Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 70 (Juli 1911)
DOI Artikel:
Fuchs, Richard: Der Rang der Geschlechter
DOI Artikel:
Blass, Ernst: Das Behagen
DOI Artikel:
Wauer, William: Theatertechnisches
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0114

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
der Frau liegt in ihrem tieferen Geschlechts-
grunde. Ihre äusseren Züge sind dagegen zu-
fällig. Die Liebe zur Schönheit ist die beste
Rettung vor unserem Unansehnlichen, aber sie
ist eine Phrase, wenn sie nicht vor jedem ur-
sprünglichen Wesen, dem schönen wie dem häss-
lichen bis zum Neid entzückt wird, bis zur Ver-
werfung unseres männlichen Witzes, der in un-
serem ewig einsamen Geschlecht rast.

Die Frau bleibt die schwere Aufgabe für
den Mann, die ihm gestellt wird. Sie kann kein
Mittel zu seinem Zwecke sein.

Weiblichkeit ist einer der subjektivsten Zu-
stände des Lebens. Die Subjektivität der Frau,
diese Durchsichtigkeit im Schleier des Geschlechts,
der sie verhüllend befreit, ist ihr leichtes Ge-
heimnis, das kaum zurückgehaltene Rätsel ihres
Wesens. Die Frau hat ein inneres und eignes
Geschlecht, indessen der Mann zum grossen Teil
nur ein äusserliches und fremdes Geschlecht hat.

Individualität ist die Eigenschaft, die vom
Manne verlangt wird.

Man lässt ihn logischer Weise für etwas
gelten, das ist der soziale Missbrauch des Man-
nes. Aber Vorrechte sind faul und zerhröckeln,
wenn sie nicht gegen etwas Warmes und Näheres
verkauft werden.

Im Grunde sind nur Vorzüge, die unausrott-
bar sind, praktisch wertvoll. Die Geschlechts-
vorzüge der Frauen sind wie alle Vorzüge nicht
mit uns geteilte, nicht durch uns einholbare Vor-
teile von unentgeltlicher, ja unverantwortlicher
Kraft.

Der Mann hat kaum einen Geschlechtsvor-
teil Vielleicht liegen also seine Vorzüge wo
anders.

Zu Schöpfungen der Wirtschafts- und Gei-
steswelt genügt der Mann.

Der Mann ist nur notwendig, aber das Weib
ist kaum zu entbehren.

Dass er das Originale je für zweitklassig
hat halten können, ist für die Stimmung des
Philisters charakteristisch, der nur die Unterord-
nungen, aber nie die höheren Ordnungen des
Lebens mit einem nassen Auge begleitet.

Und doch schafft gerade die scharfe Tren-
nung der Wesen das lebendige Wunder. Unsere
erste Spezialisierung hat für alle im äusseren
Unterschied der Geschlechter ihren Ausdruck er-
halten. In diesen Untiefen des Geschlechtslebens
irrt sich der Laie. Aber Geschlechtsverbindun-
gen haben weitergehende Beziehungen als Ge-
sellschaftsverträge, Beziehungen, die jedem Durch-
schnittshelden entgehen und unliebsam sind.

In der Einlösung aller schweigenden Kon-
sequenzen liegen die Tiefen der Geschlechtlich-
keit und die Interessen der Menschheit.

Keine Verbindung der Menschen bewahrt
die kindliche Unschuld ihres Anfanges, weil man
zunächst gar keine freie Wahl, also auch kein
Verdienst hatte. Jede Seelenbewegung läuft bis
zum Ende ihrer eingesetzten Fähigkeit. Gefühle
sind nicht minder ein sich überstürzender Me-
chanismus. Aber nicht nach unserer Gedanken-
einteilung, sondern nach unserer organischen
Zweiteilung vollzieht sich unsere Erhebung oder
unsere Niederlage.

