1858
Trschetst, Montag» auSgmom- Anzeigen Gerden in dem „Mann-
Nr. 2«8 Donnerstag,» November NlSL-SÄL
haltungSblatte vierteljährl. L st. die gewöhnl.Zetle berechn, mit Skr.
Die Zukunft des Handwerks,
ll.
Wenn die erstere Schrift sich die Aufgabe stellte, das gegen-
wärtige Zunftwesen als unhaltbar darzulegen, so geht die zweite
Schrift noch um einen Schritt weiter. Wie Böhmert, stößt auch
Schulze-Delitsch den morschen Nachen des Zunftwesens mit kräf-
tigem Fuß weit von sich. Er bemerkt mit Recht, daß der gegen-
wärtige Zustand des Handwerks keine vorübergehende Calami-
tät, sondern eine Folge unseres ganzen ökonomischen Entwicklungs-
ganges ist, welcher immer mehr und unabweisbar zum Großbe-
trieb hindrängt. Es wäre eine Absurdität, dem Handwerk zu
lieb die Fabriken zu verbieten oder zu beschranken; auf diesem
Wegejfortfahrend, müßteiman statt des Pfluges wieder den Daum-
ast, statt der Mühle wieder den von Sklaven gedrebten Hohl-
stein einführen — ein Weg an dessen Endpunkt ein Zerfall un-
serer Cultur läge, ganz abgesehen davon, daß die fremden Natio-
nen sich niemals solchen thörichten Ideen unterwerfen würden.
Nicht auf die Arbeit als solche kommt es an, sondern auf die
vernünftige Arbeit, dü i. auf den Nutzeffekt und auf die möglichst
große, möglichst gute und billige Produktion. Dieses Ziel vor
allem im Auge zu behalten, sind wir schon durch die Concurrenz
der fremden Völker gezwungen. Nun ist eS aber Jedem klar, daß
die Beschränkungen, wie sie von den meisten Handwerkern ge-
wünscht werden, die Produktion, statt sie zu vermehren, nur hem-
men und vermindern. Eine Rückkehr zu den frühern Beschrän-
kungen kann also unsere Frage nicht lösen.
Ebenso wenig aber ist eine völlige Abhülfe möglich durch die
Assekuranz. Die Hülfs-, Kranken-, Wittweu-, Altersversorgungs-
kassen mögen im einzelnen recht wohlthätig sein, aber sie reieven
nicht aus. Sie leisten dem Arbeiterftanb gute Dienste, aber sie
sind unvermögend zu verhindern, daß aus dem selbstständigen
Handwerker ein abhängiger Fabrikarbeiter werde (obgleich auch
letzteres durchaus nicht immer für ein Unglück zu halten ist).
Der Handwerker muß all sein verfügbares Capital in sein Ge-
schäft drängen, und was den eigentlichen Arbeiter betrifft, so ist
sein Lohir meist so gering, daß er nur selten eine bedeutende Summe
zur Einlage in jene (Lassen übrig behält. Daher haben einige,
die Unmöglichkeit einsehcnd, diese (Lassen durch die Beiträge der
Arbeiter selbst zu dotiren, sich an die Arbeitgeber oder geradezu
an die öffentliche Wohlthätigkeit um Zuschüsse gewendet. Letztem
Weg Anschlägen, heißt den Arbeiter zu einem Almosenempfänger
herabwürdigen. Daö Almosen hat die schöne Bestimmung, dem
Kranken und Gebrechlichen in Nothfällen zu helfen, aber als
eine Regel aufgestellt, demoralisirt es. Dem Arbeiter, der sich
auf fremde Stützen verläßt, ist nicht zu helfen; statt die Quelle der
Armuth zu stopfen, sammelt ein großer Almosenstock nur immer
zahlreichere Pfründner um sich. Wird dagegen der Arbeitgeber
zur Ausstattung der Hülfskassen herangezogen, so betritt man
bas gefährliche' Gebiet des Soeialismus. Einige Gesetzgebungen
schreiben densi Fabrikbesitzer gewisse Einlagen vor — aber wer
bürgt dafür, daß nun der Arbeitslohn nicht um so viel verkürzt
werbe als jene erzwungenen Zuschüsse betragen? Man müßte
dann auch den Lohn festsetzen, und käme bei dem berüchtigten
„Minimum" an.
