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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 88 (Dezember 1911)
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Kunowski, Gertrud von: Hugo von Tschudi
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Ehrenstein, Albert: Ritter Johann des Todes
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0257

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Umfang acht Seiten Einzelbezug 15 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redukt'on un4 Variug: Berlin-Haleneee, Katharinenstrasse 5
Fernsjwecher Anit PfaJzburß 3524 / Aozeigen- Annahrne
; - ; durch de» Verfag «nd siiintliehe Annoncenbureaus : -:

JAHRGANG 1911 BERLIN DEZEMBER 1911 NUMMER 88

Herausgeber und Schriftleiter:

HERWARTH WALDEN

Vierteljahrsbezug 1,50 Mark / Halbjahresbezug 3,— Mark /
I .Jahresbezug 6,— Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
j preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

Inhalf’ LOTHAR und GERTRUD VON KUNOWSKI: Hugo von Tschudi / ALBERT EHRENSTEIN: Ritter Johann des Todes / ALP'RED
"* DÖBLIN: Mariä Empfangnis / OTTO RUNG: Der Vagabund / SIEGMUND KALISCHER f: Der reiche Bankier Jakob Oppenheimer / ELSE
LASKER-SCHÜLER: Briefe nach Norwegen / MICHEL PUY: Die Nachfolger der Impressionisten / TRUST: Sitten: Der Kaiser und Pietsch / Nord-
land / Der verheiratete Ehebrecher / PETER SCHER: Triumph! / Beachtenswerte Bücher / E. L. KIRCHNER: Akte / Holzschnitt

Hugo von Tsehudi

Von Lothar und Gertrud von Kunowski

Ein seltener Mann hat die Reihen der Lebenden
verlassen, die der deutschen Kunst zum Bewußtsein
ihrer Krait und Selbständigkeit helfen wollen. Er
sah sich bei seinern Streben genötigt, fast stets
binter der Todesgrenze zu bleiben. Er liebte die
soeben Gestorbenen und brachte ihre Werke ans
Licht. Das war eine seiner Eigenschaften.

In diiesem Punkte fand er auch Nachfolge. Wer
kiirzlich, gestern, vorgestern ohne Anerkennung
gestorben ist, <Jer kann jetzt sicher hoffen, in die
Reihen moderner Kunst und Kunstbestrebung auf-
genommen zu werden. Ganze Heerscharen von
Totengräbern öffnen frische Särge und geben sich
den Anschein hochmodern, kühne Neuerer und
Mäcene zu sein, iirdem sie Lieder vom Leiden,
Streben und Sterben starker Persönlichkeiten sin-
gen, d‘ie noch gestern unter ihnen waren. Das ist
die Taktik der „leitenden“ Zöitschrift „Kunst und
Künstler“. Sie lebt von diesem Erbe Hugo von
Tschudis, dem es nicht vergönnt war, den Leben-
den seine Kraft und Förderung angedeihen zu las-
sen, so wie er es selbst stets gewiinscht hat.

Ich weiß es von ihm seibst, daß er schwer dar-
unter litt, rricht überall tätig eingreifen zu können.
kh weiß es aus Stunden leidenschaftlicher Aus-
sprache zwischen zwei Männern, die jede Minute
Gefahr liefen, mit manchen entgegengesetzten
Kunstrnein-ungen aufeinander zu prallen. Er war er-
staunlich, die Härte anderer Meinung' zu vertragen.
Das ist nur möglich zwischen Männ-ern, die nicht an
den Grundfesten der Wertschätzun-g ihrer funda-
mentalen Leistungen rütteln.

Seine Hände waren gebun-den. Man hat in mo-
dernen Kreisen viel mehr von ihm erwartet, als ihm
zu tun möglich war. Aber er förderte im stilien
tnit ganz großartigem Sinn, das heißt ohne Rück-
sicht auf die Kunstpartei, der er persönlich nahe-
stand. Er war ein Förderer der Selbständigkeit
deutscher Kunst, weil er im Stilien sich
als eine selbständige Persönlichkeit gegenüber Neu-
erscheinungen der Kunst erwies. Im Widerspruch
und gegen die Hauptmasse der Sezessionsmaler
förderte er unsere Werke und BestrebungCn. Er
trat vor neuartige Werke hin, ließ sie auf sich wir-
ken, ohne jemanden zu fragen und handelte danach.
Er wtiderstand alien Einflüsterungen und blieb fest
bei seiner Meinung bis zum Tode.

Als er sein Amt in Berlin verlassen mußte, war

fast kein „moderner“ Kiinstler zur Stelle, an dem
Protest teilzunehmen, der iri einem Heft der „Per-
sönlichkeiten“ d-ie Stimmen der Besten zu sammeln
suchte. Es blieb bei einem Protest der fiihrenden
Kunstschriftsteller. Er war also unter den „moder-
nen“ Künstlern sehr unbeliebt. Sie ließen der Sache
ihren Lauf, um jetzt nach seinem Tode „kühn“ mit
ihrer Meinung hervorzutreten.

