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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 65 (Juni 1911)
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Peledan, Sar: Die höchste Tugend, [1]: von Sar Peladan
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0074

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Sicut erat in principio et nunc et semper, et in
saecula saeculorum. Amen.“

Bauerr. gingen vorbei und grüßten ihn, ohne
sich zu wundern, denn eine Gabelung des Weges
endete auf eine Kapelle „Unserer Lieben Frau
der Fieber,“ die noch Wunder tut.

Ein Gensdarm zögerte, ihn nach seinen
Papieren anzuhalten, da er einen Narren witterte,
denn ein Exaltierter ist ein Verrückter für einen
Gensdarm.

Kinder, die in der Provence grausam sind,
warfen ihn mit Kieseln, von denen einige ihn
erreichten. Aus einem armen Pachthof trat eine
Frau, ein Neugeborenes tragend, das wie besessen
schrie und bot es dar ohne ein Wort zu sagen
mit unerklärlichem Vertrauen. Merodack feuchtete
den Finger mit Speichel, berührte den Staub und
machte auf der Stirn des Kindleins ein Kreuz.
Es hörte augenblicklich mit den Gesichtsver-
zerrungen auf und Uichelte. Merodack ging, indem
er itnmer mit sehr starker Stimme sang: „Gloria
patri et filio et spiritui sancto.“

Bei einer Biegung erschienen die Voralpen,
und die Abtei mit den ersten Strebemauern, ihren
drei Tiirmen offenbarte sich blendend. Zweifellos
überwachten die Rosenkreuzer den Weg, zwei
Trompeten schalltcn von den Hügeln zurückge-
worfen, und das halbgeteilt w reiß und schwarze
von Rot gekreuzte Banner des Tempels rollte
in der hellen Luit auseinander. Der Magier, der
geblendet wankte, sah einen Augentlick nichts,
blind vnr Tränen, von konvulsivischem Schluchzen
geri'ittelt. DieTrompeten schallten eine Halleluja-
Fanfarc.

Mit beiden Knieen auf der Landstraße weinte
er und schrie, vor Freude zermalmt, vor Ueber-
raschung über einen solchen verwirklichten Traum:
er hatte nur für diese Stunde gelebt, am Tor des
Paradieses wäre er gewiß ruhiger, mehr Meister
seiner selbst gewesen. Sein heiliges und er-
habenes Wahnbiid lebte. Bedeutete es ein Gebet,
das er hauchte, oder stieg selbst die Himmels-
Seligkeit im Kuß der Ewigkeit auf ihn nieder?

Solcher war der Blitzschlag dieser Erregung,
daß er beim Vorwärtsgehen fiebrisch zitterte.
Seine Augen wurden trocken, endlich sah er,
und das sein Herz leidenschaftlich anziehcnde
Glück sticg zum Gciste auf, der Gedanke ver-
zehrte wie eine feinere Kraft dies leidenschaftliche
Hinweggenommensein: sein Schritt ward ge-
messen, die Gestalt grade aufgerichtet, die Haitung
gebieterisch, indem er mit jedem Zoll sein
geistliches Meister-Amt im Fleisch darstellte.
Sieger über die Freude durch Uebersteigen der
Ueberraschung, gelangte der Fanatiker, mit dem
Gang des Arbeiters, der Groß-Meister zum Fuß
der Mauern.

Auf der Schwelle waren irn Halbkreis die
Rosenkreuzer, die weißen Mantel mit rotem Kreuz
trugen, und außer Alta mit dem einen Knie auf
der Erde. Der Großmeister seinerseits kniete vor
jeden von ihnen hin dem albigensischen Ritus
der Consolation entsprechend, kiißte ihn auf den
Mund und hob ihn auf. Darauf legte fsdubar
den Tempelherren - Mantel ihm auf die Schuitern
und führte ihn, damit er den Staub abschüttle
und sich seine Tracht anlege: inan beeilte sich
im Kellergeschoß, das als Speisesaal diente. Es
wurde bald Mittag, der ganze Orden nahm um
Mitternacht das Abendmahl.

