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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 67 (Juli 1911)
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Döblin, Alfred: [Rezension von: William Wauer - Herwarth Walden, Pantomime. Die vier Toten der Fiametta]
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Peledan, Sar: Die höchste Tugend, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0089

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und treu zusammen, eine Kette, Leider aus Tal-
mi. Ich brauche mich nicht einmal zu recken,
schon liegt der Schwindel zu meinen Füssen.
Aber ich bin gutmütig. Ich werde nicht darauf
treten meine Herren. H. W.

Die Auffiihrung

Auch die Kritik der Aufführung selbst in
der Tagespresse ist vollständig falsch und unzu-
länglich. Die Spielzeit des Werkes dauert fiinf-
unddreissig Minuten und fast dreihundert Stun-
den sind an ihrer Darstellung auf der Biihne
verwandt worden. Ich identifiziere mich mit ihr
vollständig und man wird mir glauben, dass
ich meinem eigenen Werk gegenüber die grössten
Anspriiche an Sensibilität und Gestaltung stelle.
William Wauer ist ohne Zweifel die stärk-
ste Regiebegabung der Gegenwart. Seine Lei-
stung in dieser Pantomime bedeutet künstlerisch
dasselbe wie ein Gedicht der Lasker-Schii-
1 e r oder eine Seite Prosa des K a r 1 K r a n s.
Mit anderen Worten: Jede Bewegung, jede
Gebärde, jeder Ausdruck, beruht auf Notwendig-
keit und ist gestaltetes Leben. Wauer benutzt
jede Bewegung, jede Gebärde, jeden Ausdruck,
in seiner ursprünglichen Form, er übernimmt
nicht Ausdruckskomplexe, verwendet keine The-
atercliches. Vielmehr erkennt er jede Bewegung,
jede Gebärde, jeden Ausdruck in seinem Ur-
wert. Er entschablonisiert. Wenn bei ihm je-
mand die Hand auf das Herz legt, so geschieht
es so, wie diese Bewegung zum e r s t e n Mal
ausgeführt wurde. Sie hat die Intensität des er-
sten Erlebnisses. Kein Darsteller geht bei ihm
auf der Bühne spazieren. Jeder Schritt bedeu-
tet eine künstlerische Lebensäusserung. Jede
Gebärde, jeder Ausdruck eine Umsetzung des
'Psychischen in das Körperliche. Das Resultat
dieser Arbeit Wauers wirkt so selbstverständ-
lich, daes nicht die geringste Spur einer Arbeit
übrig bleibt. Jedes vollkommene Kunstwerk bil-
det, wie ich zum tausendsten Male wiederhole,
einen in sich abgeschlossenen, lebendigen Orga-
nismus. Das Erzeugte steht herrlich, selbstherr-
lich neben seinem Zeuger. Man weise mireine
Theatervorstellung nach, an der nicht noch die
plumpen oder zarten Handgriffe des Regisseurs
eingedrückt scheinen. Bei Wauer ist alles aus-
gedrückt. Plastisch. Von der Monumentalität
der Persönlichkeit. Otto Brahm hatte das
grosse Glück, grosse Schauspieler vorzufinden.
Sie lebten sich ineinander ein. Brahm gab mit
ihnen bald gute und noch häufiger schlechte
Stücke. Die Kunst Theater trat bei ihm nie in
Erscheinung. Die Plastik des Herrn Max Rein-
hardt ist die des Herrn Begas: Nippes in hun-
dertfacher Vergrösserung. Salonkunst. Die Ma-
lerei des Herrn Reinhardt ist überflüssig. Denn
das Theater bleibt eäne Kunst der Körperlich-
keit. Seine optische Wirkung beruht auf plasti-
scher und architektonischer* Phantasie. Die Ma-
lerei verhält sich zum Theater wie die Plastik
zur Malerei. Herr Reinhardt verniedlichte mit
seiner Aufführung von Sumurun die Verniedli-
chung eines orientalischen Themas. Wauer ent-
niedlichte die traditionelle italienische Stilkomö-
die. Er gab ihren Gestalten, dem Pierrot, der
Colombine, dem Harlekin, den Urwert wieder,
und liess so die Wirkung dieser Typen begrei-
fen. Die Kunst der Pantomime wurde wieder le-
bendig, nach dem der Schutt der Tradition von
ihr weggeräumt war, und der starke Odem
einer Persönlichkeit sie erweckte.

