findet es nur unerhört, dass die Snobs für
„noch so fragwürdige Bilder dieser Maler“ sich
begeistern. Herr Vinnen s c h a f f t nämlich nicht
nur n a i v, er ist auch so naiv zu glauben,
dass Künstler gelegentlich noch so fragwiirdi-
ge Bilder malen. So ungefähr, wie die Mitglie-
der des Vereins Berliner Künstler, die Schkizzen
auf Schkizzen schaffen und Schtudien auf Sihlu-
dien, bis endlich etwas von ihnen als fertig be-
zeichnet wird, was sie naiv als Bild bezeichnen.
Herr Vinnen erklärt mit durchaus bildhafter Deut-
lichkeit, wann Snobismus entsteht; wenn es sich
um wirklich hohe W e r t e handelt, zu denen
aber dem Bewunderer die Brücke man-
g e 11. Also mangels einer Brücke können die
Snobs nicht zu den hohen Werten hinüber.

Bleibt nur fragwürdig, was unter hohen Werten
zu verstehen ist.

Aber auch darüber gibt Herr Vinnen Aus-
kunft: „wenn wir nun aber sehen, wie neuer-
dings in Deutschland für flüchtige Studien van
Goghs, selbst für solche, in denen ein Künstler
die drei Dimensionen vermisst, Zeichnung, Far-
be una Stimmung, dreissig bis vierzigtausend
Mark anstandslos bezahlt werden, wie nicht ge-
nug alte Atelierreste von Monet, Sisley, Pissaro
usw auf den deutschen Markt gebracht werden
können, um die Nachfrage zu befriedigen, so
muss man sagen, dass im allgemeinen eine der-
artige Preistreiberei französischer Bilder stattge-
funden hat, — allerdings bezahlt Frtankreich
selbst diese Preise nicht — dass hier eine Ueber-
wertung vorzuliegen scheint, die das deutsche
Volk nicht auf die Dauer mitmachen sollte. „Man
erfährt endlich, wo das deutsche Volk seine Gel-
der lässt. Es kommt ihm auf Vierzig Mille
nicht an, wenn es beim Ausverkauf Monetreste
erstehen kann. Das deutsche Volk ist aber bei
Ausverkäufen garnicht so dämlich, trotzdem es
gern Reste kauft. Man kann nie wissen, wozu
es gut ist. Trotzdem darf man nicht van Goghs
„fliichtige“ Arbeit billigen, die sogar einen
Künstler die drei Dimensionen vermissen lässt.
Die drei Dimensionen: Zeichnung, Farbe und
Stimmung. Hier zeigt Herr Vinnen, wie man
naiv schafft. Man zeichnet etwas, tut als zweite
Dimension Farbe drauf, uncl taucht die ganze
Chose in Stimmung. Solide Arbeit. Feste Prei-
se, Aber das deutsche Volk ist so verjobbert,
dass es nur noch ramscht. Ihm geht ein Sisley-
rest über einen ganzen Vinnen. Aber es hatte
schon immer etwas für die v i e r t e Dimension
übrig.

Aber nicht genug damit, dass das deutsche
Volk sein kostbares Gut, sein Geld, verjuxt,
auch sein kostbarstes, sein Gemüt wird ihm von
den Franzosen genommen. Sie sind nämlich
nicht tief. Der deutsche Maler d e n k t und der
französische, man sollte es nicht für möglich
halten, m a 11. Herr Vinnen sieht hierin eine
Gefahr für „unser Volkstum“. Zwar ist Herr
Vinnen auch in Paris für längere Zeit gewesen,
um zu lernen, und es liegt ihm fern, „den gro-
ssen Nutzen der Befruch'tung durch die hohe
Kultur der französischen Kunst auf die unsrige
zu leugnen.“ Herr Vinnen will sogar gern zu-
geben, dass „j e d e Befruchtung ihr Gutes hat“.
Die pariserische „hat sogar in Berlin eine gro-
sse Frische gezeitigt“. Aber eß kommt auf den
Eichbaum an. Auf den Eichbaum, das heisst
auf das Gemüt: „Die Quelle, die in der Wiese
sich durch höheren, s a 11 e rgefärbten Graswuchs
k e n n 11 i c h macht, bringt noch keinen
Eichbaum hervor, und grade d a r a u f
kommt es an.“ Ein B i 1 d von Vinnen.

