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Mannheimer Anzeiger — 1858

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Nr. 233 – Nr. 259 (1. Oktober – 31. Oktober)
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Nr. 251
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https://doi.org/10.11588/diglit.29921#1179

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Mainchcimcr Anzcigkr.

1858

Erscheint, Montag» auSgeuom- Anzeigen werden in dem„Maun-
«>*. 9^1 men, täglich Morgens in 1800 Al'l'ii'llll 99 Heimer Anzeiger" nvd dem täglt-
LSI Exempl. und kostet mit dem Unter- LS chen „Straßenplakat" zusammen
haltunLSblatte vierteljährl. 1 ss. die gewöhnl.Zeile berechn, mit Skr.

Bericht des Capitäns Renaud
von der „Maurice" an seine Schiffs Herren.
Ich ging am 8. Sept., 5 Uhr Abends, von Neusoundland
nach der Reunions-Insel ab. Am 13. Sept., um 2 Uhr Nach-
mittags, hatten wir ein Dampfboot vor uns. Um 2^ Uhr sa-
hen wir nur noch Flammen. Ich steuerte auf das Schiff zu,
und wir waren nicht eine Meile von ihm entfernt, als wir an-
fingen, Unglückliche zu retten, welche sich an fast ganz verbrannte
Masttrümmer klammerten. Wir retteten deren Mehrere,
immer auf den Dampfer zusteuernd, der von vorn bis hinten
nur ein Feuerherd war. Als ich es ohne Gefahr für mein eige-
nes Schiff thun konnte, schickte ich meine beiden Boote den Un-
glücklichen zu Hülfe, welche uns mit herzzerreißendem Schreien
die Arme entgegenstreckten. Ich gebe den Bericht meiner beiden
Offiziere (Rivert und Bertaud), welche die Rettungsboote kom-
mandirten. „Von vorn bis hinten — berichten sie — stand das
Schiff in Feuer und die Unglücklichen waren obne alle Zuflucht.
Auf dem Bugspriet waren mindestens 300 Personen; längs des
Bordes hingen wenigstens 150—200 Menschen an Stricken,
welche an den Oberbalken des Schiffes befestigt waren. Manch-
mal klammerten sich 20 bis 30 an denselben Strick; das innere
Feuer verbrannte ihn, und alle die Unglücklichen verschwanden
rettungslos in den Wellen. Wir sahen deren so 250—WO um-
kommen." Nach viermaligem Hin- und Hersahren vermochten
diese Herren 45 Unglückliche an Bord zu bringen. Um 9 Uhr
Abends legte ein leckes Boot des Dampfers längs unseres Bor-
des an, und es konnten abermals 20 Personen gerettet werden.
Als das letzte Boot, unter Befehl des Herrn Bertaud, eintraf,
war es völlig Nacht; er hatte nur 2 Personen retten können.
Er sagte, daß die Unglücklichen, welche alle Schrecken der Nacht
vor sich sahen, sich in's Meer stürzten und nur als Leichen wie-
der auftauchten. Das Schauspiel war entsetzlich; die Ruder sei-
nes Bootes tauchten nie ins Wasser, ohne Leichen auf die Seite
zu schieben. Um meine Leute nicht unnütz einer Gefahr auszu-
setzen und da die See schon hoch ging, so hielt ich mich in ber
Nähe des Schiffes, um am nächsten Morgen zu sehen, ob noch
andere Opfer zu retten seien. Aber am Morgen war ein nor-
wegisches Schiff mir zuvorgekommen; es war Niemand mehr an
Bord. Ob der Norwege Jemand retten konnte, weiß ich nicht.
Leider muß ich sagen, daß, während ich beigelegt hatte, um zu
retten, was zu retten war, 3 Schiffe, die uns ohne allen Zweifel
sahen, vorüberfuhren, ohne sich im geringsten um die Noth ihrer
Mitmenschen zu kümmern. Heute, 14. Sept., habe ich 67 Schiff-
brüchige arr Bord, wovon Mehrere sehr krank sind, trotzdem Alles
sich beeilte ihnen beizustehen, und die Mannschaft ihre Koffern
leerte, um diese Unglücklichen zu kleiden. An Bord der Austria
befanden sich an Mannschaft und Paffagieren 550 Personen.
Hat nun, wie zu befürchten ist, der Norweger Niemand gerettet *),
so kamen bei diesem schreckkichen Ereignisse 483 Menschen um.
Diesen Abend, 14., begegnete ich einem englischen Schiffe, dem
„Lotus", welches von Europa nach Halifar ging; es nahm mir
12 Passagiere ab. Heute, 15. Sept., ist der Zustand der Kran-
ken etwas besser, aber die Brandwunden sind so stark, daß die
an Bord befindlichen geringen Hülfsmittel leider unzureichend
find. . .
Das Benehmen des Capitäns und der Offiziere der „Anstria"
findet in der amerikanischen Presse die härteste Anklage. Sie wirft ih-
nen Fahrlässigkeit, Kopflosigkeit und Jndisziplin vor, verbunden mit
einer Gewissenlosigkeit, die nur an die eigene Rettung dachte.
Von Rettungsversuchen sei keine Rede gewesen; ebensowenig von
*) Die neuesten Nachrichten melden, daß dieses Schiff 22 Perso-
nen, >6 Passagiere und 6 Matrosen gerettet hat. D. Red.

