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Mannheimer Anzeiger — 1858

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Nr. 260 – Nr. 284 (1. November – 30. November)
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Nr. 279
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Mannheimer Anzeiger.

1838

haltUNgSblatte Vierteljahr!. 1 tl.

Erschttut, Moutag» auSgtuom- Anzeigen «erden tu dem „Mauer-
men, täglich MorgeuS tu 1800 24 ^tmer Anzeige'-" und dem täglt-
»IN- Exempl. und kostet mit dem Unter- chen „Straßenplakat" zusammen
haltungSblatte Vierteljahr!. 1 st. die gewöhul.Zetle berechn, mit »kr.

0 Neber Warteschulen.
Mannheim, 23. Nov. Auf verschiedene Veranlassungen
hiesiger Bürger spreche ich mich über dieses wichtige Institut,
auf wissenschaftliche Basis gestützt, im Interesse des Gemeinwoh-
les auS. Zur richtigen Beurtheilung meines Standpunktes,
erlaube ich mi- vorauszuschicken, daß von den hier zu schildernden
Warteschulen, einzelne gut geleitete, eine rühmliche Ausnahme
machen.
1) Wie die Warteschulen hier bestehen. Die Lo-
kalität für eine solche Schule ist gewöhnlich eine Stube, die
gegen Norden oder Westen, oder auch gegen gar keine Himmels-
gegend — daS ist in einen Hof gehend — ein oder höchstens
zwei Fenster hat. In einer solchen Stube sitzen zwanzig, dreißig,
ja bis vierzig schuldlose Kleine, ihrem geistigen Verderben ent-
gegenreifend.
Mit unsäglich zärtlicher Sorgfalt werden die lieben Wesen
bis an die Schwelle der Warteschule gepflegt,'und nun werden die
Werkzeuge für ihre Seelenthätigkeit: Augen, Ohren, Nase, Mund,
Nerven, abgestumpft, und durch zu vieles Sitzen eine Hämor-
rhoidengrundlage für das Leben gelegt. Die Begriffe
unserer Pädagoginnen sind kurz gefaßt und heißen: Still sein
und Beten! Es läßt sich deßhalb nicht mehr erwarten. DaS
unnatürlichste, das stillste Kind, hat die beste Note, das natür-
lichste, daS lebendigste Kind, welches die Erscheinungswelt gierig
auffaßt und lebensfrisch äußert, die schlechteste Note.
Später heißt es anders: das war ein so gutes Kind in
der Schule und ist jetzt ein so schlechter Mensch! Nichts Neues!
Diese Warteschulen stehen auch unter der Aufsicht der Schul-
inspektion , welche aber wenig Werth darauf zu legen scheint!
Warum?-!
ES werden jedes Jahr die Klagen der Lehrer über die Neu-
linge, die den Warteschulen entsprossen, erneuert, und immer
bleibt's beim Alten.
Die Triebfeder, welche die Warteschul-Inhaberinnen bewegt,
ist der Nebenverdienst; Stricken, Sticken, Lesen, Nähen u. s. w,
sind die Hauptgeschäfte; die geistige und körperliche Erziehung
unserer kommenden Generation ist Nebensache, aber wieder Haupt-
sache der halbe Gulden (auch mehr und weniger) am Ende eines
jeden Monats.
Wenn nicht jetzt schon die Gebildeten unserer Nation, so ist
es ein kommend Geschlecht, „welches Geisteßmord als erste Tod-
sünde haßt und bestraft!" Christus der Herr sagte: „Wer Eines
meiner Kleinen ärgert u. f. w." — „Die guten Kleinen lernen
doch Viel": Sie singen nach einem alten schmetternden Instru-
ment, daS längst den Resonanz verloren hat. Sie lernen zählen
bis Tausend — haben aber am Ende keine Anschauung von
Zehn. Sie lernen deklamiren! Sie lernen vor Allem und nach
Allem beten; allein ihr junges Herz empfindet nicht, was der
Mund spricht, und der Geist weiß nicht, was die Lippen ausdrücken.
So ausgerüstet, treten die Kleinen, welche auf den Geist der
WahrheU warten gelernt haben, in die Elementarschule und
sind gleich der Schrecken des guten Lehrers, der in den ersten
Stunden eine geistige Mißgeburt mit betrübtem Herzen wahr-
nimmt. Die armen Geschöpfe sehen mit offenen Augen nicht, sie
hören nut offenen Ohren nicht — kurz sie sind, wie gesagt, ab-
gestumpft, und sämmtliche Kinder, die nicht das harte Loos der
Warteschule traf, machen solche Fortschritte, daß die Warteschüler
zurückbleiben und nicht selten haften die Folgen derselben an
einem ganzen Leben.
ES ist gefährlich, daß viele Leute sagen, die Kinder der
Warteschulen seien so fromm, wie kein Lehrer Kinder erzieht:
Sie legen die Hände so schön zusammen und halten das Köpfchen

