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Mannheimer Anzeiger — 1858

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Nr. 154 – Nr. 180 (1. Juli – 31. Juli)
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Nr. 169
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Nr. 169

Erscheint, Montags ausgenom-
men, täglich Morgens in 1800
Exempl. und rostet mit dem Unter-
haltungsblatte vierteljahrl. LL kr.

Sonntag, 18. Juli

Anzeigen werden in dem „Mann-
heimer Anzeiger" nnd dem tägli-
chen „Straßenplakat" zusammen
die gewöhnl.Zeile berechn, mit N kr.

1888.

* Mannheim, 17.Juli. Der hiesige Bahnhof ist bekannt-
lich ein stehendes Klagelied Aller; seine äußere Erscheinung ist der
Repräsentation einer ersten Handelsstadt des Landes eben so wenig
würdig, als seine inneren Einrichtungen und Räumlichkeiten dem
Bedürfnisse einer solchen Handelsstadt zu entsprechen vermögen. Die
letzten Wochen gaben zur Wiederholung dieser ewigen Klagen wie-
der recht traurige Belege zur Hand. Die Bewegung im Frucht-
geschäfte veranlaßte in der erwähnten Zeit bedeutende Frucht- und
Mehltransporte. Als nun gar an manchen Tagen 4 Ertrazüge
mit Frucht und Mehl kamen, die meistens als Eilgut verladen
waren, mußten die Wagen, um nur Platz für die abgehenden
Züge zu gewinnen, so weit hinaus- und ineinandcrgeschoben wer-
den, daß ost zwei bis drei Tage vergingen, bis die angekommenen
Güter greifbar waren. Die Magazine sind im Nu vollgepfropft
und z. B. im Augenblicke muß der Inhalt der Wagen auf den
Trottoirs, unter hervorstehenden Dächern, kurz überall unterge-
bracht werden, wo sich nur einigermaßen ein gedeckter Raum
vorfindet. Diese Ueberfüllung erklärt, wie das Abholen und An-
bringen von Gütern sich tagelang hinschleppt. Auf diese Weise
wird oft ein in Eilfracht bestelltes Gut zum Gegentheile umge-
wandelt. Wie es auf diese Weise vorkommen muß, daß Eilgüter
zu spät empfangen werden können, kann es auch vorkommen, daß
solche zu spät verladen werden. Wir wollen mit diesen Bemerkungen
Niemand zu nahe treten, sondern finden die Erklärung der gerüg-
ten Uebelstände in den gegebenen Verhältnissen begründet. Zur
endlichen Abhülfe derselben durch öffentliche Vorführung beantragen
und die gegebene Gelegenheit allein waren Ursache dieser Zeilen.
Mannheim, 17. Juli. Ihr Blatt vom gestrigen
Tage brachte unter der Rubrik: „Aus Vaden" eine Mittheilung
von solcher Wichtigkeit, daß sie nickt verfehlen wird, die freudigste
Ueberraschung bei allen Klassen der Bevölkerung zu erwecken.
Wir meinen die aktive Geldverlegenheit unserer Regierung; wo
Zahlen sprechen, da müssen andere Argumente schweigen, —
Zahlen, die wahrlich schwer genug sind, wenn auf ein Land, wie
Baden, ein Cassavorrath von 7 Millionen Gulden kömmt! Wir
dürfen unserer Regierung dankbar dafür sein, daß sie es verstand,
die Finanzen des Landes zu diesem Standpunkte zu führen; sie
wird durch dieses Resultat das Vertrauen des Landes bedeu-
tend vermehren, nnd selbst die eingerostetsten Gegner müssen sich
genöthigt sehen, derselben eine, wenn auch stillschweigende, Hoch-
achtung zu zollen.
Die angedeutete Geldverlegenheit ist eine seltene; desto mehr
dürfte daher der jetzige Augenblick geeignet sein, einige Mängel
zu bezeichnen, deren Abhülfe Noch thut. Auch unsere Billigung
finden die von Ihrem Correspondenten in Aussicht gestellten
Staatsbauten; es ist nur zu bedauern, daß deren Eine nicht auf-
geführt ist, welche ganz speziell für Mannheim zur Lebensfrage
geworden ist: Die stehende Brücke zwischen Mannheim
und Ludwigshafen. Hiermit ist eine inhaltsschwere Frage
aufgeworfen, deren Beleuchtung wir versuchen wollen
Die Rheinbrücke zwischen Kehl und Straßburg hat eine
große Bedeutung für ganz Süd-Deutschland; diese Brücke ist so-
gar für ganz Mittel-Europa von Wichtigkeit; mit einem Worte,
die Erbauung derselben ist eine unabweisbare Notbwendigkeit.
Wenn nun damit gesagt ist, daß die stehende Brücke, welche Ba- j
den mit Frankreich verbindet, nicht vermieden werden kann, so ist >
es auf der anderen Seite doch nicht mehr wie billig, daß man
bestrebt sei, die ungeheuere Ausgabe, welche Baden im allge- j
meinen Interesse bei diesem Baue zum Opfer bringt, auch für
Baden nützlich zu machen. Durch die Kehl-Straßburger Rhein- !
brücke gewinnen aber viel eher alle anderen Länder Europa's, j
als wie das so direkt betheiligte Baden. Am Meisten nützt sie '
Frankreich. Es ist der französischen Regierung nicht zu ver- i
denken, daß sie also für ihr Land gesorgt hat; unsere eigene Re-
gierung, gewohnt, ebenso energisch, wo es von Nöthen ist, als

