Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 94 (Januar 1912)
DOI Artikel:
Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0310

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stiick gewesen und kein Junge will mehr hingehen.
Die Unglücke sehe er ia sonst gern. Er war
■och ganz erregt am Morgen und erzählte mir fol-
gendes: Es war ein Mann der hieß Marius der
hatte eine Braut bekommen beim Tanzen und da
schrieb die Braut dem Marius ein helles Fenster
sollt ihm in der Nacht zeigen wo sie wär. Im selben
Haus war ein Hotel, das Haus war ein Hotel ü'oer-
haupt davor ein Irrenhaus für die Geisteskranken
von Doktor Russel wo die Leute mit Strahlen ge-
heilt werden von Doktor Russel. Herr Marius
hatte sich in der Dunkelheit verirrt und ging in das
Irrenhaus in eine Zelle. Da kommt plötzlich mit
dem Auto ein Geisteskranker her und er wärd von
einem Diener durch Strahien zum Schlafen ge-
bracht und schläft. Da wird er wieder wach und
wollte aus dem Fenster flattern aber sinkt vors
Bett und auf einmai kommt Marius rein sieht den
irren Mann und sofort vor lauter Angst hinter die
Wand aber der Geisteskranke packt ihn an die
Kehle und würgt ihn fast ganz tot aber nicht ganz
tot auf einmal hört das ein Wärter der nachts rum-
geht macht die Tür auf und man kann da plötz-
lich reinsehn in Doktor Russel sein Zimmer der
sitzt mit Marius seiner Braut auf dem Bett und
poussiert.

Liebes Kurtchen, morgen komme ich in Dein
Bureau, Potsdamerstraße 45, mit der Rechnung vom
Clichd Deines Bildes — hoffentlich hast Du Dich
getroffen gefiihlt.

Nota: Cliche sechs Mark. Zwei Mark zwan-
zig das Auto in die CIich6fabrik; drei Mark fünfzig
mit Trinkgeld das Diner bei Kempinski und
für fünfzig Pfennig Fachinger. Bei Kranzler trank
ich Schokolade für fünfzig Pfennig und aß für fünf-
undsiebzig Pfennig Törtchen, die alt waren. Nahm
dann wieder ein Auto in die großen Rosinen. (Mein-
hard spielte famos.) Dreißig Garberobe, sechzig
Foyer (Lachsbrödchen). Nahm dann ein Autof
raste ins Cafe des Westens, dich und Herwarth
abholen; traf Euch nicht, fuhr schließlich im selben
Auto heim, kam aber zu spät, mußte den Portier
herausklingeln für fünfundzwanzig Pfennig. Bitte
zähle die Summen zusammen, irre Dich nicht nicht.
Laß Dein Gemälde einrahmen in Watte, Dich ein-
salzen wo der Pfeffer wächst.

Tch grüße Dich! Else L.-Sch.

Lieber Herwarth, liebes Kurtchen, ich bin
Adolf Lantz begegnet; er trägt, seitdem er Direk-
tor ist, einen Zylinder, der blaakt.

Ich gehe jetzt seltener ins Cafe, ich kann es
nun auswendig. Es ist ja nicht allzu schwer zu
lernen; internationale Cafes sind schwerer zu be-
halten. Ich plaudere wieder so vor mich hin wie
Verblühn. Ich habe alles abgegeben der Zeit, wie
ein voreiHger Asket, nun nimmt der Wind noch

meine letzten herbstgefärbten Worte mit sich.
Bald bin ich ganz leer, ganz weiß, Schnee, der in
Asien fiel. So hat nie die Erde gefroren, wie ich
friere; woran kann ich noch sterben! Ich bin ver-
weht und vergangen, aus meinem Gebein kann man
keinen Tempel mehr bauen. Kaum erinnerte ich
mich noch an mich, wenn mir nicht alle Winde ins
Gesicht pfiffen. O, du Welt, du Irrgarten, ich mag
nicht mehr deinen Duft, er nährt falsche
Träume groß. Du entpuppte grauenvolle Welt-
sagerin, ich habe dir die Alaske vom Gesicht ge-
rissen. Was soll ich noch hier unten, daran kein
Stern hängt.

