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Mannheimer Anzeiger — 1858

DOI Kapitel:
Nr. 260 – Nr. 284 (1. November – 30. November)
DOI Kapitel:
Nr. 269
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1858

Erscheint, Montag» auSgeuom- Anzeigen werden In dem „Mann-
Ei* men, täglich Morgens in 1800 AreitLa. 12 November Heimer Anzeiger"
»VN Exempl. und kostet mit dem Unter- L» chen „Straßenplakat' zusammen
haltungsblatte vierteljährl. L st. die gewShnl.Zeilr berechn, mit Tkr.


Die Zukunft des Handwerks.
(Schluß.)
Ungefähr zu gleicher Zeit, und ganz unabhängig von diesen
beiden Ländern, begann auch in Deutschland die Bewegung, und
es bleibt das große und unvergängliche Verdienst des Ver-
fassers, daß er dem Drang nach wirthschaftlichen Reformen eine
praktische und feste Bahn auwieö. Eben so sehr ein Mann der
That wie des Gedankens, stellte Schulze in den Genossenschaften
des Städtchens Delitsch ein Muster auf, welches seitdem au vie-
len Orten Nachahmung und Bewährung gefunden hat. Zunächst
für unser Vaterland geeignet erschienen ihm die Veriheilgenossen-
schaften. „Nach des Verfassers Ansicht muß gerade in Deutsch-
land bei dem ersten Angriff der Sache mit einer gewissen Zurück-
haltung vorgegangen werden, weil die Zerstörung der frühem
Gewerbsorganisation noch nicht vollständig genug erfolgt, der
Platz noch nicht so weit von den alten Trümmern geräumt ist,
um mit völliger Freiheit zum Neubau zu schreiten. Insbesondere
hat man mit dem den Deutschen eigenthümlichen Hang zur Ab-
sonderung zu kämpfen, der in der Jsolirung die Selbständigkeit
opfern zu müssen meint, obschon diese letztere der Wahrheit nach
nur durch jenen innigen Anschluß der Einzelnen an einander ge-
rettet werden kann. Daher thut man am besten vorerst mit den
wirthschaftlichen und beschränktem gewerblichen Verbänden der
vorbemerkten Art zu beginnen, welche die Vorbedingungen eines
lohnenden Gewerbctriebs den Mitgliedern sichern, ohne dieselben
im Gewerbeberieb selbst vorläufig zu assoriiren, der vielmehr von
jedem Einzelnen wie bisher für seine eigene ausschließliche Rech-
nung fortgesetzt wird. ... In diesem Sinn bat der Verfasser
ein ineinandergreisendes System von Associationen zu organischen
versucht, welches die wichtigsten Beziehungen, der arbeitenden Gas-
sen umfaßt, und überall auf die früher besprochenen Grundsätze
der Solidarität und Selbsthülfe g gründet ist. Zunächst suchte
er die Arbeiter aller Branchen in lokale Verbände zu solchen
wirthschaftlichen Zwecken zu vereinen, deren vortheilhafle Ver^
folgung eine möglichst große Mitgliederzahl bedingt, wie bei den
Vereinen zur Krankenpflege und Anschaffung nothwendiger Lebens-
bedürfnisse im Großen. Sodann aber ging sein Bestreben da-
hin, die Arbeiter einzelner Gewerbe, besonders die kleinen'-Meister
(Schuhmacher, Tischler, Weber u. s. w) in specielle, die sogenann-
ten gewerkschaftlichen Genossenschaften zu vereinigen, welche
für gemeinschaftliche Rechnung die zum Gewerbebetrieb der Ein-
zelnen erforderlichen Rohstoffe anschaffen, und manche gemeinsame
Anstalten treffen, z. B. Maschinen oder Magazine. Hand in Hand
damit gehen dann besonders die Creditverbände, die'Vorschußver-
eine oder Darlehenskassen." Wir müssen es uns versagen, auf
diese Organisationen und die bereits vom Verfasser gesammelten
Erfahrungen näher einzugehen. Wie segensreich aber solche Ge-
nossenschaften schon durch ihre arithmetischen Ersparnisse sein
können, ergibt sich daraus, daß der einzelne kleine Handwerker,
der sein Rohmaterial, z. B. Holz und Leder, bei dem De-
taillisten kauft, saft regelmäßig 20 bis 50 Procent mehr zahlen
muß als beim Einkauf im Großen. Ebenso gelten bei einem
kleinen Darlehen, das der Handwerker aufnimmt, 40 bis 50
Procent für einen höchst billigen Zins. Und welche Zeitverluste,
welche Erniedrigungen sind oft mit solchen Verhältnissen für
den Handwerker unvermeidlich! Für weit wichtiger aber noch ist
die moralische Aufrüttelung zu halten, welche sich ergibt aus dem
Bewußtsein der verbesserten Lage, der gelungenen Anstrengung,
der eignen Kraft uud aus dem Wetteifer mit den frei verbunde-
nen Genossen.
Wenn daher auf dem volkswirthschaftlichen Congreß zu
Gotha diese Genossenschaften als „die Innungen der Zukunft"
begrüßt wurden, so geschah dies mit vielem Recht, Sie haben

