Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift (27.1912/1913)

BEILAGE ZUR „MODERNEN KUNST“

Beschmutzung, täglich badete er zweimal und breitete
häufig seine Flügel und den Schwanz aus, als wollte
er sein Prachtkleid mustern. Wahrscheinlich nur, um
sein Gefieder zu schonen, kam er so selten auf den
Boden des Käfigs herab. Namentlich des Morgens ent-
faltete er seine volle Pracht und beschättigte sich damit,
das Gefieder in Ordnung zu bringen. Er breitete die
schönen Seitenfedern aus und zog sie sanft durch den
Schnabel, wobei er die kurzen Flügel weit entfaltete
und zitternd schlug. Dann erhob er gelegentlich auch
die prächtigen, langen Federn, die wie ein Hauch in der
Luft zu schweben schienen, über den Rücken, wobei
er sie gleichfalls ausbreitete. Das dauerte eine ganze
Weile, und alsbald bewegte er sich in raschen Sprüngen
und Wendungen auf und nieder. In seinem ganzen Be-
nehmen drückten sich unverkennbar Eitelkeit und Stolz
auf die eigene Schönheit dabei aus. Er betrachtete sich
bald von oben, bald von unten und gab seiner Freude
in krächzenden Lauten Ausdruck. Nach jeder einzelnen
Entfaltung seiner Pracht schien ihm wieder eine Ordnung
des Gefieders notwendig. Solche Arbeit ließ er sich
aber nicht im geringsten verdrießen, sondern er spreizte
und brüstete sich immer wieder wie ein eitles Frauen-

zimmer. Nur der sich einstellende Hunger siegte ge-
legentlich über die Gefallsucht. Die Sonnenstrahlen
waren ihm sichtlich unangenehm, er suchte sich ihnen,
so gut es ging, zu entziehen. Ein Bild von sich erkannte
er sogleich, näherte sich ihm und begrüßte es mit
Krächzen; er betastete das Bild jedoch nur vorsichtig,
sprang dann auf seine Sitzstange zurück und klappte
den Schnabel wiederholt rasch zusammen. Darauf hielt
man ihm einen Spiegel vor. Er besah sich sein Abbild
sehr aufmer.ksam und eingehend und rührte sich nicht
von der Stelle, solange er sich sehen konnte. Als der
Spiegel von der oberen auf die untere Stange gestellt
wurde, folgte er sofort nach; als jedoch dann der Spiegel
auf den Boden gelegt wurde, weigerte er sich, hinab-
zusteigen. Sowie der Spiegel entfernt worden war,
sprang er auf die höchste Sitzstange zurück und verfiel
alsbald in völlige Gleichgültigkeit. Auch zum Fressen
kam er nie auf den Boden herab; nur wenn er baden
wollte, berührte er die Erde. Sein Futter, gekochten
Reis und lebende Heuschrecken, verzehrte er sehr
manierlich, ein Korn ums andere. Seine Mauser währte
jedesmal vier volle Monate.

Alle Forscher, die Paradiesvögel lebend und fliegend

beobachteten, berichten mit gleichem Entzücken von dem
faszinierenden Eindruck dieser schimmernden Pracht.
Schwebt ein einzelner Paradiesvogel, einer Lichtgarbe
gleich, schildert ein Beobachter den Paradiesraben
(Paradisea apoda), durch die hohen, dämmernden Wipfel-
hallen, ganz eingehüllt in den goldigsilbernen Schimmer
seiner Federschleppe, so mag ein solcher Anblick aller-
dings den ungewohnten Europäer fast an etwas Uber-
irdisches erinnern und der „Göttervogel“ seines stolzen
Namens nicht unwert erscheinen. Als Lesson den ersten
Paradiesvogel über sich hinwegfliegen sah, war er von
dieser Pracht so benommen, daß er vergaß, nach ihm
zu schießen.

Viele Paradiesvogelarten sind in ihrem Vorkommen
auf die hohen Gebirge im äußersten Nordwesten und
Südosten Neu-Guineas beschränkt. Hier halten sie sich
in den dichten Wäldern des Arfak- und Charles-Louis-
Gebirges einerseits, des Owen-Stanley-Gebirges ander-
seits verborgen und sollen in Höhen bis zu 3000 m
vorkommen. Die schönsten Arten scheinen auf gewisse
vorgelagerte Inseln, so die Aruinseln, woher der
Paradiesrabe stammt, Waigeu, Jappen, Salawati, Djilolo
oder Halmocheira (die westliche Verbreitungsgrenze),


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