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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 94 (Januar 1912)
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Walden, Herwarth: Zeitgeschichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0306

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Zeitgeschiehten

Berliner Bauordnung

Die Architkten regen sich fortgesetzt kolossal
fiber die Baupolizei auf. Der verstorbene Minister
von Budde soü auch dagegen gewesen sein.
Wenigstens hat er einer Deputation der Vereini-
gung Berliner Architekten erzählt, daß er sich in
etner polizeiwidrigen Wohnung wohl befunden
habe. „Die Architekten verabschiedeten sich da-
mals hoffnungsfreudig von dem Minister, der aber
bald nach der Audienz starb. Mit ihm wurden
manche Hoffnungen der Architekten begraben.“
Die Architekten hingegen blieben leben und bauen
zwar meistens nicht polizeiwidrig, aber wieder-
licher, als es die Poiizei erlauben sollte. Keine
Stadt der Welt ist mit so kitschigen Bauten ver-
saut worden, wie Berlin. Die Herren sind offen-
bar alle auf ihre malerische Phantasie stolz, was
sie so darunter verstehen. Im iibrigen leben sie
von der Renaissance und von Bayern. Die beam-
teten Architekten leisten das Uebelste. Ein Bau,
wie die neue Königliche Bibliothek des Herrn Ihne
ist eine Schmach für die Kunst und für Deutsch-
iand. Die zweite Schmach, oder vieimehr die
tausendste, wird das neue Königliche Opernhaus
werden. Man hört zunächst, daß ein Baubureau
errichtet ist. Auch die bösesten Kitscher stehen
bereits zur Wahl. Man muß sie runterreißen, ehe
Sie zu bauen beginnen. Für alles hat die Erde doch
nicht Raum. Ist die Architektur eine Kunst, so
wird sie wohl mit ein paar baupolizeiliche Vor-
schriften fertig werden. Beschränkung hat noch
keinen Meister gehindert, aber in der Beschränkt-
heit wünschen wir keinen Meister mehr zu sehen.

Das Volk bei der Arbeit

Das Volk der Gelehrten und Schriftsteller ist
von der Redaktion des Berliner Tageblatts bei der
Arbeit aufgesucht worden. Man ist allerseits ko-
lossal beschäftigt. Die größten Werke stehen be-
vor. Der Sturm wird täglich erscheinen müssen,
»m alle die Bauten niederzureißen. Die Aeuße-
rungen efniger Handwerker seinen hier wiederge-
geben:

Herr Raoul Auernheimer: „Es gibt zweierlei
Dichter: Solche, die über ihre Arbeiten reden, und
solche, die blos arbeiten. Ich selbst, wenn ich
mich überhaupt zu den Dichtern rechnen darf, was
ich nicht so bestimmt weiß wie die meisten meiner
Koilegen, möchte lieber zu der zweiten I<ate-
gorie gehören.“ Kollege Auernheimer kann die
Rechnung ohne den Dichter machen.

Herr Hans Brennert: „Mit der einon Hand
schreibe ich an einem heiteren Stück . . . aus der
andern Hand r u p f t mir der Komponist ... die
eänzelnen Blätter eines unter der Feile be-
fi n d 1 i c h e n Librettos.“ Also doch keine reine
Handarbe t, da dem Künstler die Blätter unter der
Feile weggerupft werden.

Herr Beyerlein, nach dem Zapfenstreich: „Ich
meine einen Konflikt gefunden zu haben, der einen
gev/issen weiteren Ausbiick gewährt, und zugleich
stark genug ist, als Gerüst eines Dramas zu die-
nen“. Der gewisse weitere Ausblick als Gerüst
fäßt tief blicken. Das sieht der Herr Beyerlein auch
sieben Zeilen später schon ein: „Vielleicht stellt
sich bald genug heraus, daß ich rnich in ein schäbi-
ges Trugbild verrannt habe“. Welch
Glück für ihn, daß das Trugbild keine Mauer war.

Herr Georg Engel: „Ein neuer Roman liegt
eben abgeschlossen vor mir, an dessen Ietzte Um-
arbeitung und Ausgestaltung ich eben herantrete“.
Still, o stille.