So etwas entsteht, wenn e i n Künstler denkt
und nicht sieht. Man kann von jeder Befruch-
tung Gutes, aber von der Quelle keine Eich-
baumbeifruchtung verlangen. Sie kann wieder
höchstens grosse Frische zeitigen. Aber gerade
auf den Eichbaum kommt es an. Ja, die Ju-
gend hat es schwer. Soll sie nun Courbet ma-
len, soll sie Cezanne malen, soll sie flüchtig
sein wie van Gogh oder schmieren wie Matisse.
Als nur Düsseldorf existierte, wusste man Be-
scheid. Deshalb bemerkt Herr Vinnen: „Unser
junger Nachwuchs muss erst wieder lernen, dass
man nicht im Handumdrehen, ohne Mühe und
Schweiss, ein reicher Mann werden kann, we-
der auf materiellem, noch auf ideellem Gebiete
dass man auch nicht Schriftsteller werden kann,
solange man mir und mich verwechselt.“ Aber

wenn man das nicht mehr tut, Herr Vinnen, ist
man noch nicht Schriftsteller. Und wenn man

Mühe und Schweiss aufwendet, noch nicht Malen.

„Leibl, Thoma, Klinger, Böcklin und die
meisten andern grossen Namen liessen ihre Kunst
in Paris befruchten.“ Sogar Herr Vinnen. Was
will der Mann also?

Nun kommt es. Nämlich zur rein „zahlen-
mässigen Frage“. Das deutsche Volk kauft Herm
Vinnen zu viel französische Bilder. In Posen

wurde eine Studie von Monet erworben. Herr

Vinnen ist ausser sich. „Wie soll das Publi-

kum ohne Bindeglieder d e n verstehen! “ Warum
kauft der Posener Direktor nicht erst zwanzig
Vinnen, damit die Einwohner sich so allmählich
an den Impressionismus gewöhnen. Zwar ist
der Monet dem Museum geschenkt worden. Aber
doch irgend wann einmal mit deutschem Geld
gekauft. „Bedenkt man nun die ins riesenhafte
gesteigerten Preise, so gehen jährlich Millionen
der vaterländischen Kunst verloren. Man
schätze diesen Faktor nicht gering ein. Geld ist
oft ein befruchtender Regen, auch fiir den Schoss
der Danae Ideal.“ D i e s Bild sollte Herr Vin-
nen noch schnell fiir Posen malen. D a s G e 1 d,
d e r Regen, d i e D a n a e , d a s Ideal. Es
dürfte etwas s ä c h 1 i c h ausfallen. Es ist zwar
auch nicht vaterländisch, aber griechisch. Aber
es ist g e d a c h t, und auf den Eichbaum kommt
es an.

Herr Vinnen jammert, dass w i r den Welt-
markt vollständig verloren haben. Herr Vinnen
vergisst, das daran nur die Eichbaummaler
schuld sind. Zu ausländischen Ausstellungen
werden nur sie zugelassen, und sie verhindern
systematisch, das einmal M a 1 e r gesehen wer-
den. Das Ausland ist nun einmal gegen den
Eichbaum.

Herr Vinnen will den Fortschritt und die

Entwicklung; die Künstler schreiten nicht fort
und entwickeln ,sich nicht. Aber Herr Vinnen
braucht den Kopf nicht hängen zu lassen. Er
ist bei seinen Bildern eingeschlafen, an der Müh-
le oder im Walde, und hat am Eichbaum ge-
träumt. Das deutsche Volk verhöhnt die Fran-
zosen, die deutsche Presse lacht mit Vinnen über
van Gogh und Cezanne, der deutsche Hof kauft
nur Düsseldorf, der deutsche Snob Böcklin. Im
Salon Cassirer sind täglich fünf Menschen, im
Salon Schulte fünfzig, in der Sezession fünfzig,
in der Grossen Kunstausstellung fünfhundert. Die
Berliner Kunstkritik ist gut mittelständisch ge-
sinnt. Und die zwanzig Leute in Deutschland,
die van Gogh und Cezanne kaufen, lassen sich
weder durch eine internationale Händlerbande,
oder durch die Proteste sämtlicher deutscher Vin-
nen abhalten, ihr Geld für das auszugeben, was
ihnen gefällt. Die Herren Arnhold, Osthaus,
Flechtheim, Heymel, Stern werden sicher sehr
gerührt sein, wie väterlich Herr Vinnen um ihr
Geld besorgt ist. Aber sie dürften sich nicht
einmal ein Bild von ihm schenken lassen.

* * *

Zu dieser Vinnensauce haben zahlreiche Ma-
ler ihren Senf gegeben. Bei w e n i g e n be-
greift man es nicht. Ihnen scheint die neue
Tatsache des Schriftstellertums eines Kollegen die
Sinne getrübt zu haben. Nach dieser Bewusst-
seinsstörung zogen sie auch unter lebhaftem Be-
dauern ihre Zustimmung zuarück. Und zwar in
der Broschüre „Die Antwort auf den Protest
deutscher Künstler“, clie leider noch den schö-
nen Obertitel „Im Kampf um die Kunst“ führt.
Erschienen bei R. Piper & Co., München.

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