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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 78 (September 1911)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Aus der Presse
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0175

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Umfang acht Seiten

Einzelbezug 15 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
Fernsprecher Amt Pfalzburg 3524 / Anzeigen-Annahme
durch den Verlag und sämtliche Annoncenbureaus

Herausgeber und Schriftleiter:

HERWARTH WALDEN

Vierteljahresbezug 1,25 Mark / Halbjahresbezug 2,50 Mark /
Jahresbezug 5,— Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

JAHRGANG 1911 BERLIN SEPTEMBER 1911 NUMMER 78

Inhalt: TRUST: Zeitgeschichten: Bestempfohlene Philosophie / Der nationale Schwank / MAX ZERBST: Bewegung! Grundlage einer neuen Welt-
anschauung / ALFRED DÖBLIN: Der Dritte / ELSE LASKER SCHÜLER: Briefe nach Norwegen / VIKTOR v. DIRSZTAY: Wahrnehmungen /
J. A.: Riickblicke: Ruhe für einen Lyriker / Nun lächle, Mona Lisa / Zweifel / E. L. KIRCHNER: Holzschnitt

Aus der Presse

Bestempfohlene Philosophie

Herr Friedrich Dernburg äussert sich im
Berliner Tageblatt über den ehemaligen Kolle-
gen Fritz Mauthner. Herr Dernburg fürchtet,
dass „das Publikum der grossen Bildungswelt
in Mauthners Wörterbuch der Philosophie kei-
nen erstklassigen Lesestoff, keinen Mauthnerver-
mutet“. Man weiss durch diese Sorge endlich,
was erstklassiger Lesestoff ist, und wer ihn lie-
fert Was ist das Wörterbuch der Philosophie
nun in Wirklichkeit?

„In Wirklichkeit ist das Wörterbuch der
Philosophie eine Sammlung von Essays, in
der sich die K u n s t d e r F o r m mit der
Tiefe und dem blendenden Geist des In-
halts um den Preis streiten. Der anspruchs-
volle Leser wird Stoff genug zum Nach-
denken erhalten, aber auch der 1 e i c h t g e -
schürzte Leser, der von altersher ge-
wohnt ist, in Fritz Mauthner einen g e i s t -
vollen Causeur zu suchen, wird fin-
den, dass die Verdefung seiner Geistesarbeit
ihm nichts von ihrem Glanz und p r i c k e 1 n-
d e n R e i z genommen hat. Und hier kommt
die Form eines Wörterbuches dem welt-
männischen Leser entgegen, der nur
in Mussestunden zu einer solchen Lek-
türe greifen kann. Er schlage auf, wo er will,
uberall wird sein Blick auf einem fesselnden
Gedankengang, auf einer überraschenden Wen-
dung haften bleiben. Er wird vorwärts
und rückwärts lesen und sich freuen,
mit welcher Anmut, in die sich fast unmerk-
lich eine leise Ironie mischt, er belehrt, mit
wclcher Selbstverständlichkeit er von den Er-
gebnissen einer genialen Durchdringung eines
riesenhaften Stoffes verständigt wird. Denn das
unermessliche, unerschöpfliche Erntefeld, auf
dem Fritz Mauthner arbeitet, ist bekanntlich
die Sprache.“

Der anspruchsvolle, der leichtgeschürzte und
der weltmännische Leser, sagt Herr Dernburg,
kommen auf ihre Kosten. Ein leichtgeschürzter