Die Tafel war rund wie die der Artus-Ritter
und mit kaltem Fleisch, Früchten uncl Wein im
vorhinein angerichtet. Ehe sie noch geendigt
hatten, erhob sich dea Mönch, sie hörten auf zu
essen und zu trinken, es war Mittag. Bis dahin
hatte Mönchs-Schweigen geherrscht. Die Be-

sichtigung des Klosters begann, mit Ausnahme
der Kirche, die man für den höchsten Eindruck
vorbehielt.

Es war in vier Monaten ein Wunder verrichtet
worden, dank Adar, der sein Schlos des Landes
aufgab, mit dem Entschluß Montsegur zu be-
wohnen. Der Fußboden war zementiert, die
Wöibungen mit rotem Kalk gefärbt worden,
majestätisch und heiter lebte die Ruine unter dem
provenzalischem Azur.

Meister Baucens hatte als Architekt und Werk-
fi'ihrer die Arbeiten geleitel, Nebo gefiel sich in
der Modellierung der Wappenschilder an den
Türen und der Pfeiiertische, Trancavel in der
Ausschmückung mitsymbolischen Graumalereien,
alle hatten heiß trotz des Grolles gearbeitet, nicht
ihre B e a t r i z e n an der heiligen Feierlichkeit
teilnehmen lassen zu dürfen.

S i e hatten daran gelitten, so an dem einzig
ruhmreichen Tage zurückgestoßen zu werden;
jedoch verleugnete sich ihre begeisterte M t-
wirkung nicht, was Jede an Schönem und
Archaischem besaß, boten sie an und voll Groß-
mut vermählten sie sich hierdurch mit dem Unter-
nehmen, das sie vom Erfolge verbannte. Da gab
es wunderbare Zueignungen: von Francesca
Piccolimini eine Folge vlämischer Teppiche
(15. Jahrhundert) aie Darstellung der Geschichte
der hl. Ursula und der 11 000 Jungfrauen, von
Mercdes v. Castro Kelch, Schüssel und unschätz-
bare priesterliche Ziergeräte spanischer Arbeit,
von Leonora v. Este des Großmeisters Redner-
stuhl in Eichen, geschnitzt mit Chimaren, die vom
Tee-Paiaste herrühren, von Clara Greham die
16 alle gleichartigen Sessel des Kapitels in Holz,
das der Bronce glich, Nanna hatte die 17 Schalen
aus Silber geliefert, Edith die Mäntel aus Leinen,
Belit die kleine Orgel, Tatania die Goldschmiede-

arbeiten, Stella dte Getniilde, d’lzel und Rosa alte

gemalte Statuen, schließlich hatte Isdubar von
Adars unbekatinten Metallen eine ungeheute Rose
von ein Meter Halbmesser geschmiedet, die rings-
um ein blutig leuchtendes Kreuz aus unechten
Rubinen von vielfarbigen Widerstrahlen funkelte,
und in dessen Mitte ein alchemistischer Diamant
die hl. Hostie enthalten konnte.

Das Kloster enthielt ein Museum und eine
aus Jedes Ueberzähligem und Doubletten gebildete
beträchtliche Bibliothek. Nur die Zelien fehlten
noch. Der Nachmittag verging strahlend im
Frohlocken und in Plänen: Merodack lebte seinen
Traum, Nebo hatte eine Vorahnung:

„W renn das Kloster beendigt ist tritt der Tod
ein,“ sprach er zu Nergal.

„Auch ich fühle,“ erwiderte der Roman-
dichter „wir rühren an unseren Zenith. Morgen
werden wir hinabsteigen.

Sieh Merodack an, sein Auge schaut jenseits
dessen das er ansieht. Ich habe Furcht vor dem,
das er zu sagen oder zu tun anhebt. Er wird
Visionär und hat Erscheinungen.

Alle bestiegen den Schloßturm beim Unter-
gang der Sonne. Sie schleppte Blut nach im
Himmel, wie auf den Hintergründen von Delacroix.
Die Nacht stieg zu ihnen hernieder von tausend
Sternen Sunkelnd. Sie erwartcten eine Ansprache
des Groß-Meisters, und er schaute an ein herauf-
beschworenes Mysterium, gestützt an eine Zinne,
unbekümmert wegen des ungeheuren Schweigens
das 16 außerordentliche unruhige Geister schufen.
Zum ersten Mal empfanden sie, die unbeweg-
lichen Zeugen seiner innren Schauung, daß ihr
großer Bruder sie verließ, daß er nicht mehr sie
sich gesellte im Aufschwung seines Gedankens,

rings um ihn empfanden sie ihn fern, und sie
betrübten sich wie Schüler die der Meister vergißt

Die Trompete erschallte, erwacht folgte ihnen
Merodack im feierlichen Zuge zur Kirche, wo
Dagon auf der Orgel den Einzug der Ritter aus
„Parsifal“ ausführte.