Die Regie gibt dem Theater erst die Mög-
lichkeit, ein organisches Kunstwerk entstehen zu
lassen. Sie schaltet deshalb durchaus nicht die

einzelne schauspielerische Leästung aus. Sie ord-
net sie nur zu Gunsten der Gesamtheit in Me-
lodik, Rhythmik und Dynamik unter. Es kommt
immer noch darauf an, wer die erste Geige spielt.
Aber auch jedes Instrument ist im Orchester
wichtig. R o s a V a 1 e 11 i gehört zu den we-
nigen Schauspielern, die eine Persönlichkeit be-
sitzen. Sie spielt in der Pantomime die Fiametta.
Mehr: Sie ist durchaus d a s W e i b. Das
was ihr die Regie gibt, erwirbt sie und besitzt
es. Jedes innere Erlebnis* tritt körperlich in Er-
scheinung. Nie werde ich den Bli k dieser Au-
gen vergessen, wenn das Karnevalsmotiv er-
klingt. Es erklingt nicht ausser ihr nur in der
Musik, nicht nur in ihr (das wäre eine Privat-
angelegenheit), ihr ganzer Körper ist das Mo-
tiv und ihre Augen leuchten in dem Unbewuss-
ten, was die Töne entstehen liess und hinter
ihnen liegt. William Wauer spielt den Schnei-
der, ihren Mann, cl e n M a n n. Er ist ganz
Verkörperung des Bösen, des Feindlichen, das
trotz der beliebten Liebe zwischen den Geschlech-
tern herrscht. Guido Herzfeld, der Bett-
ler, der Harlekin, gibt den andern Typus Mann.
Jenseits von Erotik, edn Ausführender, alles Ge-
fühlsmässige zurückgedrängt, nur Erhaltungs-
trieb, sorglos besorgt um das, was man Leben
nennt. Den drei Pierrots, den Liebhabern, Ge-
org Runsky, Karl Müller-Malberg, Max Mack
sei nachgerühmt, dass sie sich bescheiden konn-
ten. Dass sie das Episodische, was der Lieb-
haber für die Frau nur sein kann, nur als Epi-
sode wirken liessen. Dass sie zurücktraten, vor
dem ewigen Lebens- und Todes-Kampf zwischen
Mann und Frau. H. W.

Die höchste Tugend

Von Sar Peladan

Fortsetzung

Nebo erhob sich zum Mönch gewandt.

„Pater, denn ich glaube, dass der Ritter des
Graals oder des Rosenkreuzes die Stimme im
Tempel erheben darf, es hat statt, dass du öffent-
lich und für fast Alle die gleiche Frage auflö-
sest. Du hast zwölf Sünder vor dir, Hurer oder
Ehebrecher, zwölf Männer, die, ohne verheiratet
zu sein, lieben, zwölf Männer, nicht zu zeugen
entschlossen.

„Da dieses entsprechend der religiösen Rechts-
pflege zwei Todsünden sind, die den Zutritt zu
den Sakramenten verriegeln, gehen wir alle hin,
um deine Antwort auf Knieen anzuhören. Es soll
keine schweigende Beichte sein, sondern eine Lö-
sung kirchlicher Rechtsprechung.“

Der Mönch war nicht verwirrt als hätte er
diese Casuistik vorhergesehen.

—„Mein Bruder, Hurerei und Ehebruch sincl
Sünden, aber es handelt sich darum, die Ord-
nung der Verbrechen zu wissen. Der dem Trie-
be oder der Perversität nachgiebt, der seelenlos
eine Sünde begeht, sündigt schwer, und der sich
seinen Frevel überdenkt. sündigt boshaft. Bruta-
lität, Perversität sind die beiden Pole des Bö-
sen. Die eine wirft den Menschen auf die tiefste
Entwicklungsstufe zurück, die andere verdirbt die
Zukunft unheilbar. Nun wohlan, es gibt hier
weder Brutalität, da wir Eingeweihte sind, noch
Perversität, da wir des guten Willens sind.“

