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Mannheimer Anzeiger — 1858

DOI Kapitel:
Nr. 233 – Nr. 259 (1. Oktober – 31. Oktober)
DOI Kapitel:
Nr. 257
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https://doi.org/10.11588/diglit.29921#1217

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Mannbcimr Anzcii;cr.

Erscheint, Montag» auSgenom- Anzeigen werden in dem „Marm-
el* 857 men, täglich Morgens in 1800 AO Heimer Anzeiger" und dem tägli- 185^
SS«. Exempl. und koste! mit dem Unter- O^kllUgf SN. cheu „Straßeuplakat" zusammen L^S^
haltungSblatte vierteljährl. L il. die gewöhvl.Zeile berechn, mit Skr.

Auf den „Mannheimer Anzeiger"
und das „Unterhatungsblatt" kann man
sich «och für die Monate November und
Dezember mit 4.0 Kreuzern abonniren, bei den Postanstal»
ten, den Boten der Umgegend, den Trägern in der Stadt und
der Expedition, Lit. X 2 Nr. 9 in Mannheim.

Jung-Germanien.
Eine frische kecke Richtung herrschte noch vor einem Jahr-
zehnt in unserer Literatur, in Prosa und Dithyramben stürmte
man gegen Staat und Kirche, Wissenschaft und Kunst. Der
Kultus, dem geopfert wurde, war die Freiheit, die, wie H. Heine
sagt, auch eine Religion ist, und die Begeisterung für sie, ließ
oft das Vaterland vergessen. Mag mitunter manches frivole
unbesonnene Wort erschollen sein, so offenbarte sich doch auch
kernhafte Gesinnung und männliches Streben zur Erringung deS
Bessern; was überhaupt dadurch zu Tage gefördert worden
wäre, ob Glück, ob Unglück, wer mag es sagen? Der Revolu-
tionsfturm bat Alles, Korn Und Spreu, verweht. Als Haupt-
vertreter dieser Richtung gilt Börne, ein Mann, der oft angel-
feindet als ein Verhöbner der deutschen Nationalität, alle die an
patriotischem Sinne übertraf, die im Gefühl ihres eigenen Werths
ihn anzutasten wagten- Schmerz und Unwillen über die bitteren
Enttäuschungen, welche die den Freiheitskriegen folgende Periode
allen Vaterlandsfreunden bereitete, trieben ihn aus Deutschland
und gaben ihm die Feder, um seinem Unmuthe in zorniger Rede
Luft zu machen. Nicht dem deutschen Volke, sondern einer Par-
tei, die wie ein Aly auf dem politischen Leben lastete, und sich
krampfhaft jedem Fortschritte widersetzte, ihr galt sein Spott und
Hohn. Börnes Nachfolger blieben nicht immer seinem Geiste
getreu, oft war es nicht patriotische Indignation, n?as sie Deutsch-
land schelten ließ, sondern Aerger über das Mißlingen eigener
Pläne, oder gar nur Sucht ru glänzen, und als die Julitage
daS Reaktionssystem in Frankreich gebrochen, lie'en sich selbst
unsere besten Geister vom Schwindel hinreißen, diesen Staat auf
Kosten ihres Vaterlandes, bis in die Wolken zu erheben. Diese
Anbetung wirst einen Schatten auf das „junge Deutschland",
welches sonst durch entschiedenes Auftreten gegen jeglichen Pe-
dantismus, kräftiges Darstellen alles Veralteten und Hohlen in
seiner Nichtigkeit, unstreitige Verdienste um unsere öffentlichen
Zustände sich erworben hat.
Die Aendcrungen, welche die Ereignisse der Gegenwart in
der Politik aller Staaten erzeugen, will nun ein Verein deutscher
Schriftsteller dazu benutzen, um das Nationalgefühl wieder zu
kräftigen und thätig zu machen, und Wie früher" „Jung-Deutsch-
land" auf kosmopolitischem Standpunkte die Freiheit, so stellt
„Jung-Germanien" auf rein patriotischem das Vaterland an die
Spitze seiner Bestrebungen. Diese Tendenz verdient alle Aner-
kennung und Förderung und darf als ein Fortschritt bezeichnet
werden; ob ihr Zweck erreicht wird, steht außer den Kräften eines
Vereines; so wenig die Literatur allein eine Erschlaffung des
Nationalgefühls bewirken konnte, ebenso wenig wird eS nur durch
sie wieder gehoben, es muß stets noch ein Äeußeres hinzutreten.
Dies ist der wirkliche Zustand eines Staates; wo die Triebfeder
der Handlungen einn Regierung nur Revolutionskurcht ist, kei-
nem nationalen Bedürfnis entsprochen, keine nationale Politik
befolgt wird, da wendet sich der oberflächliche Sinn der Menge
leicht vom Allgemeinen ab, um egoistischen Intentionen zu leben
und eine unpatriotische, von Parteisucht entstellte Literatur hat
diese Stimmung nicht erzeugt, sondern ist nur ihr Ausdruck. Wo
jedoch das Gegcntheil herrschende Marime ist, hebt sich nothwen-
dig das Nationalbewußtseyn, und alle Vortheile hievon wird ein
Staat in reichem Maaße erndtcn. Diese Vortheile bestehen in

