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Mannheimer Anzeiger — 1858

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Nr. 233 – Nr. 259 (1. Oktober – 31. Oktober)
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Nr. 249
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https://doi.org/10.11588/diglit.29921#1167

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Wl* ALO men, täglich Morgens in 1800 Heimer Anzeiger" und dem tägli-
^tr. Exempl. und kostet mit dem Unter- ^rittwvcy, S". cheu „Straßenplakat" zusammen


haltungSblatte Vierteljahr!. L fl.

„ A nst ri a."
(Fortsetzung.)
John Palicrusca, gebürtigt aus Cattaro am Adriatischen
Meere. Ich verließ am 25. August Triest, wo ich meine Mut-
ter besucht hatte und schiffte mich in Camburg auf der Austria
ein, um nach Amerika zurückzukehren. Der Capitän ließ zwei-
mal täglich das Schiff scheuern und mit Cssig räuchern. Auch
kam er jeden Vormittag hinunter, um nachzusehen, ob Alles in
Ordnung sei, und fragte dann jedesmal die Passagiere, ob sie
über ihre Nahrung rc. Klarze vorzubringen hätten, wer, krank sei
u. s. w- Neberhaupt bezeugte er jedem Leidenden eine herzliche
Theilnahme. — Von Hamburg aus hatten wir immer gegen
Westwinde zu kämpfe«; am 13?Sept, war es fast windstill und
eine klare See. Die Passagiere kamen nach Tische größtenteils
aus's Deck und freuten sich des schönen Wetters. Ich hatte einige
sehr gut abgerichtete Singvögel an Bord, und die Offiziere, die
sie wohl leiden mochten, sagten mir, ich solle sie heraufhvlen, denn
sic wollten das Zwischendeck räuchern. Ick nahm demzufolge
meine Vögel und ging aufs Deck. Zehn Minuten später stieg
etwa 10 Schritte hinter dem ersten Mast ein Rauch auf, und
die umstehenden Passagiere fingen sogleich an, ein Geschrei zu
erheben. Man ermahnte sie, ruhig zu bleiben, es sei nur eiu
gewöhnlicher Rauch, doch wenige Secunden später brachen Helle
Flammen heraus, es entstand eine entsetzliche Verwirrung, und
ich sah den Capitän, baarhaupt, weiß wie Schnee, auf dem Deck
auf- und abrennen. Einige Passagiere fragten ihn, was er zu
thun gedenke, und er schlug seine Hände über dem Kopf zusam-
men mit den Worten: „Wir sind alle verloren!" Von diesem
Augenblicke an sah ich den Capitän nicht wieder; bingegen be-
merkte ich, daß man an der linken Seite des Schiffes ein Boot
hinunterließ. Fünf Minuten später war die Verbindung zwi-
schen Hinter- und Vordertheil deS Schiffes aufgehoben.
Ich hatte noch Zeit eine Planke zu ergreifen und mich zum
Bugspriet zu drängen, wo ich sie zur Vorsicht festbanv und dann
half ich den Balken vom Besanmast zum Bugspriet kappen, weil
er uns beim Fallen Alle erdrückt hätte. Jetzt platzte das Pul-
vermagazin, jedoch ohne großen Lärm. Nachher setzte ich mich
auf eine der Ketten am Bugspriet und sah hier Seenen, die zu
haarsträubend sind, als daß ich sie beschreiben könnte. Das ent-
setzlichste Schauspiel für mich war ein junges Geschwisterpaar, ich
glaube es waren Israeliten und wollten nach Californien. Um
der fast unerträglichen Hitze zu entgehen, ließ der Jüngling seine
Schwester mit beiden Füßen auf ein dünneö Seil stehen und
ließ sie so weit herab, daß sie nahezu das Wasser berührte und,
so vor dem Feuer geschützt, die Ankunft eines rettenden Bootes
abwarten konnte. Dann schlang er sich ein ähnliches Seil um
den Leib und sprang ihr nach. Unglücklicher Weise aber hatte er
Dasselbe zu wenig angezogen, im Fallen rutschte es und zog sich
über seinen linken Arm und Gesicht, das ganz zerfleischt wurde.
- E lähger, als eine halbe Stunde hörte ich das Mädchen um
Hulse für ihren unglücklichen Bruder schreien. Wer hätte da
retten können? Mit Händen und Füßen arbeitete er, um em-
porzukommen, aber nach und nach erschlaffte er und hing endlich
ruhig ein Leichnam. Als ich endlich ein Boot von der Bark
Maurice rudern sah, sprang auch ich in's Meer und wurde nach
langem Umherschwimmen an Bord desselben aufgenommen. Das
Mädchen hing noch, als ich das Schiff verließ. Ueber ihrem
todten Bruder hatten noch 3 andere Personen sich an den Tauen
angeklammert. Ihr Schicksal ist mir unbekannt.
Ein erschütterndes Wiedersehen fand an Bord des Prince
Albert zwischen den zwei Brüdern Vecin aus Philadelphia Statt.
Der Eine derselben, Alfred, befand sich mit Mutter und zwei
Schwestern auf dem Unglücksschiff. Zur Zeit der hereinbrechen-

die gewöhnl.Zeilt berechn, mit Vkr.