so andächtig, daß man weinen möchte. — Jawohl, daß man
weinen möchte!!
Die Meisten dieser frommen Schüler sind, wir sagen eS mit
betrübtem Herzen, der Elementarschulen geheime Sünder;
welche bei dem höchsten Fleiß des Lehrers stete Halbheiten blei<
ben werden.
Dies ist nur ein kurzer Umriß unserer Erfahrungen ari-
dem bestehenden Warteschulleben; wir gehen nun dazu über, wie
die Warteschulen sein sollen. (Schluß folgt.)
*l* Mannheim, 23. Nov. Kaum daß wir uns einige
Tage lang der gelinden Witterung und eines recht ansehnlichen
Wasscrzuwachses erfreuen durften, so schwindet das Wasser, schwin-
den unsere Spätlingshoffnungen auf'S neue und der Winter in
seiner ganzen Rauhheit sitzt uns wieder im Nacken. Der Neckar
treibt heute sehr vieles Eis, der Main ist festgefroren und zur
Erläuterung dieser betrübenden Thatsache hat der Thermometer
diesen Morgen auf 90 Kälte in der Stadt gewiesen, waS 10—
tio im Fräsen bedeutet und den Eis- und Eisenbahnen günstiger
ist, als der nochmals gefesselten Schifffahrt.
* Die Zahl der in Heidelberg Studirenden hat gegen
daS letzte Semester um beinahe 100 abgenommen. Der stärkste
Ausfall ist in der Juristen-Fakultät.
* In Philippsburg wurde ein als sehr fromm be-
kannter Fischer des seit lange getriebenen Diebstahls von Kreu-
zen auf dem Friedhöfe angeklagt und überwiesen.
* Die evangelische Gemeinde Bruchsal hat vor einiger
Zeit eine „Kleinkindcr-Bcwahrungs-Anstalt" gegründet, welche
sich des gedeihlichsten Fortganges erfreut.
* In Folge allerhöchster Ordre (Nr. 62) erhielt Oberst-
lieutenant Beust vom 1. (Leib-) Dragonerregiment die Erlaub-
niß, die Abzeichen der Flügel -Adjudanten in den Epauletten
tragen zu dürfen.
* In Ettlingen hat sich ein katholischer Gesellenverein
gebildet
* Gewerbschullehrer Schneider in Freiburg erhielt von
seinen gewesenen Zöglingen, jetzigen GewerbSmeiftern, als Zeichen
der Anerkennung und Verehrung einen geschmackvoll gearbeiteten
Pokal.
Der „Kommission der Schwarzwälder Industrie-Aus-
stellung in Villingen" wurde die hohe Ehre zu Theil, I. K- H.
der Großherzogin einige Gegenstände überreichen zu dürfen, welche
bei dem stattgehabten Allerhöchsten Besuche der Ausstellung die
besondere Aufmerksamkeit der erhabenen Fürstin und Landesmutter
erregt hatten. Vor wenigen Tagen nun wurde die genannte
Commission mit folgendem Allerhöchsten Handschreiben beglückt:
„An die Commission der Schwarzwälder Industrie-Ausstellung
in Villingen. Der Commission der Schwarzwälder Industrie-
Ausstellung verdanke ich eine wahrhaft große Freude, welche mir
durch die so sinnreich auSgewahlten Andenken bereitet wurde.
Die Trachten der Landbewohner erinnern mich lebhaft an die
Tage, welche ich auf dem Schwarzwald znbrachte, und von denen
der Aufenthalt in Villingen mir wegen deS vielen Interessanten
und Bedeutenden, das sich uns darbot, aber auch wegen der
zahlreichen und wohlthuenden Beweise treuer Anhänglichkeit in
besonders dankbarem Gedächtniß geblieben ist. Für die meinem
Sohn bestimmte Gabe danken wir Ihnen wiederholt recht herz-
lich und wünschen nur, daß er Ihnen einst selbst seine Freude
über diese Aufmerksamkeit aussprechen möge. Karlsruhe, den 15.
November 1858. Luise, Großherzogin von Baden." (S. WO
Villingen, 22. Nov- Sicherem Vernehmen nach ist der
Druck des Commissionsberichts über die Schwarzwälder Indu-
strieausstellung beendigt und Letzterer S. K. H. dem Großherzog
 
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