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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 67 (Juli 1911)
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Döblin, Alfred: [Rezension von: William Wauer - Herwarth Walden, Pantomime. Die vier Toten der Fiametta]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0087

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DERSTURM

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

JAHRGANG 1911 BERLIN SONNABEND DEN 8. JULI 1911 NUMMER 67

Inhalt: ALFRED DÖBLIN und H. W.: Pantoraime / Noch einige Töne / Die Aufführung / SAR PELADAN: Die höchste Tugend / ELSE LASKER-
SCHÜLER: Dem Barbaren / WALTER HEYMANN: Berliner Sezession 1911 III / ERNST BLASS: Armin Wassermann / PAUL SCHEERBART: Wir
leben nicht im Zeitalter der Qualität / J. A.: Modernes Theater: / Musik wider Musik / Nur Herrn Reinhardt der Zirkus

Pantomime

Die vier Toten der Fiametta

Von William Wauer und Herwart'h Waiden

Besprochen von Alfred Döblin

Die Toten sind alle gleich. Die Geschichte
der Fiametta hat ein Verzweifelter geschrieben
und was ihm die Seele bewegte war: auch die
Lebendigen sind alle gleich. Wenn ein Moder-
ner fast daran erstickt ist, dass Alles, so wie es
abiäuft, ewig wiederkehrt, und kein Punkt sich
daran ändert, so hat hier ein Aelterer gesehen
und hat nur starren Herzens gelächelt dariiber:
im Ablauf selbst, in der Gegenwart ist alles
gleich. Fiametta greift sehnsüchtig nach den drei
Pierrots, sie nach ihr; der buklige Schuister aber
klammert sich an die Buhlerin, seine Frau; ver-
schmäht und verraten erschlägt er dann die Pier-
rots, — Fiametta erwürgt mit den Händen des
betrunkenen Lastträgers ihn selber, steht zum
Schluss triumphierend da, als Symbol des ewig
Wiederkehrenden, sinnlos ewig sich Erhaltenden.

— Die Ehe ist vielleicht die unheimlichste
Produktion des Menschengeistes, unheimlich nicht
durch das, was s’e ist, als was sie sein kann.
Man kann ihre Höhen und Tiefen ermessen, wenn
man man von den Burlesken des Residenzthea-
ters über das Familiäre von Moser zu Ibsen
dringt, zu seinen mörderisch scharfzähnigen Dia-
logen. Die Ehe gittert zwei Menschentiere ein,
nötigt sie zu einem rastlosen Spannungsausgleich.
Bleibt das Gefühl der Nötigung aus, so tritt
das Gefühl des Gitters hervor; einer hat bald
das Gitter zerbrochen. Die Pantomime hier bringt
den entsetzlich-lächerlichen Ausbruch Fiamettas
aus ihrem Käfig, ihren Sprung ins Freie. Der
Käfig geht in Stücke, die Helfershelfer kommen
um, der Schneider, das ohnmächtige Ehemänn-
chen, kommt um; — bleibt Fiametta, triumphie-
rend, das Symbol des Unbezwingbaren, Ehehöh-
nenden, Einsamen, — wenn auch nie Verlasse-
nen.

— In zwei Punkten gibt das Stück mit dem
ältesten alle Themata Neues: darin, dass das „be-
trogene“ Männchen sein Weibchen zwingt, die

Liebhaber mit ihm umzubringen; und darin, dass
das Männchen fast zufällig, gelegentlich nachher
verungliickt. Der Schneider glaubt mit einem be-
sonderen Raffinement vorzugehen, indem er die
Frau zum Morde zwingt an denen, die ihr zu
Liebe gewesen waren; aber die sublime Rache,
dieser Plan, sie in ihrer Tiefe zu verwunden,
misslingt. Er hat sie garnicht getroffen, hat nur
einzelne Objekte getroffen, die doch früher oder
später von ihr gewichen wären; das Centrum,
der produktive Kern blieb von seinem Schuss
unberührt. Ja, Fiametta sättigt sich an dem
Tode der Liebhaber, jauchzt begehrlicher, ge-
stachelter wieder auf; ist alles an ihr abgeglitten.
Isl aalglatt entschlüpft in einer finsteren Tanz-
bewegung von anbetenswerter Wahrheit. Der
Pfeil, den der Mann auf sie abgab, kann nur
auf ihn zurückprallen. Es ist nicht gelegentlich,
nicht zufällig, dass er stirbt .