wie freundschaftlich mit fremden Regierungen zu verkehren, hat
nach innen und nach außen stets das höchste Wohl des Landes
eben so im Auge. Ohne daß wir es in den Zeitungen lasen,
waren wir überzeugt, daß die Regierung sich mit der Brücke
zwischen Mannheim und Ludwigshafen beschäftigt.
Vom national-ökonomischen Standpunkte aus können wir
nur dann in der Erbauung der Kehl-Straßburger Bahn einen
Gewinn für das badische Land sehen, wenn auch zwischen
Mannheim und Ludwigshafen eine stehende Brücke gebaut ist.
Dieses dürfte durch folgendes klarer werden. Der vermehrte
Verkehr, welcher durch die Kehl-Straßburger Brücke auf den ba-
dischen Bahnen entstehen soll, beschränkt sich auf die Strecke Kehl-
Bruchsal; für Kehl-Basel ist die Brücke von keiner Bedeutung, weil
die Bahn von Straßburg bis Basel der diesseitigen Bahnlinie jeden-
falls Concurrenz machen wird. Was gewinnt Baden dadurch?
Nichts, wenn es nicht gar Schaden dabei nimmt. Die Kehl-Straß-
burger Brücke wird bald den Verkehr von Mannheim weggezogen
haben, und nicht blos den Reisenden- und Transito-Verkehr, sondern
auch den Eigenhandel. Das sieht zwar etwas schwarz aus, aber es
ist dennoch so, zumal für Mannheim durch die Mainzer Brücke
dasselbe Gewitter im Norden sich erhebt, welches im Süden durch
die Kehler Brücke heranzieht. Es ist bekannt, wie zu Gunsten
Frankreichs in den letzten Jahren die Rheinroute, und folglich
Mannheim mit dem ganzen badischen Lande, verloren hat, selbst
ohne die Kehler Brücke. Es ist dieses in der Natur der
Sache begründet, und dagegen läßt sich Nichts einwenden. Doch
aber fragen wir, warum dem eigenen Lande zu Gunsten des
Auslandes Opfer auferlegen, wenn es in unserer Macht steht,
uns das Ausland zinsbar zu machen?
Die Kehler Brücke ist ein lüit aeeoinpli, welches wir mit
Freuden begrüßen, weil es dem allgemeinen Verkehre wirklich
dient. Da diese Brücke aber mehr den anderen Ländern als wie
Baden nützt, so müßte, nach unserer Ansicht, von badischer Seite
ein Gegengewicht aufgestellt werden, welches wir nur in der
Mannheimer Brücke finden können. Der Verkehr würde sich
für die badischen Bahnen zwischen Mannheim-Bruchsal und
Mannheim-Vasel-Waldshut wesentlich vermehren; denn Mann-
heim hat nicht nur die Rh einstraße, sondern auch die Lud-
wigshafen-Saarbrücker Bahn zu natürlichen und brüder-
lich verbündeten Verkehrsgenossen, deren Bedeutung durch Erbau-
ung der Mannheimer Brücke fortwährend zunehmen wird und
die durch den gehobenen Verkehr auf den badischen Bahnen dem
badischen Lande eine nennenswerthe Rente abwerfen müssen.
Es ließe sich das Vorstehende etwa in folgenden Worten
kurz fassen:
1) Die Kehler Brücke bringt nur vorzugsweise Frankreich
Nutzen.
2) Die Mannheimer Brücke ist daher eine dringende
Nothwendigkeü; sie ist eine Lebensfrage für Mannheim und
folglich für ganz Baden.
3) Durch Erbauung der Mannheimer Brücke hat nicht
nur Baden Vortheil, sondern es haben auch sämmtliche
pfälzische, also ebenfalls deutsche Bahnen, direkten Nutzen
davon.
4) Durch die Mannheimer Brücke wird uns Frankreich
mit seinem Verkehre nach Mittel-Deutschland durch ge-
zwungene Benützung einer größern Strecke deutscher Bah-
nen zinsbar.
Noch eine Bemerkung darüber: Ist der Verkehr einmal von
Mannheim weg und nach Kehl-Straßburg gezogen, dann dürfte
die spät ere Erbauung der Mannheimer Brücke nicht viel mehr
frommen. Die ganze Geschichte des Verkehres zeigt, daß er ein-
mal eingeschlagene Routen nicht mehr so leicht verläßt.
Es wäre eine dankbare Aufgabe für eine sachkundigere und
gewandtere Feder, dieses Thema, welches nicht genug besprochen
(Hiezu eine Beilage.)
 
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