den Catastrophe saß er lesend und eine Cigarre rauchend auf
dem Hinterdeck. Als der erste Ruf „Feuer" erscholl, schenkte er
ihm nicht besondere Aufmerksamkeit, indem er so wenig als die
übrigen Passagiere die Tragweite desselben auch nur im Traume
ahnen konnte. Er wurde aus seinem Gleichmuthe aufgeschreckt,
als die Flammen in zügelloser Wuth aus der mittleren Lucke
hervorbrachen. Bon da an war die Gefahr klar — von da an
war die Verbindung zwischen Vorder- und Hinterdeck abgeschnit-
ten. Das Mark und Bein durchdringende Geschrei, Hülserufen
und andere Aeußerungen der Todesangst der Frauen, sagt er,
sind von einer Feder nicht zu beschreiben. In ihrer Verzweiflung
und Todesfurcht drängten sie sich mehr und mehr gegen den
äußersten Rand des Hinterdecks und sprangen größtentheils erst
in's Wasser, nachdem ihre Kleider Feuer gefaßt hatten, und sie
so gezwungen waren, um dem schmerzhaftesten aller Tode zu
entgehen, sich einem fast eben so gewissen in die Arme zu wer-
fen- In diesem unentwirrbaren und unnahbaren Knäuel jam-
mernder Frauen befand sich meine Mutter mit meinen zwei
Schwestern. Ich habe sie nicht wieder gesehen. Als ich selbst
endlich den Sprung in die Tiefe that, schien mir das Hinterdeck
vollständig menschenleer. Ich schwamm lange in allen möglichen
Richtungen umher, und endlich glaubte ich mich gerettet. Ein
Boot nahte sich mir. Es kam, wie ich seither erfuhr, von der
Bark Maurice. Ich rief um Hülfe, und man wieß mich zur Ge-
duld, bis man sich vergewissert habe, ob nicht noch Frauen und
Kinder aufgefischt werden können. Ich ergab mich in mein Schick-
sal und arbeitete rüstig fort. Nuch meiner Schätzung mag ich
bei 4 Stunden im Wasser geblieben sein, da kam endlich daS
nämliche Boot wieder in Sicht und zu meiner unendlichen Freude
erkannte ich in demselben den Professor Glaubensklee von New-
Uork. Ich rief ihm zu und auf ein Wort von ihm wurde ich
an Bord gezogen. (Schluß folgt.)

O Ma nu heim, 19. Okt. Morgen Donnerstag, den 21.
Oktober, wird die Gesellschaft „Liederkranz" in den Lokalitäten
des Badener Hofes eine Abendunterhaltung geben, auf die wir
um deßwillen aufmerksam machen wollen, als sie von der ge-
wöhnlichen Art dieser Unterhaltungen wesentlich abweichen wird.
Die Chöre sind nämlich nicht bloße Männerchöre, sondern durch
die Mitwirkung von Damen zu gemischten Chören umgeschaf-
fen. Wenn gleich der „Musik-Verein" auch solche Chöre hat,
so besteht diese in ihren Wechselwirkungen jedenfalls vorzügliche
Art der Produktion bis jetzt bei keinem der übrigen Vereine.
Indem somit hier auch den weiblichen Gesangeskrästen eine prak-
tische Richtung gegeben ist, freuen wir uns sehr auf diese Abens-
unterhaltung, die," nach ihrem Programm, und den ausübenden
Kräften zu urtheilen, Vorzügliches bieten wird.
* An Bord des verunglückten Dampfers „Austria" befand
sich auch der frühere Heidelberger Privatdocent vr. Aleran-
der Friedländer, bekannt als juristischer Schriftsteller. Er war
wegen Bethciligung an der badischen Revolution zu dreijähriger
Zuchthausstrafe verurtheilt und nach achtwöchentlicher Haft zur
Auswanderung begnadigt worden. Geschwächte Gesundheit hielt
ihn indeß seither in Deutschland zurück. Jetzt wollte er sich
jenseits des Meeres eine Eristenz suchen und fand mit seiner ihm
kaum angetrauten Frau den schauerlichen Tod.
* Am 17. Okt. verstarb in Karlsruhe der talentvolle
Maler Kachel, Sohn des Großh. MünzrathS, nach längeren
Leiden in der Blüthe seiner Jahre.
* In Rheinbischofsheim wird i« aller Bälde eine ka-
tholische Kirche erbaut werden.
Konstanz, 13. Okt. Gestern überreichte eine Deputation
des Gemeinderaths dahier S- K. H, dem Großherzog in de
 
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