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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 96 (Januar 1912)
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Scheerbart, Paul: Tempel und Paläste: Babylonische Hofnovellette
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Mürr, Günther: Hamburg, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0324

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euien Zweck. Ich bin doch nur Köhig' von Baby-
ton, um Euoh Tempel zu bauen und tnir Paläste.
Paläste und Tempel — Tempd und Paläste — dle
füllen mein Leben aus, und niemals sotl es anders
werderr. Ich danke Euch, Oötter! Ich danke atich
den anderen Qöttern. Oebt mir lange noch dte
Kraft, zu bauen — und abermals zu bauen — und
Eure Tempel zu schmücken mit den herrlichsten
Kleinodien der Welt — mit Gold und Silber, Pur-
pur und Edelsteinen — mit Alabasterstufen und
farbigen glasierten Ziegeln — mit Qötterbildern
und Weihrauchbecken — mit köstlichen bunten
Lampen und auch mit weisen Priestern, die mehr
vom großen Leben begriffen haben als die bünde
Menge.“

Er Iag noch lange auf den Knien — der groSc
König Nabukudurusur, den die Qriechen den gro-
ßen Nebukadnezar nannten. Er regierte erst drei
Jahre über Babylon und das große Königreich.

AIs der Nabukudu langsam durch den Säulen-
gang zurückging, kam ein aiter Sklave, der erste
Hausdiener des Königs, warf sich auch auf den
Boden und berührte dreimal mit der Stirn die
Älabasterfliesen und sagte scheu:

„Die Feldherren, die Siegreichen, sind aus Sy-
rien gekommen und woilen von ihren Siegen be-
richten.“

„Laß sie,“ sagte der König mit gerunzeltw
Stirn, „auf Tontafelrr ihre Berichte einkritzeln.
Die Tontafeln können dann meiner Bibliothek ein-
vedeibt werden — dürfen aber nur in der Lap-
palienkammer aufgestellt werden.“

Der Diener berührte wieder dreimal mit der
Stirn die Alabasterfiiesen und ging rasch ab.

Der König ließ sich darauf in seirrer Sänfte
in seinen großen Modellpalast tragen, allwo auch
alle Bauzylinder und die Tontafeln gebrannt wur-
den. Immer stieg qualmender Rauch aus den
breiten Schornsteinttiren des Brennofens, der sich
dicht über dem Dache des Palastes befand.

Im großen Perlmuttersaal sprang aer König
wieder aus seiner Sänfte und rief hastig:

„Was gibt’s neues?“

„Ein Bauzylinder,“ sagte em Sklave, „ist für
den Tempel von Ezida bei Borsippa — sbeben
fertig geschrieben worden. Der Ton ist uoch
warm.“

„Was steht darauf?“ fragte Nabukudu.

Da las der Sklave, was darauf stand.

Es stand auf dem Bauzyliuder, der wie ein
kleines Tönnchen aussah, das der erhabene Nabu-
kudurusur die Syrier in zwanzig Schlachten über-
wunden, ihre Frauen, Kinder und Sklaven, Pferde
und Kamele fortgeschleppt, ihre Städte einge-
äschert und ihre Felder verwüstet habe.

Der König hörte den Text ganz ruhig bis zu
Ende; Baumeister arbeiteten an den Holztischen
mit Zirkeln und Winkelmaß. Aber es war ganz
still im großen Perlmuttersaal.

Da sagte der König:

„Gib mir mal den Quark her.“

Der Sklave reichte den Bauzylinder auf den
Knieen.

Der König nahm den Bauzylinder, srpang auf
und warf das Stück Ton mit solcher Heftigkeit
gegen die eine Perlmutterwand, daß Perlmutter-
stücke und Tonstücke durch den ganzeu Saal
sprangen.

Die Baumeister hielten erschrocken in ihrer
Arbeit inne.

