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Mannheimer Anzeiger — 1858

DOI Kapitel:
Nr. 285 – Nr. 310 (1. Dezember – 31. Dezember)
DOI Kapitel:
Nr. 307
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https://doi.org/10.11588/diglit.29921#1541

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Rr. 307

Erscheint, Momag« ansMom-
men, täglich Morgens in 1800
Exempl. und kostet mit dem Untcr-
haltungsblatte Vierteljahr!. L 6.

Dienstag, 28. Dezember

Anzeigen werden in dem „Mann-'
Heimer Anzeiger" nnd dem tägli-
chen „Siraheuplakat" zusammen
die gewöhnl.Zelle berechn, mit T kr.

1888,

k' Rückblick mit das Jahr 1858.
Zwischen dem Alten,
Zwischen dem Neuen
Hier uns zu freuen
^schenkt und das Glück.
Und das Vergangene
Hecht mit Vertrauen
Vorwärts zu schauen,
Schauen zurück.
Goethe.
Nur noch einige Tage und wieder reiht sich eilt vergangenes
Jahr an die vieltausendgliedrige Kette seiner Borgänger an-!
Wenn auch dieses Jahr nicht viel reichhaltige Momente dem
Griffel des Geschichtschreibers bietet, weil die Ereignisse der augen-
fälligen Politik nicht hervorstechend genannt werden können, so
schließt sich aber mit diesem Jahre ein Deeenium ab, das be-
sonders einen großen Werth zum Rück'chauen hat, indem nicht
leicht ein Solches von einem Menschenalter wieder erlebt wird.
Zehn Jahre also sind es, die wir in unserer Erinnerung
heraufbeschwören müssen, 10 Jahre in ihrem Compler, hochwichtig
genug, um sie geschichtlich würdigen zu müssen, um sie als reiche
Lehre für die Geschichte der Zukunft dienen zu lassen, in deren
Tafeln sie mit scharfer Schrift eingegraben zu sehen.
Auf die verfrühten Märzblüthen des Jahres 1848 erfolgte
naturgemäß der zerstörende Frost, und mit diesen! verfiel leider
so manche blühende Blume und reifende Frucht früherer Jahre
der Vernichtung anheim. Wenn auch bald daraus im Staats-
leben des engeren Vaterlandes der Fortschritt sich merklich Bahn
gebrochen, und lang angestrebte Institutionen im Laufe der letzten
10 Jahre zur Geltung kamen, Institutionen, die wichtig genug
sind, um darauf fort zu bauen, das deutsche Volksleben und
seine Nationalität zu heben, wie z. B. die Schwurgerichte, die
freiere Bewegung der Presse, das wieder zunehmende Bewußtsein
und Festhalten der Verfassungen, so ist in Bezug ans die Ge-
sammtverfassung des deutschen Vaterlandes noch viel zu wünschen
übrig, was nur durch fortgesetztes reges Streben der Regierungen,
unterstützt von gleichgesinntem Volke, erreicht werden kann.
Die anfgesprosstnen Blüthen früherer Decenien, auf dem
Felde des confessionellen Friedens und der Glaubensfreiheit, sind
am Meisten und Nachhaltigsten von den Folgen der Wetter-
schläge des letzten Jahrzehnts betroffen morden, was natürlich
nur weitere Spaltungen im Kerne des deutschen Volkes verursa-
chen muß.
Wenn nun unsere Betrachtungen ans diesem Felde nicht be-
friedigend verzeichnet werden können, um wie viel mehr bleibt uns
die wichtige Erscheinung des materiellen und socialen
Kampfes in dem zurückgelegten Zeitabschnitte zum Nückschauen
würdig- Die Utopien und Erperimente eines Louis Blanc und
Eonsorten sind mit ihren Nationalwerkstätten nach kurzem und
kränkelndem Leben zu Grabe gegangen, Proudhon's und Weid-
ling's narrische Theorieen jsiud von der ganzen civilisirten Welt
mit gerechtem Unwillen verwünscht, ihnen ebenfalls gefolgt, aber
leider haben auch unsere deutschen VolkSwirthe kaum vermocht,
ein Minimum ihrer gerechten Wünsche erlang! zu sehen. Hier
Welfen! Hier Gebillinnen! Hier Monopol, dort Gewerbesrei-
heit, hier Freihandel, dort Zunstzopf, hier Rheinoctroi, dort
Durchfuhrzoll, hier österreichische Gulbcnstücke, dort Vereinsmüuze,
hier Malter, dort Scheffel u. s. w. Ein Deutschland und ein
Geld, ein Gewicht, ein Maaß, eine Elle, ist der gerechte Rus,
der hoffentlich nicht länger mehr ungehört verhallen möge.
Die Wichtigkeit der socialen Stellung, welche vor 10 Jah-
ren so falsch begriffen ward, ist zwar auf die Bahn der deutschen
Discussion gekommen, und obschon in unserem Vaterlande nach