Hugo von Tschudi Iiebte das eben Keimende,
die neue Saat. Die kommende Jugend verehrt und
riihint ihn mit Recht. Ihr gehört er an, nicht denen,
die keinen Finger rührten, als er sein großes Amt
an der Nationalgalerie aufgeben mußte. Möge die
moderne Kunstwelt an seinem Grabe Iernen, daß
nicht der Mut, an Gräbern zu klagen, den Charakter
der Persönlichke-it verleiht, sondern daß diesen Lor-
beerkranz nur der Mut verdient, der kühn heraus-
fährt, wenn es gilt, in Augenblicken schwerer
Hemmnis, lebende Kunsfkräfte zu befreien, Mär-
tyr-ertum nicht erst aufkommen zu lassen, winter-
liche Eisschollen für die Friihlingssaat zu sprengen.
N'icht das „Schicksal“, sondern diese Art von Mut
entscheide kün-ftig das „Drama“ der Kunstent-
wicklung.

Ritter Johann des Todes

Von Alberf Ehrenstein

Ritter Johann des Todes ritl aus, dem Meere
zu und fernen Ländern. Sprach zu ihnr sein schwan-
geres Weib, diese Loudmilla Gamperl (die liebste
ihm, bis sie kein neues Essen und Küssen mehr
wußte) diese Worte: „Vergebens fährst du aus!
Bleib! Morgen gibts Eichelsuppe und Geselchtes
mit Spinat . . . Du wirst sehon sehen!“ In den
Ohren kiangs dem Ritter und dann zu noch don-ner-
dicken Nebelferneri ritt er. denn Weib-Köchin schien
ihm am Ende.

Ritter Johann des Todes ritt aus. Traf unter-
wegs einen lieblichen Drachen, der ihm quer in den
Speer lief -— aus Furcht, auch dieser Ritter könnte
ihn unerschlagen sich zu Tode kriechen lassen.
Lachte Ritter Johann des Todes und gab ihm sein
heiliges Kraut Sarudsch an die Wunde. Geilt der
Drache: „Läßt mich Drachen unerschlagen! . . .
Du wirst schon sehen!“ In den Ohren klangs dem
Ritter und er nahm sichs zum Geden-kmal.

Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten,
traf er die Jungfrau, die alle hundert Jahre aus
dem Felsen Not hervorschießt. Die Jungfrau warf
sich dem Ritter ihrer Maidenschaft an den Hals . . .
Lachte Ritter Johann des Todes und gab ihr seinen
heiligen Knappen Nolpate ans Herz. Redte sich
aus: „Du bist die Jungfrau jeder huudert Jahr!“
„Schmähst die Gabe,“ keift sie, „aller hundert
Jahre? Du wirst schon sehen!“ In den Ohren
klangs dem Ritter und dann zu noch donnerdicken
Nebelfernen ritt er.

„Das verfluchte Kombinieren alter Speisen in
ganz neue! — Ich hab es satt! In der Jugend
schlug ich fünfz-ehn liebliche Drachen! Ich hab es
satt. Und die liebe Jungfrau jeder hundert Jahre:
ist sie schmacker als all die andern Jungfern von
Gewohnheit? — Ich hab es satt! Und alle gellen
und keifen sie: Du wirst schon sehen . . . Und ich
sehe doch meine Zukunft, daß ich keine Zukunft
habe, klar und dicht vor mir!“

, Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten,
traf er sechs alte Weiber, die das Ziel erreicht zu
haben glaubten, indem sie, iiber den Weg erhoben,
,auf Steinen auf den Köpfen stehend, aus neuen
Flaschen in neuen Gläsern neuen Branntwein
soffen, den echten, reinen, patentierten sogenannten
„Dolgoruki". Und sie reichten ihm den Brannt-
wein. Er erschlug sie, weil sie’s Ziel erreicht zu
haben glaubten, indem sie, über den Weg erhoben,
auf Steineu auf den Köpfen stehend, aus neuen
Flaschen in neuen Gläsern neuen Branntwein
soffen, den echten, reinen, patentierten sogenannten
„Dolgoruki“. Und die Weiber, sterbend auf den
Köpfen stehend alle Sechse keiften: „Du wirst
schon sehen!“ ln den Ohren klang’s dem Ritter
,und er nahm sich’s zum Gedenkmal.

Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten,
schlug noch viele andere, die — und nicht einmal
auf die rechte Weis die Erde nach blauen

Blumen abgrasten . . . Und im Tode schrien sie
alle — er aber lachte bloß - : „Du wirst schon
sehen!“ In den Ohren klangs dem Ritter und stets
,zu noch donnerdicken Nebelfernen ritt er.

Ritter Johann des Todes, auf seinen Eahrten,
erbarmte sich der Herrgott und kroch vom Himmel
zu ihm herunter, um ihm das Neue zu sein. Da
erschlug ihn der Ritter Johann des Todes und
iach e herzhaft. wie er noch nie gelacht hatte, daß
der vom Himmel heruntergekrochen war, um ihm
das Neue zu sein und dann zu gellen: „Du wirst
schon sehen!“
 
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