„Brüder, der Geist des Bekenntnisses hat vier
Bedeutungen, er zwingt den Gläubigen, in die ei-
gene Seele zu schauen und der eigene Richter zu
werden, er lässt ihn durch die Verdammnis die

eignen Fehitritte bedauern, die sie nach sich zie-
hen, allein durch die Undankbarkeit, wenn mög-
lich, durch die sie Zeugnis wider Gott leisten,
der uns den Weg zur Vollkommenheit öffnet,
dass wiir ihn begehen; er erlegt Genugtuung auf,
das heisst Handlungen des Guten entsprechend
der Sünde, schliesslich den festen Vorsatz, das
heisst den Entschluss besser zu werden.“

„Es becleutet das nicht, dass ich Ihnen keine
Fragen vorlegen werde, weil ich Ihre Seelen
kenne: das Sakrament will es nicht. Umstand
Einzelheit der Siinde sind nur wichtig, wenn der
Büssende nicht das Schwerwiegende seines Fal-
les kennt. Denn da die Busse nichts weiter als
Symbol ist, und keine Wirksamkeit ausübt, so
ist eine Untersuchung der Anschuldigung unstatt-
haft. Glaubt nicht ferner, dass ich mich als Eso-
teriker aufführen oder mit Agnostikern mich strei-
ten will. Prüft eure Gewissen iiber diesen Punkt.

„Ist es euer Wilie oder das Schicksal, das
sich dem Sakrament widersetzt?

„Wenn es euer Wille ist, so seid ihr ver-
flucht.

„Wenn sich nur das Leben der Weihe eurer
Liebe widersetzt, so werdet ihr die Absolution
unter drei Bedingungen, von denen jede ent-
scheidet, erhalten:

„Mehrt eure Liebe das Leben des Ideals in
euch und daher auch in ihr, das heisst seid ihr
besser, arbeitsamer, ergebener, harmonischer, ru-
higer, und heget ihr Fleiss, Frömmigkeit und die
heiteren Tugenden?

„Wenn Ja, so werdet ihr die Absolution er-
haiten.

„Wenn Nein, so seid ihr verflucht. Die Lei-
denschaft, die in uns das Leben des Ideals ver-
ringert, unterhält Trägheit und Unfrömmigkeit,
verursacht Verwirrung und Missklang, ist böse.

„Zum Zweiten, zahlt ihr auf eure Wollust
einen Zehnten der Vervollkommnung an die Vor-
sehung? Denn die Liebe der Geschöpfe ist nur
durch höhere Frömmigkeit gerechtfertigt. Es ist
notwendig, dass diesc beiden Wesen, die Einer
für den Anderen das ganze Weltall sind, sich
ihrem Schöpfer weihen.

„Bringt ihr endlich in eurer Liebe den Wil-
len zur Vollkommenheit mit, wollt ihr, dass er
schön wie eine Tugend sei, dass er selbst eure
Tugend werde?

„Wenn Ja, so seid ihr absolviert, und mein
Wort kehrt nicht die Regel, diesen Degen, um,
sondern die Routine, dieser Rost.

„Liebt im Frieden, wenn ihr in Gott ein
einziges Wesen liebt, ein anderes Ihr-Selbst an
Geist, Seele und Fleisch, liebt unter den drei Ge-
stalten, liebt im Frieden.

„Gottes Gesetz ist keine Gemeinde-Polizei.
Ich gebe euch Sicherheit, dass solches Gottes
Gesetz vorschreibt.“

Der Mönch schritt zum Altar als Sin sich
erhob.

— „Pater, du hebst unsre Gewissenszweifel
in dieser Stunde auf. Eine Frage knüpft sich
an die meines Bruders Nebo. Man weigerteihm
die Absolution, da er ausser der Ehe liebte, mir
weigerte man sie, weil ich nicht zeugen will.
Ist Fortpflanzung Pflicht?“

— „Ndn“ sagte der Mönch, denn der heilige
Paulus ermächtigt die Ehegatten, Enthaltsamkeit
zu bewahren, wenn das Einverständnis wechsel-
seitig ist, wo inbegriffen ist, dass das Ziel der
Ehe nicht Fortpflanzung ist.

„Die aus dem Geiste zeugen, sollen nicht
entsprechend dem Körper zeugen, und ich be-
darf wohl keiner Erläuterung über die im Sym-

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