Ihr verbündet sich alles; der blinde Zufall
dient der organischen triebhaften Wildheit wie
ein liebendes Mädchen. Der Lastträger soll die
Leichen der drei Liebhaber entfernen; er gerät
in seiner Trunkenheit in Wut, weil er glaubt,
es sei nur ein Liebhaber da und der kehre im-
mer wieder ins Zimmer, in die Truhe, zurück;
er erwürgt in dieser blöden Unüberlegtheit den
Ehemann, den er für die vierte Rückkehr des
6inen toten Liebhabers hält. Starr steht sie da;
kaum dass sie die Wahrheit fühlt, dass sie die
Herrin jeglichen Geschehens ist, sie, die Fiametta,
die Frau des bukligen Schneiders.

Es ist ja nicht nötig, dass in diesem Stück
einer spricht. Das ganze Ausdrucksbedürfnis der
Handelnden kann sich in der Bewegung erschöp-
fen; zu sagen haben sie sich im Grunde nichts.
Dieser lineare Ausdruck ist der künstlerisch be-
ste, weil er der knappste und zugleich konzen-
trierteste ist; weil er dem Grundwillen der Kunst
entspricht: Reduktion auf die sachlichste Formel.
Ueberfluss ist der Tod cler Kunst; Machs Leh-
re von der Oekonomie der Kräfte, ein Prinzip
von dem Minimum der anzuwendenden Kraft
und dem Maximum des Leistungsaffekts gehört
zu den Selbstverständlichkeiten für den Künst-
ler. Was über die Pantomime hinausgeht, wäre
hier im besten Fall — Leben.

Es war ein Irrtum, an dessen Verbreitung
clie Künstler selbst mitgewirkt haben, dass Kunst
und Mathematik sich ausschliessen. Niemand,
der ernsthaft Aesthetik liebt, kann dem zustimmen.
Die gutbeobachtenden Künstler haben sich oft
ertappt bei einem Wunsche zur Geometrie; sie
merkten, dass ein innerer Schematismus in ihnen
als Wille zur Kunst sprach, dass nicht bloss das
äusserliche der Mathematik: die Strenge und sans
phrase sie fesselte. Hier in der „Fiametta“ de-
monstriert sich die künstlerische Härte, wo über
den Fluss und Ueberfluss des lebendigen Ab-
laufs das bleierne starre Schema geworfen ist und
die nackte Dynamik und Energetik sich einprägt,
die Bewegung, die stumme Pantomime erscheint.

Der volle Schluss, der letzte Schritt in die-
ser Richtung wurde getan in dem Augenblick,
als die Muisik hinzutrat. Die Musik, die wie
keine Kunst sonst die wirkliche, nicht bloss op-
tische Bewegung zum Objekt hat, die in knap-
pen wandlungsfähigen Formeln den Kern jedes
Bewegungsablaufs fasst: hier ist die geometrische
Reduktion auf die Höhe gediehen; keine Ver-
flüchtigung, Abblassung dabei; nur Abstossung
des bloss Schmuckhaften, faktisch-äusserlichen, und
intensivstes Heraustreiben des Belangvollen.

Diese Musik, — sie ist \on meinem Freuude
Herwarth Walden — nimmt nun kraft ihrer
komplexen Natur als Musik alles auf ihre Schul-
tern, was ihr als Musik zusteht: sie belädt sich
mit dem ganzen Pomp ethischer Worte, so dem
ethischen Kern zudringend, mit starkem Pathos
demonstierend — die Tragödie. Ich habe Musik
immer als etwas Furchtbares empfunden, sie ist
jedem ethischen Fortschritt, ja jeder ethischen
Klarheit Feind und Gefahr; sie gerade saugt ihre
Kraft aus denjenigen Gefühlen, deren ethischer
Wert rund und nett bereits feststeht; sie schwelgt
in allen Rückständigkeiten unserer Seele, sie na-
gelt uns fest und fester. Sie will nichts Neues;
das neue Europa ist ihr Tod. Die Musik hat
an vielen Tragädien des Lebens mitgewirkt und
sie zu Tragödien gemacht; so oft hat die Musik
dies verschuldet, und vieles andere. — Aber was
an geometrischer Knappheit und ethischem Pomp
Musik aufzubieten vermag, leistet Waldens Mu-
sik. Sie zeichnet das letzte Fundament, den ei-
 
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