Leser hat zweifellos Stoff besonders nötig. Und
Stoff von Mauthner, da nimmt man schon einen
prickelnden Reiz mit in den Kauf. Selbst wenn
„wunde Punkte“ entstehen: man will doch sei-
nen geistvollen Poseur bei rückwärts gelesener
Philosophie nicht vermissen. Umsoweniger, als
„man“ nur in Mussestunden zu einer solchen
Lektüre greift. Man erfährt näheres über Mauth-
ner: „in seinen feuilletonisiischen und Theaterzei-
ten spielt er mit Worten wie mit goldenen Bäl-
len, in einer Jugendsünde, die er nun durch das
Leben fortschleppen muss, zeigte er selbst die
Technik des Sprachjongleurs.“ Aber die Jugend-
sünden schleppt man durch das ganze Leben
mit sich, und wer mit Worten „spielt“, ist sicher
kein Schriftsteller. Aber Mauthner, sagt Herr
Demburg, hat bei der weiten und breiten Bil-
dungswelt sein anschwellendes Publikum. Man
sieht, auch der Kollege Dernburg spielt mit
Worten. Auch was Sprache ist, teilt er mit:
„Die Sprache ist ja das Sammelbecken, in dem
sich die Geistesarbeit der sich ablösenden Men-
schengenerationen zusammenfindet.“ Also der
Auswurf des angeschwollenen Publikums. Aber
Herr Dernburg ist vorsichtig: „Bei diesem Bild
kann man allerdings nicht bleiben“, ohne dass
Uebelkeit erregt wird. Und weiter: „JedesWort
ist ein Individuum mit eigenem Leben, sich mit
unzähligen anderen Leben verschlingend, W e -
gezeichen auf dem Marsch der Menschheit.“
Das ist bereits komplizierte Philosophie. Indi-
viduen als Wegezeichen. Der Kollege Dernburg
beginnt zu spielen. Aber Mauthner hat es noch
besser gesagt: „Sprachgeschichte ist Kulturge-
schichte.

So wie die Wogen und Wellenkreuzungen
des Meeres zu überschauen sind, die nie aus
sich selbst entstehen, immer von irgendwoher
kommen, sich verstärken und abschwächen und
zusammen das Meer heissen, ebensowenig kann
ein Mensch die zahllosen Wogen und Wellen-
kreuzungen der Entlehnung überschauen, die
zusammen die Kultur heissen.“

Das ist unübertrefflich. Wer dieses Bild vom
Meer, noch mehr, vom Meer der Entlehnung
finden konnte, der darf im Tageblatt nicht nur
als Philosoph, nein, auch als Poet gepriesen

werden. Dernburg gerät nun auch ganz ausser
sich: „So zeichnet sich die hohe Weltwarte ab,
von der aus Mauthner die Fluktuationen der
Sprache der Menschen betrachtet. Ursprache,
Urvolk und Urheimat, Urkultur und Armytolo-
gie entweichen vor seinem prüfenden Blick in
das Schemenhafte. Sie machen dem Nachweis
Platz, wie uns, die zahllosen Wellenkreuzungen
der Nachahmung und Entlehnuug Iragen.“ Auch
Dernburg ist ein Poet. Mauthner blickt von
der Weltwarte herab, die Ur-Sachen machen
schleunigst dem Nachweis Platz, und der Nach-
weis taucht als Meer auf, das uns in zahllosen
Kreuzungen der Entlehnung trägt. „Das ge-
schieht in Fritz Mauthners Wörterbuch in der
Geschichte einer Anzahl wichtiger oder wert
geschätzter Wörter.“ Der Ieichtgeschürzte Leser
schwimme nach. Denn „es ist das Charakteri-
stische bei Fritz Mauthner, dass er den grossen
universellen Blick gewonnen, und doch aus sei-
nem Journalismus den Blick für die kleine All-
tagswelt herübergerettet hat.“ Noch besser: erhat
aus der kleinen Alltagswelt den Journalismus
für den universellen Blick • herübergerettet.

Der nationale Schwank

Herr Doktor Alfred Freiherr von Berger,
Direktor des Wiener Burgtheaters, hat einen mä-
ssigen ungarischen Schriftsteller und zwei gute
französische Schwanklieferanten aufgefordert, ihm
für sein Theater Lustspiele zu schreiben. Die
Zeitungen sind sehr empört, dass die Aufträge
nicht im Lande vergeben werden. Da dieHerren
Kollegen von der Presse nun aber nur „n a c h
demFranzösischen“ dichten, schaltet Herr
von Berger mit dem Recht des Grossisten den
Zwischenhandel aus. Und schliesslich kann man
keinem Oesterreicher verwehren, seinen Bedarf
in Ungarn zu decken. Man muss doch nicht
alles aus Galizien, der Heimat der deutschen
Presse, und den iibrigen Kronenländern beziehen.

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