Herr Otto Erler: „Handelt es sich um einen
Stoff, der zur Inkarnierung persönlichen
Erlebens dient, oder den ich schon im Arbeiten für
mich persönlich umgeschaffen habe, so kann ich,
bevor ich mit der Arbeit fertig bin, zu Niemandem

darüber reden. Das e r s t e r e ist momentan der
Fall. Anders ist es mit einem Stoff, den ich erst
mögiichst mit allen W u r z e I n aus dieser Zeit her-
ausreißen will.“ Das „letztere“ ist momentan der
Fall: Herr Erler reißt einen Stoff nebst allen
Wurzein aus seiner Thüringer Heimat heraus. Das
ersteste aber audh. D a r ü b e r kann der Dichter
nicht reden. Wahrscheinlich ist das Gebrauchs-
muster zur Inkarnierung von Stoffen noch nicht
angemeldet. Bei der Konfektion kann man nicht
vorsichtig genug sein.

Herr HerbertEuienberg, die Hoffnung:
„In wenigen Wochen aber will ich nach Rom
reisen, um dort als P h i 1 o s o p h zu Ieben und mit
Engeln und Teufeln um ein neues Stück zu
r i n g e n.“ Si tacuisses . . .

Herr KarlHauptmann: „So kann ich zum
Schluß nur hoffen, daß über meine drei neuen
Dichtungen die Frühlingssonne die Ietz-
t e n Lichter bringe.“

Herr Felix Hollaender: „Der Dichter soll wie
der Landmann das Korn still wachsen lassen und
fleißig beten, daß Gott es reifen lasse und vor Un-
wetter schütze.“ Nur, daß vor mancher körnigen
Dichtung selbst ein Unwetter nicht schützt. Man
soll aber doch fleißig darum beten.

Herr Eberhard König (?): „Zunächst — daß im
kommenden Februar die Uraufführung meines mit
dem Verbandspreise Deutscher Bühnenschriftsteller
ausgezeichneten mythologischen Schelmenspiels
bevorsteht, ist doch wohl bekannt.“ Diesem Ver-
bandsdichter werden trotz des Verbandspreises
noch Wunden geschlagen werden. Das ist doch
woh! bekannt. Aber es gibt ein Mittel zum Selbst-
schutz für ihn: „Im übrigen stecke ich in den Vor-
studien einer historischen Erzählung.“ Er möge sich
nicht heraustrauen.

Herr Jon Lehmann, Verlegerdichter:.er-

widere ich Ihnen ergebenst, daß ich seit I ä n g e -
r e r Z e i t mich nicht mit einer literarischen Arbeil
beschäftigt habe.“ Der Herr muß sich irren, er
hat sich noch n i e damit beschäftigt.

Herr Heinrich Lilienfein: „ . - . und liebäugle
mit allerhand dramatischen Musenkindern: Ein
Herrscher aus griechischer Frühzeit, ein Bauer aus
meiner schwäbischen Heimat, die Gemahlin des
letzten Stuart.“ Sie sind ziemlich ausgewachsen,
die Musenkinder. Aber wie das so ist, bei man-
chem Dichter ist alles ausgewachsen.

Herr Friedrich Werner von Oesteren: „Soweit
nicht schon der Titel das Problem verrät (Die
Pficht zu schweigen), will ich doch angeben, daß
sich der Gegenstand teilweise an die Hamlet-
tragödie anlehnt, sie jedoch in zeitgemäßer
Fassung spiegelt und sich im modernen Gesell-
schaftskreis abspielt.“ Da hätten wir nun endlich
auch den zeitgemäßen Shakespeare.

Herr Richard Voß: „Was ich an meinem
Schreibtisch gerade tue und treibe soll ich sagen.
Nicht anderes, als was seit vierzig Jahren und län-
ger mein Handwerk ist.“

Herr Professor Dr. Wilhelm Ostwald: „Von
allen diesen Unternehmungen darf ich sagen, daß
sie die an sie gewendete Energie mit gutem, teil-
weise sogar ausgezeichneten Giiteverhältnis trans-
formieren. Da das nach einer von mir vor Jahren
aufgestellten Theorie gliickbringend sein soll, so
habe ich Gelegenheit, die Probe darauf zu machen.
Die experimentellen Resultate, die ich an mir selbst
beobachte, bestätigen die Theorie glänzend.“
Nachdem der führende Professor seine Theorie an
sich so glänzend bestätigt findet, sollte niemand
mehr zögern, Ostwalds energetische Formel des
Glücks anzuwenden. F*—W 2 = (E-f-W) E—W.
Man handle danach, und das Glück ist jemacht.

Professor Erich Schmidt: „Dann werde ich so-
gleich ein lang hinausgeschobenes Buch über
Uhland endüch abzustoßen suchen.“ Ein ver-
storbener Dichter, auch wenn er garnicht einmal so
gut war, muß manchen Schubs und manchen Stoß
vertragen können.