Ein einziges Längsschiff mil dcm tiefen Chor
unter der Kuppel mit runden Pfeilern, wies eine
mönchsartige Anlage, wo man nicht an Gläubige
gedacht hatte, mit zwei Chornischen am Quer-
schiff, der gleichen Länge des Längsschiffes mit
dem Querschiff, die das Jonanniter-Kreuz mit
gleichem Arm hervorriefen.

Der Altar nahm genau die Mitte der Kirche
ein. Ein doppeltes Hufeisen umgab wirksam
gebildet den um 5 Stufen erhöhten Altar, der
aber auf einen einfachen Tisch zurückgeführt
war, das Meßbuch und einen einzigen Kerzen-
leuchter mit 21 Kerzen trug. Auf der Epistel-
seite des Altars am Fuß der Stufen war der
Stuhl des Großmeisters, auf der Evangeliumseite
desjenigen der das Hochamt verrichtet.

Trancavel hatte die gewölbte Decke gleich-
mässig hellblau färben lassen und sie durch-
brochen mit flügelumschlungenen Engelsköpfen.
Auf die Pfeiler, auf ihre dem Altar zugewandte
Stirnseite malte er Kolosse, den Oannes der
Chaldäer, den Gott in der Mitra mit dem Fisch-
schwanz, den Ammon Rä vom Nil, die indische
Maya und die griechische Athene. Späterhin
sollte er diese frühen Werke von frischem machen
und einen pantheonsar.igen Schmuck der Re-
ligionen dadurch verwirklichen, dass er der durch
den ganzen Orden hergestellten Ausarbeitung
nachging.

Vom Gewölbe hing das metallne ungeheure
Rosenkreuz wie ein Kronleuchter nieder. Jeder
Ritter hatte vor sich eine Kerze enzündet, dass
sie einen Kreis schimmernder Punkte ringa utn

den Altar im Schatten, der diese Szene wie ein
Mysterium umgab.

Ehe Pater Alta die Altarstufen bestieg, erhob
sich Merodack, nachdem er sich bekreuzt hatte, er-
füllte die Augen von dem schönsten Schauspiel,
das die Erde ihm bieten konnte, und hob, in sich
gesammelt, während die Orgel die Verheissung
hoch aufwari, langsam majestätisch prachtvoll
die rechte Hand, grüsste den Altar, den Mönch,
die Brüder und sprach ruhig zur Eröffnung:

„Rufen wir das Andenken an unsren hohen
und hl. Bruder Oelohil Ghuibor wach, der im
Geruch der Heiligkeit starb. So begabt wie nur
Einer der Unsren, verkannt und verdammt tnehr
denn wir, seinen Eifer in niederen Tugenden.
zu erschöpfen.

Er war der letzte Romantiker der Monarchie,
Veitreter jener christlichen Trägerschaft, die da
sprach „Gott und der König.“ Seine Tugend,
seine Ergebenheit waren vollkommcn. Dic,
denen er diente, verabscheuten ihn, ein stumpf-
sinniger Marschall verurteilte ihn, weil er das
Papsttum verteidigte, am Hofe Roms klagte man
ihn des frommen Unfugs an. Die Frömmigkeit
erneuerte er tnit der Schulter-Wunde, gerecht-
fertigt durch eine O.fenbarung des hl. Bernhard
bewiesen durch jenes wissenschaftliche Gesetz
„ein sittliches Leiden verdichtet sich zum ent-
sprechenden körperlichen Grade.“ Jesus fiel
dreimal unter dem Gewicht der Sünden der
Welt, die Schulter-Wunde ist daher die, durclt
die er am meisten litt. Zur Beschämung der
bischöflichen Frechheiten werden wir an der
linken Schulter einen roten Streifen tragen, das
Wahrzeichen der unser Wille gewordenen Er-
gebenheit. So sei es.“ (Fortseteumr foigt)

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