altherkömmlicher Gewohnheit lange und viel gesprochen, ehe das
Ziel erreicht wird, so hoffen wir mit Zuversicht, daß uns das
nächste Jahrzehnt keine Enttäuschung unserer Hoffnungen, sondern
vielmehr ein Erstarken unserer Nationalität, durch unsere ma-
terielle Einigung, gleich wie wir im Zollverein ein Bild vor-
schweben haben, erzielen werden.
Hoffen wir, daß der Christtag 1858, der Tag der Einigkeit
der verschiedenen Consessionen, dieselbe als Christgeschenk wahrer
Christen gebracht habe, und zweiflen wir nicht, daß unsere Re-
gierungen alsdann segensreich auf der Bahn des Fortschritts und
des Zeitgeistes, wie wir in Preußen eine glückliche Aera aufgehen
sehen, zum Heil der deutschen Nation wirken können.

- Mannheim, 27. Dez. I. I. K. K. H. H. der Groß-
herzog nnd die Großherzogin trafen heute Vormittag von Karls-
ruhe hier ein, zum Besuche I. K. H. der Frau Großherzogin
(Stephanie, und kehrten gegen Abend wieder nach Karlsruhe zurück.
Ld Mannheim, 27. Dez. Der Großh. Oberamtörichter
Herr Erter hat heute durch die Gnade Sr. Königl. Hoheit des
Greßherzogs das Ritterkreuz des Zähringer Löwenordens erhalten.
* Mannheim, 27.'Dez. Das Hobe Namensfest Ihrer
Kaiserl. Hoheit der Großherzogin Stephanie wurde von allen
Seiten mit großer Theilnahme begangen, obwohl wegen Unwohl-
sein der durchlauchtigsten Frau nur die nächste Umgebung ihre
Glückwünsche dar bringen konnte. Die von Auswärts gekomme-
nen Herrschaften und die Spitzen der hiesigen Civil- und Mili-
tairbehörden wurden zum Diner geladen, das Ihre Kaiserl. Ho-
heit mit Ihrer Gegenwart beehrte. Von Seiten des Militnirs
war Morgens Tagreveille und Mittags Parade. Das Großh.
Hosrheater-Comitö" gab Weber's „Oberoick bei glänzend beleuch-
tetem Hause als Feststück, dem mehrere hohe Herrschaften in der
Großh. Hofloge beiwohnten.
* Mannheim, 27. Dez. Wie wir früher bereits mitge-
theilt, ist der Bau einer neuen Hafenbrücke von der Stadt nach
der Mühlau höheren Orts genehmigt. Gleich nach Neujahr wird
nut dem nach dem Voranschläge sehr zweckmäßigen Baue begon-
nen werden.
O Mannheim, 25. Dez. Professor Deimling kam letzten
Dienstag mit seiner 'Einzelbetrachtung der „Künstler" zu Ende.
Insbesondere besprach er noch die Wiedergeburt der griechischen
Kunst im Abendlande als Folge der Eroberung Konstantinopels
durch die Türken, indem durch die flüchtigen Griechen die Grund-
lagen der netten Cultur und die Saat zur geistigen Reformation
der Menschheit gelegt wurde. Während nun freilich in der Fort-
entwicklung der Zeit die Pflege der Wissenschaft das Hauplstre-
ben der Menschheit geworden und die Kunst etwas in den Hin-
tergund gedrängt worden ist, so bildete nach dem Dichter dennoch
die Kunst den letzten Ring in der menschlichen Entwicklung, indem
der Mensch erst, wenn er gleichmäßig von Kunst und Wissenschaft
belebt und erfüllt ist, seine Aufgabe der möglichsten Vervollkomm-
nung erreicht hat. Deßhalb richtet Schiller eine Ermahnung an
die Künstler, ihres hohen Berufes stets eingedenk und demselben
eifrig ergeben zu bleiben.
Dienstag, den 4. Januar wird Herr.Deimling in einem ge-
drängten Resume noch einmal auf die Künstler zurückkommen,
und alsvann auf das Gedicht „Ideal und Leden" übergehen. —
In unsrer Nachbarstadt Mainz ist em bedauerlicher Conflikt
entstanden. Bei der Feier des Cäcilientages durch die dortigen
Gesangvereine wurde ein kleines Programm verbreitet, auf dessen
letzter Seite ein abwechselnd in deutscher, abwechselnd in lateini-
scher Sprache verfaßtes Trinklied steht, das an seiner Spitze drei
karrikirte Zechergestalten trägt nnd nach der Melodie eines Kir-
 
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