die Vortheile der alten Zünfte ohne ihre allmählich überwiegend
gewordenen Nachtheile. Sie breiten den Einfluß eines einzigen
intelligenten Mannes gleichsam über alle die Genossen hin, ohne
doch die Selbstständigkeit der Einzelnen zu gefährden; und was
immer für das nothwendigste, aber auch daö schwierigste ge-
halten wurde, sie geben dem Handwerksmann ein kleines Kapi-
tel zur Hand, ohne daß er dem Almosen oder dem Wucher
anheimfiele. So reißen sie den unzünftigen Werkmann aus sei-
ner bisherigen Vereinzelung heraus, den zünftigen aber befreien
sie von dem tückischen Bleigewicht eines gehässigen auf die Dauer
niwt zu haltenden Monopols. An die Stelle der Denunciation
und des Jammerrufs nach der Polizeigewalt tritt nun das sichere
Vertrauen, daß nicht das Privilegium, sondern nur das wirkliche
Werk den Meister lobe und schütze. Diese Vortheile bleiben be-
stehen, auch wenn wir die Schwierigkeiten einer dauernd harmo-
nischen Geschäftsführung nicht für gering halten, und auch wenn
wir, mit Schulze, der Ansicht sind, daß die eigentlichen Produk-
tivgenossenschaften, wo der Arbeiter seinen Antheil am Unterneh-
mergewinn bezieht, sich nur langsam und in dem Maße Bahn
brechen werden, wie die sociale' und intellektuelle Bildung der
Werkleute vorschreitet, und ein freierer Blick die Mißgunst und
den Neid ersetzen, welche leider jetzt noch im deutschen Leben so
häufig sind.
Sicherlich bildet die Genossenschaft nur ein Glied der Kette,
an welche wir das Ungeheuer unserer Tage, den Pauperismus,
zu legen uns bemühen. Aber diese Genossenschaften sind um so
verdienstlicher, weil sie einem besonders gefährdeten Theil unsrer
bürgerlichen Gesellschaft zunächst zu gute kommen. Das Fabrik-
wesen können wir nicht beschränken ohne Nngerechtigkeitcn zu be-
gehen und ohne hinter andern Nationen zurückzubleiben; das
Handwerk muß sich also den veränderten Verhältnissen anschmie-
gen, und zu diesem Ende bietet sich ihm ein dreifacher Weg: ein
Thetl der Handwerker wird sich den Fabriken anschließen müssen;
eine zweite Gruppe wird ein Asyl finden in der Kunst und dem
künstlerischen Betrieb, wohin keine Maschine jemals zu dringen
vermag; die dritte und zwar die größte Anzahl wird sich durch
die verschiedenen, einer vielfachen Umbildung und Entwicklung
fähigen Grnossenschaften jene Selbstständigkeit bewahren können,
Welche der Deutsche mit Recht so hoch hält. Alle diese Richtun-
gen frei und zwanglos neben einander herschreitend, werden eine
Masse bisher gebundener Kraft lösen, dadurch die Produktion
erleichtern und vergrößern, und folgeweise, indem sie den Wohl-
stand der Einzelnen vermehren, auch dem Reichthum und der
Macht unserer Nation einen neuen Aufschwung verleihen.

* Am 26. Oktober wurde in Siegelsbach, Amt Neckar-
bischofsheim, die ueuerbaute katholische Kirche feierlich eingeweiht-
* Ein Karlsruher Korrespondent meldet der „Freiburger
Zeitung" unterm 8. Nov.: Im Bahnhofgebäude dahier wurde
in letzter Zeit ein bedeutender Diebstahl begangen. Es sollen,
wie man mit Bestimmtheit hört, 99 messingene Siedröhre ent-
wendet worden sein, welche einen Gesammtwerth von beinahe
2700 fl. haben sollen. Die Untersuchung ist im raschen Gange,
und wird hoffentlich die Thater ermitteln. Allerdings bleibt es
unerklärlich, daß aus einem von mehreren Wächtern gehüteten
Gebäude ein Diebstahl von solchem Umfange ohne irgend eine
Störung ausgesührt weiden konnte.
* Unter der Leitung des Pfarrers Helbing ist in Frei-
burg ein protestantischer Gesellenverein in's Leben getreten.
* Der Freiherr Voit von Salzburg hat vor seinem kürzlich
erfolgten Tode die protestantische Gemeinde in München als
Haupterben eingesetzt, so daß dieselbe dadurch einen Vermögens-
zuwachs von mehr als 200,000 fl. erhält.
 
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