Ich bin nun ganz auf meine Seele angewiesen.
und habe mit Zagen meine Kiiste betreten. So viel
Wildnis! Ich v/erde selbst von mir aufgefressen
werden. Ich feiere blutige Götzenfeste, trage böse
Tiermasken und tanze mit Menschenknochen, mit
Euren Schenkeln. Ich werde aber mit der Zeit mich
besänftigen können. ich muß Geduld haben. Ich
habe Geduld mit mir.

Schmidt-Rotluff hat mich im Zelt sitzend ge-
mait. Ein Mandrill, der Schlachtengesänge dichtet
Schmidt-Rotluff hat mich als Mandrill gemalt, und
ich stamme doch von der Ananas ab. Ihr habt den
Affen iiberwunden; man kann sich doch von nichts
in der Geburt vorbeimachen! Bin entzückt von
meiner bunten Persönlichkeit, von meiner Ur-
schrecklichkeit, von meiner Gefährüchkeit, aber
meine goldene Stirn, meine goldenen Lider, die
mein blaues Dichten iiberwachen. Mein Mund
ist rot wie die Dickichtbeere, in meiner Wange
schmückt sich der Himmel zum blauen Tanz.
aber meine Nase weht nach Osten, eine Kriegs-
fahne, und mein Kinn ist ein Speer, ein vergif-
teter Speer. So singe ich mein hohes Lied. O,
Herwarth, Ihr könnt es mir ja alle nicht nach-

fühlen .was blieb Euch vom Affen übrig? Her-

warth, du brauchst es ja nicht wiedersagen, Her-
warth. ich schwöre es dir bei dem Propheten
Darwin, ich bin meine einzige unsterbliche Liebe

Lieber Herwarth, ich höre, Du hältst einen mu-
sikalischen Vortrag bei Cajus-Majus im Cabaret
Gnu. Ich weiß noch nicht, ob ich kommen kann.
Das Gnu hat so viel Junge geworfen, die sicher
nicht blind für deine Musik bleiben. Es hat jemand
herumgebracht, seitdem Du eines Deiner Lieder
einer Anderen gewidmet hast, als mir, inter-

essieren mäch Deine Vertonungen nicht mehr.

Jemand hat nicht ganz Unrecht. Subjektiv nicht
mehr! Ich glaubte immer, Du könntest nur meinen
Glanz aushalten, daß keine blasse Sehnsucht in Dir
stecke.

Lieber Herwarth, ich gehe doch in das Cabaret
von Dr. Hiller, schon um der kleinen Martha Fel-
chow Pralin6es zu bringen. Sie sitzt vor der Ein-
gangstür an der Grenze zwischen Prolet und Gnu
und nimmt die Zölle immerzu.

Ich hörte, Ludwig Hardt habe wieder so groß-
artig im Choralionsaal vorgetragen — er ist der
einzige Liliencron-Interpret. Er gab mir mal alleine
einen Liliencron-Abend, in einem der Erkerviertel
des Cafüs. Sein Vortrag trägt die weiche Seele
Liliencrons, das Stahl seines Herzens. Ludwig
Hardts Stimme marschiert mit Sporen durch
des Dichters Kriegsgedichte. Ludwig Hardt
ist ein lyrischer Soldat, er ist adelig, wie Liliencron.
Sein Elternhaus lag, eine Löwin. an goldener Kette.

Heute kommt Ludwig Kainer und zeichnet
mich für den Sturm als Prinz von Theben. Meine
zwei Neger, Ossman und Tecofi, der Häuptlings-
sohn, werden ihn im Vorhof meines Palastes em-
pfangen. Ich trage mein Feierkleid und meinen
Mtischelgürtel und den Islamstern des Sultans über
meinem Hcrzen, und werde nach „ihm“ aussehn.