nichts Geringerem, als der Sicherung seiner Existenz; beim po-
litischen Jndifferentismus hängt die Gestaltung des Staates vom
Zufall, der Willkühr und Unthätigkeit seiner äußeren oder inneren
Feinde ab, und wie wenig hierauf zu rechnen ist, lehrt die Er-
fahrung aller Völker und aller Zeiten. Eben das Nationalbe-
wußtsein in einem Staate ist dasselbe, was die Seele im mensch-
lichen Körper, daS belebende Princip; wo es mangelt , ist der
Tod.
Deutschland, so hoch es sonst über andern Ländern steht,
wird hierin von den meisten übertroffen. Nicht als ob unsere
Geschichte Kein Beispiel patriotischer Tugend bieten würde, wir
haben viele glänzende Thaten, von den Fürsten wie dem ganzen
Volke, die trotz den verworrensten ungünstigen Ereignissen und
Schicksalsschlägen den deutschen Namen behauptet haben, aber es
fehlt Energie, um die Stellung zu erringen, die wir vermöge
unserer geographischen Lage und Kultur einzunehmen berufen
sind, es fehlet uns, mit einem Worte, eine nationale Politik.
Man spricht zwar, durch die Erfahrungen der jüngsten Ver-
gangenheit bereichert, jetzt häufig davon, Mjd überall thut sich
eine freudige Zustimmung kund, aber noch sprechen hiefür keine
Thatsachen, noch ist zu ihrer Realisirung keine Aussicht vorhan-
den, als das Interesse, und der Wunsch der Nation, beide wur-
den zu oft schon vernachlässigt und verkannt, um neuen schimmern-
den Aussichten leichthin Glauben zu schenken. Wie sehr wurde
im orientalischen Kriege das deutsche Interesse anderweitigen
Rücksichten hintangefetzt, wie wenig geschah auf politischem, selbst
volkswirthschaftlichem Gebiete, eine nähere Einigung der deutschen
Stämme zu erzielen, und die wichtigste unserer Angelegenheiten,
die schleswig-holsteinische Streitsache, wie flau wird sie von ge-
wisser Seite betrieben, wie gern nähme man irgend einen Vor-
wand, nm nur einigermaßen ehrenvoll zurückzutreten. Während
Frankreich und England ihre Flotten in die entferntesten Meere
senden, wenn nur ein einzelner Bürger dieser Staaten gekränkt
wird, ist man hier saumselig in Wahrung der Rechte, zweier
deutscher Länder, die offen und ungescheut vor unseren Augen ver-
letzt werden. So lange eine nationale jPolitik sich nur in Phra-
sen, nicht durch Thaten offenbart, wird auch das Nationalbe-
wußtsein nicht gehoben, mögen unsere Schriftsteller davon spre-
chen oder schweigen. Ob wir eine solche haben werden, lehrt
die Zukunft, wir erwarten sie, erwarten sie vor Allem von dein
Prinz-Regenten von Preußen, dem auch die Geschicke Deutsch-
lands in Händen liegen, und dessen patriotische Gesinnung all-
gemein bekannt und verehrt ist. Ohne diese Politik aber wür-
den wir durch deutschthümelnden Bombast ebenso lächerlich, als
durch ausländische Götzenanbetung verächtlich. (Freib. Z.)
Mannheim, 28. Okt. Sicherem Vernehmen nach hat
der Vorstand der hiesigen deutschkatholischen Gemeinde einen
Platz zum Betsaal-Bau angekauft, worüber am Sonntage der
Gemeinde zur Genehmigung Vorlage gemacht werden wird.
Mannheim, 28. Okt. Zu dem gestrigen Aufschluß
über die Angelegenheit des getauften Judenknaben in Bologna
sei noch bemerkt, daß ganz ähnliche Fälle nicht so selten vorkom-
men. Auch in unserem Laude findet sich dergleichen, z. B. in
hiesiger Stadt müssen manche Kinder wider ihren und ihrer
Eltern Wille nach dem badischen Landesgesetze den Unterricht in
der katholischen Schule besuchen und ebenso umgekehrt manche
Kinder gleichfalls wider ihren und wider ihrer Eltern Willen
den Unterricht in der protestantischen Schule. Man sieht alst^
wenn's der Mühe werth wäre, sich über die ganze Geschichte so
sehr zu ärgern, wie es manche Blätter thun, so könnte man den
Stofffdazü ganz aus der Nähe beziehen.
k Mannheim, 28. Okt. Der doppelte Kreuzartikel des
I Anzeigers von heute, welcher als Schildträger Roms in der
 
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