Erweisen sich also diese Mittel als unzureichend, so findet
der Verfasser die Lösung der Frage in der Genossenschaft. Er
beruft sich auf den einfachen uralten Satz: „mehrere kleine Kräfte
vereint bilden eine große, und was man nicht allein durchsetzen
kann, dazu soll man sich mit andern verbinden." Wenn der
Handwerker verarmt, so pflegt es zu geschehen aus Mangel an
Intelligenz oder an Capital: beiden Mängeln aber wird durch
die Genossenschaft leichter abzuhelfen sein, weil sich dann die
Kräfte ergänzen. Unter einer Anzahl verbundener Männer fin-
det sich ein intelligenter Leiter, oder er wird im schlimmsten Fall
engagirt. WaS das Capital betrifft, so macht die Genossenschaft
den Arbeiter durch die Sammtbürgschaft der Genossen kreditfähig,
denn der einzelne kann sterben oder stürzen, aber nicht wohl die
ganze Association. Die Genossenschaft mit solidarischer Haftung
löst das Problem wie der Werkmann ein Darlehn empfängt,
auch ohne daß er ein Grundstück oder ein Werthobjekt als Pfand
darzubieten hätte.
Schulze unterscheidet nun zwischen distributiven und produk-
tiven Einungen- Letztere bezwecken den gemeinsamen Betrieb
eines Gewerbes selber durch eine Anzahl von Handwerkern und
Arbeitern für Rechnung und Gefahr der Gesammtheit; er-
stere dagegen enthalten vorzugsweise nur die Vorschußvereiue, so-
dann die Einungen zum gemeinsamen Bezug der Rohstoffe, end-
lich die Consumvereine. Bemerken wir hier gleich, daß die recht-
liche Form der drei letztem, der Vertheilgenossenschaften, fast durch-
weg der «oeiöte nn nom eoleotil' des französischen, und der
«OLwkns des römischen Rechts entspricht. Die Mitglieder, Dritten
gegenüber solidarisch haftend, haben unter sich gleiche Rechte und
Pflichten; daraus folgen Mehrheitsbeschlüsse; die Verwaltung ist
nach Maßgabe deß Statuts oder Gesellschaftsvertrags gewissen
Beamten und Ausschüssen übertragen. Die Erwerbgenossenschaf-
ten werden dagegen in der Kommanditgesellschaft die geeignetere
Form finden, da sie einer mehr einheitlichen Leitung bedürfen.
Uebrigens ist es bei der hohen socialen Aufgabe dieser Vereine
wünschenswerth, daß die Gesetzgebung die jetzt noch vorhandenen
Schwierigkeiten entferne, welche etwa solche Genossenschaften bei
Verfolgung ihrer Rechte, bei Legitimation ihrer Vertreter, bei
Vertragsabschlüssen, der Erwerbung von Eigenthum und Forde-
rungen und dergleichen noch im Wege stehen. Eine sonstige Ein-
mischung in die Angelegenheiten dieser Vereine, dürfte einem frei
um sich blickenden gesunden Konservatismus als unrathsam erschei-
nen. In England sind seit 1824 alle Verbindungen von Ar-
beitern zu Arbeitzwecken völlig freigegeben.
In England, dem Mutterlande der modernen Industrie, hat
auch die Genosfenschaftöbewegung, welche nur ein nothwendiges
Heilmittel für die Gefahren des Jndustriealismus ist, eine große
Bedeutung gewonnen. Aber selbst in England reichen unr ein-
zelne Versuche über das Jahr 1848 zurück- Zuerst entstanden
— nach V. A- Hubers trefflichen Reisebriefen — die ti-act^'
nnion8-Vereine, um die Arbeitseinstellungen in Masse durch ge-
genseitige Geldhülstm der Arbeiter möglich zu machen. Diese un-
wirthschastliche und fast stets vergebliche Bewegung ward der
Anstoß zu den ooopei ativa 8toce8, welche den Scbulze'schen Dis-
tributivassociationen entsprechen. Ihrer 250 zählten vor kurzem
bereits 50,000 Mitglieder mit einem jährlichen Umsatz von 2
Mill. Pf St. Endlich schritten einzelne Arbeiter, das Fruchtlose
und Schädliche jener Arbeitseinstellungen einsehend, zur Betrei-
bung selbständiger Geschäfte vor, so daß im Jahr 1854 gegen 50
Produktivaffociationen in England vorhanden waren, z. B- 10
vom Schneiderhandwcrk, 1 Brauerei, 1 Schlächterei, 2 von Cla-
viermachern, 2 von Maschinenbauern, 6 Baumwollfabriken u. s.
w- In Frankreich entstanden die ersten Arbeiterassociationen aus
der Ernüchterung nach der Juniuskataftrophe. Durch die Ein-
mischung des Staats erhielt aber die Bewegung vielfach eine
falsche Richtung. Doch fallen in Paris im Jahr 1854 noch
31 zum Theil wohlbegründete und blühende Erwerbsgenossen-
schaften bestanden haben- (Schluß folgt.)
Mannheimer Recrutenverein.
Noch we.nige Tage sind es, und — am 30. No-
vember nächsthin — ist der zweite und letzte Grün-
dungs-Termin abgelaufen.