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Mannheimer Anzeiger — 1858

DOI Kapitel:
Nr. 260 – Nr. 284 (1. November – 30. November)
DOI Kapitel:
Nr. 280
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https://doi.org/10.11588/diglit.29921#1363

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1838.

Erscheint, Montag- auSgeuom- Anzeigen werden tu dem „Mann-
M-r« 'nen, täglich Morgen» in 1800 DoNNerftaa. 25 November ^er Anzeiger" und dem tägli-
Exempl. und kostet mit dem Unter-
Haltungsblatte vierteljährl. 1 fl. die gewöhnl.Zetlr berechn. mUSkr.

Neber Warteschnlen.
(Schluß.l
2) Wie müssen die Faktoren einer Kleinkinderschule sein, um
wahre fromme, nüchterne und gediegene Menschen zu bilden?
Der Erzieher oder die Erzieherin muß ein Muster
von Charakter sein; fern von Launen; eine meisterhafte Gottes-
natur. Der gediegene Charakter ist gerecht, konsequent; uner-
müdet strebt er das Gute um des Guten Willman; das Lehren
und Erziehen hat er mit Hellem Kopfe und offenem Herzen er-
lernt. Ein solcher Lehrer ist selbst ein Kind, er liebt Jugend,
frische, langweilt sich nicht gerne, ist fern von Ehrsucht, hat keilte
Seitengedanken. Er genießt um zu leben. Er freut sich nur,
wenn sich seine Umgebung sreut. — Ein solcher Lehrer besitzt
aller Kinder Herzen und sein Wirken und Schaffen ist befruch-
tend und segnend, wie das Licht der Sonne: In seiner Nähe
verinnen die Stunden zu Minuten.
Das Lokal muß von allen Himmelsgegenden Licht zuströ-
men lassen, und bei gutem Wetter, eben so freie Luft. Licht,
Luft und Wärme dürfen nie abnorm werden. Reinlichkeit und
Ordnung müssen das Losungswort sein.
Der Unterricht muß sich zur Aufgabe machen: alle Sinne
zu üben und zwar in gleichem Schritt die Vermittlungswerk-
zeuge zum Bewußtsein mit denjenigen, welche der Außenwelt,
resp. dem wahrnehmungsfähigen Wesen, die Bilder des Geistes
versinnlichen. Das Auge, als erstes Organ für höhere Bildung,.
muß für Nah- und Fernsicht, Stärke und Schwache der Licht-
erscheinungen u. s. w. geübt werden. Das Ohr muß die Wen-
dungen der Töne der Menschenstimme, wie eines musikalischen
Instruments eigen bekommen. Das Geruchsorgan muß Wohl-
und Uebelgerüche unterscheiden lernen- Ein jeder Sinn muß in
seiner Richtung geübt, das der Gesundheit Nachtheilige besonders
eingeprägt werden. Das Herz lernt geistig fühlen durch alle
Sinne. Der kleine Mensch, den Christus der' Herr so lieb hatte,
ist so empfänglich für Alles, empfindet bald für jedes Wesen
Liebe, wenn Liebe sein Lehrmeister ist, er zeigt unerwartet so viel
Freude am Schönen, und dann dankt das gute Kind mit einem
warmen Blick, es bittet mit einer süßen Mine, welchem der Harte
nicht widerstehen kann, es achtet seine Wohlthäter und — nun
betet es fromm! Gott, den es nur mit Ehrerbietung nennen hört,
liebt es über Alles.
Das Lesen soll vor dem fünften Jahre nicht geübt werden,
wohl aber Schreiben und Lautiren. DaS Lesen hat ja doch nur
Zweck, wenn es verstanden werden kann.
An den Dingen ist zu erkennen: 1) Form, 2) Farbe, 3)
Zahl, 4) Größenverhältniß, 5) Richtung, 6) Lage, 7) Verbin
düng ; sämmtliche u) für sich, b) zu einander, e) zum Anscheinen-
den und ck) besteht aus der Verbindung von n, b und e; 8)
die Verhältnisse der Gegenstände. Dieser Stoff, mit Lebendigkeit
behandelt, macht die Schule zum Vergnüanngsort, statt zum
Kreuz, und führt zu klarem Denken; und wenn die Erzieherinnen ihre
ganze Aufmerksamkeit den Kindern widmen (nicht stricken, nicht
lesen, nicht träumen), so verschwinden die sogenannten Bö-
sen und die „Eselsbank"! Bei warmem, gutem Wetter muh
im Freien geturnt werden; ich verstehe darunter nicht halsbre-
chende Springe, sondern systematische Gliederbewegungen, allen-
falls nach dem Turnbüchlein von Dieder aus Halle, Spiele
von Gutsmuth u. s. w. Auf diese Weise ist für Leib und Seele
gesorgt, und wir erziehen ein Geschlecht, das in Wahrheit liebt,
tief fühlt und seine Ahnen preisen wird.
In einem Lande, dessen edler Fürst die Devise tragt: „For-
schen führt zu Gott", und in einer Stadt wie Mannheim, wo
alles Gute und Schöne mit voller Kraft ungefacht wird, kann