Der König aber rief mit rasender Wut-
Stimme:

„Totpeitschen sollte man Euch! Was ist das!
Ihr wagt es, von meinen Siegen zu sprechen?
Ihr Hunde! Ihr wagt es, mir eine Tätigkeit anzu-
dichten, die meiner gar nicht würdig ist? Habt
ihr keine Vorstellung von dem, was eine Majestät
Jst? Glaubt ihr, die wäre dazu da, Syrer zu be-
siegen? Ihr Hunde! Nein! Und abertnals nein!
Ich verbitte mir diese Siegesberichte — sie sind
beleidigend fiir mich. Bei Todesstrafe verbiete ich
euch für die Folge jedes Wort über Kriegsiappa-

lien. Von meiner Tempeln und Pa!ästen> habt ihv
in aflen Bauzyllndern und auf den Denkmälem jot
sprechen — aber nie mehr ein Wort über Kriegs-
lappalien! Qlaubt ihr, ich bin König nur, um euch
zu regieren und für euch dorch Kriegstaten za
sorgen? Nein — was ich tue — tue ich für dk:
hehren Qötter — für die Tempel und Paläste. Dfe
entstünden ja nte, wenn ich nicht König wäre,
Ihr arbeitet doch mir freiwillig, wenn ihr Hunger
und Durst habt — oder wenn ihr Weiber haben
wollt Aus meinen Augen, du Hund! Ich bin nur
König, um Ternpel und Paläste bauen zu können
— zu etwas anderem bin ich wahrlicb zu groß.“

Der Sklave, der den Bauzylirvder überrekht
hatte, schritt eiügst rückwärts tretend, zur Tür,
die Baumeister warfen sich auf den Fußboden.
Und Nabukudn ließ sich in seiner Sänfte hinaus-
tragen — ganz dicht am Ufer des Euphrat setzte
sich der König auf eine Hoizbank. Die Sonne
ging unter, m buntesten Farben flackerte der
Euphrat.

„Man hat mich,“ flüsterte Nabukudn, „befei-
digt. Klägliche Hunde haben mich beleidigt Ich
aber wiil’s vergessen. Wenn nur die Qötter gut
zu mir sind.“

Hamburg

Von Günther Mürr
Grosssfadtabend

Portsetznig

Nicht

alte Zeiten zurück sich sehnen,

Zukunftsseligkeiten sich träumen,

Fahren in Postkutschen schöner wähnen,
als Hinsausen im Automobil
Leben nur ist des Lebens Ziel.

Denen laßt’s, die vor Schwäche gähnen.

Doch ihr, deiren Kraft beglänzt das Gesiöht,
die sich strahlend im Heute dehnen,
die sich im Karnpf vor Freude bäumen,
denen Wirklichkeit ist Lebenslicht:

Die Faust dem Leben ins Qesicht,
gibt’s euch sioh nicht gutwillig.

Das Heute hat auch scinen seltsamen Qlanz.

Oft schließt seine Helle unsere staunenden Augen.
Seine Tage reißen im Reigen
des Qesterns stille, schöne Natur
und unsre rasche und Iaute Kultur.

Reichtum bringt unsern Sinnen der Tanz,
badet sie neu in neuen Laugeni.

Junges Atmen kann er uns zeigen,
damit wir uns voll von Leben saugen,
voll Leben, das Heute und Qestern vereint.

Sieh das Dunkel vom hellen Himmel steigen,

so wie vor vielen Jahren,

als Pechfackeln die Nacht verneinten.

Zaghaft steigt es vom Silbermond herab,
will in der Straßen enger Schnur
auf das Asphaltpflaster sich neigen.

Doch es komrnt bis zu den Dächern nur,
und es weint
stillen Nebel herab.

Lichtflüsse brechen aus den glattan

Fensterscheiben der Läden nnd

Lichtflüsse von den eiektrischen Bogenlampeii.

Auf der Straße der Lichtstrom

wöibt droben das Dunkef zu matten Bogen.