Das Geschlecht des Weibes ist eine Natur-
wirkung, die über kleine Unterschiede hi»weg-
geht, um den Wiederstandslosen matt zu 9«tzen
und den Widerstrebenden hochzubringen.

Das Geschlecht gleicht die Gegensätze nicht
aus, sondern geht über Gegensätze hinaus zu
weiteren Gegeri^ätzen.

Den Mitteln, wodurch eine Frau wirkt, kann
der Mann nichts wegnehmen. Nicht um sie zu

piündern, sondern um sie in ihrer Fremdheit zu
cmpiangen, ist die an uns herantretende sicht-
bare Wohltat der Frau ein Ereignis in unserem
Leben.

Die Frau kann uns vom schönsten Vorbild
sein aurch ihr Verlangen nach unserem beken-
nenden Wesen.

D;e Verkennung der Frau verwischt den not-
wcndigen Unterschied zwischen unserem Wunsch
und dem Wesen, das ihn uns erfüllt, oder zwi-
schcn männlichem Ideal und seiner weiblichen
Dars'ellung. Das Weib bleibt trotzdem dasselbe,
wenn es den Wunsch des Mannes erregt und
wenn es den Wunsch ausführt.

Jeder Vorzug kann von einer andern Seite
leicht als Mangel erscheinen, aber für alle an-
gebüchen Mängel hat der Mann nur mit um
so mehr Phantasie einzuspringen. Es bleibt in
der Frau in aller ihr bewussten Huld und
Scbuld ein ungenossener Reichtum übrig.

Das Seelenlose, welches der Mann glaubt
der Frau nachzuahmen, ist nichts als grosse
Torheit.

Ein hauptsächlicher Schaden für den jun-
gen Mann ist, dass ihm die Frau Anderer als
Gemütsbraut gegenüber steht. Die Folge ist,
dass er alle weibliche Güte mit seiner goldenen
Sehnsucht verwechselt und zu früh der Abrech-
nung mil der Frau enthoben wird.

Das Ueberragende des Mannes über die
Frau mag galant sein. Der Geist der Ebenbür-
tigkeit ist schon rücksichtsvoller, aber erst unsere
Gewissheit, dass die Ueberhebung wegen irgend
welcher Ueberlegenheiten unsererseits unmöglich
bleibt, ist ein freies Glück des Mannes.

Der Unfreie schätzt das Leben nur nach Ge-
fühlen, aber das Gefühl ist eine Vorstellung, die
alle Dinge in uns begleitet, und darum ein viel
zu schwankender Massstab für die wahre, von
persönlichen Stimmungen unabhängige Erkennung.
Befriedigung, Genuss wird dem Manne durch
keinen Vergleich mit etwas rein Innerlichem, son-
dern nur durch das ausser ihm. Sinnlichkeit ist
männliche Sentimentalität. Sinnlichkeit ist dte
Grundlage für beide Geschlechter, durch diesich
mancher ihrer Werte erhöht, keiner vermindert.
Wird aber ein beiden Geschlechtern gemeinsa-
mes Element zur ausschliesslichen Vorstellung
des Mannes, so bekommt er ein falsches Bild
von seiner Macht. Der Trieb, der nur seine
Eitelkeit befriedigt, hält keinen Vergleich aus mit
dem Naturtrieb, der sich im bewussten Kampf
mit der Stärke des Andern entzündet. Die geist-
reichen Menschen überschätzen ihre Erfolge. Die
Leichtigkeit, die sich im Lob der Frau genügt,
ist für die Frau das schlechteste Liebesgeschenk.
Die einseitige Idealisierung verhindert meist die
eigne Idealität, den freien Geist der Männer.
AIs ob sie von den Vorzügen der Frauen in
sich selbst genug hätten, bereiten plumpe Herren
die Frau auf ihr männliches Persönliches vor,
statt sich für das Andersgeartete der Frau, für
ihre Vollkommenheit, die vor allem die totale
Negation des Mannes ist, bereit zu halten. Lege
ich mich selbst der Frau unter, so lege ich ge-
rade das ihr fremdeste Wesen unter. Der Ge-
danke der Männer bringt die Frauen in zu be-
schränkte Verhältnisse. Leute, denen es mehr
auf die Quantität als auf die Qualität des Ver-
stands ankommt, mögen die Frauen nach der
Männerkultur schätzen.