einem energischen Bestreben, die Ordnung zu handhaben, so weit
es unter solchen Umständen möglich. Statt die Maschine still zu
stellen und das Schiff zu drehen, habe man es in derselben Ge-
schwindigkeit und in derselben Richtung fortgehen lassen, und sei
nur bemüht gewesen, so rasch wie möglich davon zu kommen;
die unglücklichen Passagiere habe man ihrem Schicksale überlassen.
Ohne Zweifel gehen diese Beschuldigungen zu weit, und werden
zum Tsseil durch die Aussagen der Geretteten, namentlich des
Hrn. Glaubensklee, widerlegt. Wir wollen damit jedoch keines-
Wegs gesagt haben, daß Kapitän und Offiziere so ihre Schuldig-
keit gethan haben, wie es von ihnen zu erwarten war. Dem
sei indeß, wie ihm wolle, so gebührt auch ihnen das Wort zur
Vertheivigung, und wir geben daher auch einen Auszug aus
einem Bericht, den 9 von der Schiffsmannschaft Gerettete, dar-
unter die Offiziere Hahn, Hepdtmann und Burnett, in der „Ti-
mes" abstatten, um zu beweisen, daß sie ihre Pflicht gethan ha-
ben. Sie versichern, daß alle Löschversuche unmöglich waren,
nachdem gleich Anfangs die Bleiröhren der Wasserleitung schmol-
zen, daß man den Laus des Schiffes nicht aufhalten konnte, da
der Brand im Mittelschiffe den Zugang zum Maschinenraum
wehrte, daß endlich Boote genug vorhanden waren, aber daß sie
wegen ver erschreckten Passagiere nicht regelrecht hinabgelassen
werden konnten. Der Kapitän — so erzählen diese Herren —
befahl, die Boote loszumachen, sprang dann von der Brücke aufs
Deck, wahrscheinlich um die Passagiere in Ordnung zu halten,
mußte dabei, um'aufs Hinterdeck zu gelangen, mitten durch die
Flammen, wodurch er stark verletzt wurde, und ward vom 1.
Offizier zuletzt — offenbar betäubt durch erhaltene Brandwunden
— am Rande des Halbdecks gesehen, von wo er, wie einige
Passagiere aussagen, über Bord gesprungen sein soll. Das erste
Boot — so heißt es in diesem Berichte weiter — das unversehrt
hinabkam, schlug zwar um, weil es überfüllt war, richtete sich
aber wieder auf, und brachte (von 30, die hineingesprungen wa-
ren) 23 an Bord der Maurice, darunter den 1. Offizier, Hrn.
Hahn, und 6 Matrosen. Das geschah um 3 Uhr Nachmitt., und um
8 Uhr erreichten sie den „Maurice". Der 2. Offizier kam eine
halbe Stunde später schwimmend am „Manrice" an; er war um
2^ Uhr durch die in sein Boot sich drängenden Passagiere über
Bord geworfen worden, und rettete sich durch sechsstündiges
Schwimmen. Der 3. Offizier endlich hatte bis 5 Uhr auf dem
Schiffe ausgehalten. Dort hing er an einem Seile, bis die glü-
henden Eisenseitcn des Schiffes ihn zwangen, das Seil loszulas-
sen und sein Heil im Schwimmen zu versuchen. Mittelst Hilfe
einiger Balken erreichte er, arg verbrannt, das französische Boot
um halb 7 Uhr. Dies ist der Hauptinhalt des Berichtes. Die
HH. Offiziere versichern, alle Versuche, Ordnung unter den Pas-
sagieren herzustellen, seien vergebens gewesen. Ein Weiteres zu
ihrer Ehrenrettung werden sie den kompetenten Behörden in Ham-
burg vorlegen.

* Mannheim, 21. Okt. Die Freunde der schleswig-
holsteinischen Sache erlauben wir uns auf eine Bekanntmachung
des Leipziger Comitös für die entlassenen schleswig-holsteinischen
Beamten aufmerksam zu machen, in der es u. A. heißt: „Un-
ter'm 11. Sept. d. I. schrieb uns der Altonaer Hauptverein:
„„In den letzten zwei Monaten sind nns nur spärliche Beiträge
zugegangen, dagegen wächst die Zahl der Hilfesuchenden, indem
viele der entlassenen Beamten, die in den letzten sieben Jahren
von ihren Ersparnissen gelebt, nun ihre Mittel vollständig ver-
braucht haben und die Hilfe des Vereins in Anspruch nehmen
müssen; denn dem größten Theil nach sind sie zu alt (die mei-
sten derselben stehen den Siebziger Jahren nahe,) um neue Er-
werbszweige ergreifen zu können."" Die Redaktion des „Mann-
heimer Anzeiger" nimmt fortwährend Liebesgaben für die noth-
 
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