mein Ruf für die Kinder nicht vergeblich verhallen: Erbarme
Euch der lieben Kleinen und bringet sie in so natürliche Ver-
hältnisse, daß ihnen nicht die Kindheit schon zur Last, sondern
zum freudigen Dasein wird.
In der Unterstadt hat ein Lehrer rühmlich begonnen. Es
wäre zu wünschen, daß ein gleiches Beispiel die Oberstadt gäbe.
Da die Wohnungen für diesen Zweck sehr theuer sind, sollte die
Gemeinde Hülfe leisten, da insbesondere die Kleinkinderschulen
mehr und mehr ein Lebensbedürfniß geworden sind. Ich glaube
nicht, daß unsere Stadt gegen die Städte im Norden zurück-
bleibt, wo überall die Fröbel'schen Kindergärten eingesührt werden.
Ist im angeführten Sinne keine Hilfe möglich, so mögen
die Warteschullehrerinnen mindestens pädagogische Bildung er-
halten Unsere Ammen werden von den geschicktesten Hebärzten
für ihren Berus gebildet, um die körperliche Pflege des Säug-
lings zu verstehen. Warum soll die Amme für den Geist keine
sorgfältigere Bildung sich aneignen? Ist der Geist nicht mehr
werth, als der Leib? Was nützt uns eine schöne Uhr, wenn sic
schlecht oder gar nich' geht?
Wird bei diesen Zeilen mein Streben nicht verkannt, und
findet es Theilnahme, wie schon oft im Gespräche über diesen
Gegenstand, so schätze ich mich glücklich, der Mitwelt einen ge-
ringen Dienst erwiesen, und den lieben Kleinen bald manche
nutzlose Thräne erspart zu haben.
* Mannheim, 24. Nov. In verschiedenen Blättern
fanden wir seither die Nachricht von einer neuen Ausgabe der
Selbstbiographie des Ritters Götz von Berlichingen. Unterm
2t. Nov. wird der „Badischen Landeszeitung" von der Jart in
bestimmter Weise darüber geschrieben: Ein Nachkomme des bi-
derben Ritters in direkter Abstammung, der Freiherr Fried-
rich v- Berlichingen, k. k. österr. Rittmeister undKaminerherr,
zu Mannheim, hat schon seit Jahren für die Geschichte seiner
Familie, so wie besonders seines Ahnherrn Götz mit der eisernen
Hand Alles darauf bezügliche, eine Menge Urkunden und Ak-
tenstücke, mit Mühe und Kosten gesammelt, und wird demnächst
das Ergebniß seiner Sammlungen und Forschungen veröffentli-
chen unter folgendem Titel: Leben und Fehden deS Ritters Götz
V- Derliebingen, zubenannt mit der eisernen Hand, nach der äl-
testen Handschrift, illnstrirt mit Bildern, Faesimiles und einem
Htammbaum. Inhalt: 1) Götzens Autobiographie. 2) Kritik
der sämmtlicheu Handschriften und Ausgaben. 3) Der Prozeß
mit Kurmainz nach dem Original. 4) Urkunden und Briefe
5) Geschichte und Beschreibung der eisernen Hand. 6) Stammbuch
der effernen Hand. 7) Geschichte der Familie v. Berlichingen. 8)Ge»
schichte der alten Abtei Schönthal, Erbbegräbniß derBerlichingen- An-
hang: 1) Verrheidigung Götzens v- Berlichingen gegen seine Anklä-
ger, wegen seiner Theilnahme am Bauernkrieg von Dr. H. Zöpfl,
Hofrath nnd Professor zu Heidelberg. 2) Ehrenkranz für Götz
v Berlichingen (Lieder deutscher Dichter.t Wir freuen uns auf
das Erscheinen dieses Prachtwerkes, wegen dessen Verlag schon
mehrere namhafte Buchhandlungen dem edlen Herausgeber An
träge gestellt haben.
Mannheim, 24. Nov. Heute Morgen nach 10 Uhr
fuhr ein Bauer mit einem Wagen voll Gerste an den vordern
Hafen, nahe vor dein Garteil des „Europäischen Hofes " Als
die Pferde eben ausgespannt waren und der Bauer sich mit den-
selben entfernt hatte, wollten die Sackträger den Wagen mit der
langen Seite gegen das Wasser stellen, um bequemer abladen z«
können. Als sie denselben nun in Bewegung gebracht hatten,
konnten sie die Deichsel nicht drehen uud mußten dieselbe, wäh-
rend der Wagen im Laufen war, loslassen, um sich in Sicherheit
zu bringen. Der Wagen stürzte sammt der Ladung mit dem
 
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