Welch ein Dom

mit Fliesen, Säulen, Wänden und Rampen
aus Licht, und die Wölbung aus Dunkeihelt.

Was sind da die Tempei ans früherer Zeit?
Unserm Leib paßt nur unser Kleid.

Vor Leben zitternd
schreiten die Gläubigen.

Breit stehen die Lichtstrahlen.

Sie malen Boden und Menschen und Laft

in seltsamen Tönea;

sre saugen Farbe aus dem, was sre sefbst roatteu.
WeicheTi gräuroten Dtift
schlagen erbarmungslos die heUen,
weißgeiben Strähnen, deren Qlanz mit Höhnen
in dea Pfützen prahlt.

Wie ein laues Bad,
atmen zarte, grüne Strahien.

Rote Bänder wollen sich ihnen geadien.
Dazwischen spieit alies In wirren, scbönen
Tänzerr, lila uod biau und weiß,
erika, braun, schwarz und grao.

Und durch die wogende Farbenschau
dringt der TonweUen Hallen.

Schurren, Kiappen und Trippeln von aflcn F'iiflen,
Trappen der schnellen
Pferde und Automobilgesumm,

Rattern der Räder, Dampfergrtißen,

Schlagen von Türen, Klippen von Stöcken,
der elektrischen Bahnen Singen und Gebrumm.
Und die Menschenstimme muß aJles zusammen-

schließen.

Ein Reden und Ratschen,

Murmeln, Tuscheln, Seufzen und Hallen,

Lispeln und Rufen, Blöken,
lautes Tadeln und leises Klatschen,

Lachen, Zischeln und Stöhnen
In den Spielen und Küssen.

Und über den Klang heben sich
Bahngeklingel und Peitschenknallen,

Autohupen und Vorsichtrufe.
fn dem Qlanz- und Tonmeer gehn,
die das Leben sind,

Dame und Dirne, Qreis und Kind,

Mann und Mädel, Reich und Arm.

Sie alle erst machen den Schwarm,

der neues Leben aus dem hellen

Licht- und Klangstrom schöpft, sich badet in

seinen Wefle*.

Dort ans den hohen, klaren Scheiben

lacht das Licht ganz weiß.

fm Laden dahinter Arbeit und Verdienen.

Im Schaufenster entzückende Sachen zum

Schreiben,

Zartes und rauhes, weißes und rosa Briefpaptor,
Künstlerpostkarten, Federhalter. Hier
spielt vorm Fenster ein iustiges Treiben.
Vergessen des Lebens gramvolle Mienen.

Alle wünschen hier etwas, laut oder leis.

Die weißen und roten und lila Blusen,

Schlipse in blau und grün und rosa,

Mäntel mit dunkeln urid hellen Streifen.

Manchmal ein bunter Offizier.

Samtene Pelze über vollen Busen.

In dem weinroten Schein,

der vor der Konfektion liegt im Kreis,

Damen und Kinder und Mädchen.

Ein Treffen und Trennen auf den Wegen,
ein vot> sich Weisen, ein Werben,

Werden ttnd Wachsen, Vergehen und Sterben,
kühnes Ergreifen, zages Sinnen,

Verzweifeln und Hoffen, ein Beten leis.

Anfwärtsrichten, Verderben,

sich Finden und sich Entrinnen,

von sich Treiben und Pflegen,

sich Stoßen, Berühren und Ausweichen,

sich Hassen oder die Hände rekhen,

sfch Sehnen, sich spüren,

Unser Leben, du bist in dem Trefben
vor den hohen, klaren Scheiben.

Vor der Straße der Fluß liegt schweigend.

Die Lichtstreifen ruhen auf seinem Dunkel,
schmiegen sich an jeden Atemzug.

Still hört er jeden Ton aus dem Lärm, der nah
von ihm wächst in der Lichter Gefunkel.
Schweigend trinkt er, a!l was er schant,
ht seinen Tiefen.

Von allen, die ihn riefen,
noch so lant,

keinem Antwort je geschah.

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