Lieber Herwarth, liebes Kurteben, ich babe
vor, eine große Festlichkeit zu veranstalte«;
meine Gemächer sind nicht geräumig genug,
und ich begab mich heute morgen ios
neue Schioßviertel hier zu der Marquise
Auguste Fürst-Foerster, der ich die Valencienne-
hand mit Ehrfurcht küßte. Sie war wie immer
vön ausgesuchter Delikatesse Hnd stellte mir
auf meine Bitte ihre Salons zur Verfügung. Dal
sie hoffe, auch als Gast erscheinen zu dürfen, auf
meiner hohen Festlichkeit, erfreut sie unendlich.
Dann geleitete sie mich zwischen Rosentapete«
ihrer Korridore; „Allerhöchste Marquise“. — Mar-
quise (gnädig lächelnd zu mir): „Hoheit“ . . .

Herwarth, ich habe noch eine Zeichnung von
S. Lublinski gefunden, wie ich ihn heimlich zeich-
nete iiber lauter Köpfe im Cafc hinweg, da wir uns
vorher gehauen hatten. Er war ein Ch^rakter. Die
einzige Eigenschaft, die einen ganzen Charakter
ausmachen kann, ist Mut. Also war er n o c h
m e h r wie ein Charakter. er war ein rostiges
Gefiige.

Herwarth, ich schreibe hier einen offenen Brief
an Paul Cassirer.

Sir, es war für mich keine Ueberraschung, in
ihrem vornehmen Salon die Werke Oscar Kokosch-
kas zu bewundern. Manche von den Betrachtern
hielten sfch sicher ihr Laehen ein, in Erinnerung
an Sie. Sir, des unumstößlichen Glaubens wegen
an Sie, Sir, Ihres kunstverständigsten Namens we-
gen, Sir, Ihrer Sicherheit in den Farben und Werte*
und Zeitwerten wegen, Sir; Sie haben sich ani
Tage, da Sie Oskar Kokoschka in Ihren Salons aus-
stellten, selbst hundert Jahre voraus in die Zukunft
gesetzt, indem sie als erster Kunsthändler in Ber-
lin den Ewigkeitswert seiner Schöpfungen erkann-
ten. Ich hörte mit nicht geringem Erstaunen, daß
Sie eine zweite Ausstellung von Kokoschka in
Ihren Sälen veranstalten wollen, Kopieen seines
Genies. Warum das schon bei seinen Lebzeiten?
Warum echten Wein verwässern, wenn schwach-
befähigte Besucher Herzklopfen bekojnmen! Oder
besoffen werden und taumeln oder ausfahrend wer-
den. Ich fordere Sie allerhöflichst auf, Sir, dies«
Ausstellung zu unterlassen. Oskar Kokoschka ist
kein Zwilling, er hat noch nicht einmal einen Vetter,
aber einen Meuchelfreund. Ich rechne darauf, Sir,
und mit mir zeichnen noch ernste Bewunderer der
Oskar Kokoschkabilder, Sie unterlassen eine Aus-
stellung der Kopieen, die Max Oppenheinier in
Ihren Sälen zu beabsichtigen gedenkt. Und ge-
nehmigen Sie meine hochachtungsvollen. verbind-
lichsten Griiße, Sir. Else Lasker-Schüler

Oppenheimer hat auch Anhänger — jawohl,
bitte — an seiner Uhrkette hängen. Max Oppen-
heimer, Abbe. Sie wollten mich rücklings in di«
Beichte stecken . . . Denn Niemand weiß so ge-
nau wie ich, daß Sie farbige Wechsel ausschrei-
ben mit der Unterschrift Oskar Kokoschkas.
(Dieses schrieb ich ihm im Cafd, er glaubt, ick
le prince de Theben, bin das Werkzeug einer
Partei.)

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALBN9EE
 
Annotationen