Der schöngeistige Dilettant macht die ganze
Natur zum menschlichen Wesen und verleiht ihr
gefühlvoll das Geschlecht des Weibes. Der Blinde
ist gern über seine Verhältnisse grossmütig und
verschenkt, was er selbst nicht besitzt. Wenn

wir weibliches Wesen wieder in eine solche Na-
turallgemeinheit bringen, verlieren wir sein sel-
tenes Element ganz aus dem Auge.

Die Natur ist nicht mit dem Guten und
nicht mit dem Bösen des Weibes zu verwech-
seln. Auch der Mann ist Natur. Mit sich al-
lein, ist er noch oft genug krass. Ist der Mann
abei in der Mehrzahl, so ist er vollends schäd-
lich.

Nicht aus uns, nicht aus dem Mann kom-
men unsere erschütternden Erlebnisse. Unser
Höheres gehört meist Anderen als uns. Was
wir original besitzen, ist im besten Sinne ein
neuer Schmuck für Fremde, für die Frau, für
die Welt.

Wenn die Befreiung von uns selbst unser
Wunsch wird, dann ist unser Glück gross. Wenn
der Mann von den Besonderheiten der Dinge
am tiefsten berührt wird, lebt er unmittelbar und
in der Vollendung wie sie, die aus Natur die
fernsten Dinge nahe bringt und das Unterschei-
dende erweckt, von schnell eindringendem Geist,
der die Formen wechselt und dadurch die For-
men schafft.

Das Behagen

Wir quälen uns. In flaue Freundlichkeit
Hat uns der Walzer und der Wein gebettet.
Wir machen uns in unsern Sesseln breit
Und spüren, wie die laute Nacht verfettet.

Ach, dieser schäbig blanke Glanz der Lichter;
Wie friedlich ihn die Spiegel wiedergeben!

Und wie der armen, geckigen Gesichter
Langende Lippen — gähnend sich verkleben!

Der Rechtsanwalt sitzt da — auf dem Fauteuilche.
Er ist noch jung trotz seiner funfzig Jahre,

Es glänzen seine feuchten Glatzenhaare

Und seine kugelrunde Nase, welche

(Und mit dem Ausdruck: Dies ist doch das Wahre! 1)

Entsteigt dem zitternden Champagnerkelche.

Ernst Blass

Theatertechnisches

Von William Wauer

Darsteller, Licht, Körperlichkeit sind tatsäch-
lich. Die Malerei kann auch nur als Malerei
tatsächlich sein.

Die Malerei als bühnentechnisches Ausdrucks-
mittel ist unmöglich anderes als Malerei.

Die Entfemung der Malerei von der Bühne
gibt erst die Möglichkeit wahrer malerischer
Betätigung im Theater.

Der bestgemalte Wald gibt weniger Illusion
als die einfache Aufschrift „Wald“, denn der ge-
malte schliesst eine Illusion ab, indem er sie
wiedergibt, die Aufschrift regt die Illusion an,
indem sie alles der Phantasie überlässt.

Die jetzige Art der Darstellung stellt das
Wirken des Darstellers unter die Wirkung der
allgemeinen malerischen und szenischen Illusion.
Um die Täuschung des leblosen Bildes zu er-
möglichen, wird der Darsteller falsch und wi-
dersinnig beleuchtet, er muss unsinnige und un-
mögliche Bewegungen machen und überall auf
seine Umgebung verkehrte Rücksichten nehmen.

558
 
Annotationen