Sylvesterrausch

Die Vossische Zeitung von Staats- und gelehr-
ten Sachen modernisiert sich andauernd. HaupG
sächlich durch Rundfragen. Nachdem sie sich erst
Weihnachten vori den Berühmtheiten Rat über die
Abschaffung der Weihnachtszensur geholt hat,
wandte sie sich zurn Jahresschluß voller Sorge
wieder an die Berühmtheiten, um das gesellschaft-
liche Leben von Berlin zu heben. Die Berühmt-
heiten, die gesellschaftlich hervorragenden Persön-
lichkeiten sollten ihre Meinung äußern, „ob diese
Klagen berechtigt sind, und „evtl.“ Vorschläge
machen, durch welche Neueinrichtungen das Ni-
veau des gesellschaftlichen Lebens zu heben wäre.“
Die gesellschaftlich hervorragende Persönlichkeit,
Herr Ludwig Fulda, äußert:

„Wie dem abzuhelfen wäre? Keinesfalls durck
künstliche Mittel. Am ehesten noch durch de«
Entschluß, das Zusammensein, wie in andere«
Ländern, von der Hauptmahlzeit abzulösen und
erst nach dieser beginnen zu lassen. Wenig-
stens der wirtschaftliche Damm, den die Ab*
fütterungspflicht jeder großzügigen Erweite-
rung des notgedrungenen Rahmens entgegea-*
stemmt, würde dadurch in Wegfall kommen.
Denn der schlimmste Feind einer höheren Ge-
selligkeit ist die Gasterei.“

Nichtessen ist jedenfalls ein künstliches Mit-
tel. Das aber die Abfütterungspflicht
der großzügigen Erweiterung des notgedrungene«
R a h m e n s einen wirtschaftlichen Damni
entgegenstemmt, ist durchaus künstlerisches Mittd
des Herrn Fulda. Zu diesem Bild paßt der not-
gedrungene Rahmen wie bestellt.

Der Literaturprofessor Herr Richard M. Meyer
behandelt das Problem mit Tiefe: „Sie frage«
nach meiner Meinung über die Berliner Ge-
selligkeit und ihre Reformbedürftigkeit. Was zu-
nächst den letzten Punkt angeht, so bin ich
der Meinung, alles, was ist, könne noch vernünf-
tiger werden.“ Nur der Professor Meyer nicht
Denn seine Vernünftigkeit geht bereits bis an de»
letzten Punkt. Herr Meyer verkehrt seit fünfzig
Jahren viel und in verschiedenen Kreisen. „Ueber
unser geselliges Leben glaube ich mir daher scho»
ein Urteil zutrauen zu können.“ Wenn er im Ver-
kehr mit der Literatur sich nur auch sovie! Zeit ge-
Iassen hätte. Im Uebrigen scheint Herrn Meyer
der Grund für den vielbeklagten Mangel das Fehlen
einer einheitlichen Tischzeit zu sein. Während
Herr Fulda überhaupt gegen das Essen ist. Auch
für schönen Tafelschmuck und geschickte Tisch-
ordnung ist Herr Meyer. Nur Mut. Die Sache
wird sich schon machen lassen. „Ganz exclusiv
ist nur die Hofgesellschaft; die aber hat in der Ge-
schichte der innerlich vornehmenGe-
s e 11 i g k e i t überall nur eine vorübergehende
Rolle gespielt.“ Jetzt spielen die Literaturmeyer*
die Rolle der innerlich vornehmen Geselligkeit, und
der Professor Meyer wird u n s hoffentlich dere»
Geschichte schreiben. Herr Meyer ist durchaus in
guter Hoffnung: „AIs junger Privatdozent mußte
ich noch ohne Tischdame bleiben, während der
Hausherr zwei Damen führte, um sie vor einem
ranglosen Herrn zu schützen.“ Jetzt hat Herr
Meyer einen Rang und leider auch eine Meinung
und kann unter Umständen sogar zwei Damen zu
Tische führen. Im eigenen Heim mit Tafel-
schmuck. „In den letzten Jahrzehnten hat der
Deutsche große Fortschritte in der Kunst des
Schreibens gemacht; er ist eben dabej, Lesen zu
lernen, weshalb sollte er nicht auch noch lernen zu
sprechen?“ Großzügige Pathetik. Aber es wäre
besser, wenn der deutsche Meyer erst einmal
sprechen lernt, ehe er sich mit dem Lesen oder gar
mit dem Schreiben abgibt. Hochachtungsvoll.
Herr Anton von Werner hingegen resigniert:
„Antwortlich Ihres Geehrten vom 18. d. M
bedauere ich unendlich, auf diesem Gebiet der
Routs, Diners und five o’clocks, sowie der
größeren Geselligkeit überhaupt zu wenig be-

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