Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0680
DOI Heft:
22. Heft
DOI Artikel:Reinke, Siegfried: Künstlerische Porträtphotographie
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MODERNE KUNST.
Micha Mikum.
Phot. Dührkoop.
Schon die Beherrschung der gesamten photographischen Technik, die allmäh-
lich zu einem vveiten Komplex geworden ist, die Erkenntnis ihrer Grenzen, aber
auch Ausnützung ihrer letzten Möglichkeiten, setzt viel Wissen, hohe persön-
liche Geschmackskultur und große manuelle Geschicklichkeit voraus. Dazu
kommt noch ein Zweites.
Es gehört eine eminente Beobachtungskraft dazu, einem Menschen in wenigen
Augenblicken der Unterhaltung sein Wesen abzulauschen, seine ihm eigentüm-
liche Art der Haltung, Bewegung, Rede und Mimik zu erfassen, herauszufühlen,
in welcher Beleuchtung die körperliche und geistige Atmosphäre eines Gesichtes
am klarsten und überzeugendsten zum Ausdruck kommt. Und all dies ist erst
der erste Schritt. Fehlt dem Photographen das Zweite, ein überlegener Wille,
so sind all seine Erkenntnisse und künstlerischen Absichten umsonst.
Denn es genügt nicht, Erkenntnisse zu machen, man muß auch imstande
sein, die daraus resultierenden Folgerungen zu verwirldichen. Der Bildnis-
photograph muß seinen Willen auf das jeweilige Modell übertragen können,
muß aber dabei eine Natürlichkeit, Ungezwungenheit und Flexibilität des eigenen
Temperaments entfalten, die dem Modell diese Absichten nicht als Zwang
empfindbar machen.
Und noch etwas muß der Bildnisphotograph haben. Er muß Maler sein,
d. h. er muß nicht nur malerisch empfinden, Gefühl für Komposition, Rhythmus,
Gliederung, Tonwerte haben, er muß auch hierin die blitzhafte Entschlußfähig-
keit haben, im Moment das jeweilig Richtige zu tun. Der Amateur, der sein
Modell gewöhnlich kennt, hat es darin leichter, weil er Muße zum Experimen-
tieren hat. Der im praktischen Leben stehende Berufsphotograph muß ein so
souveräner Könner sein, muß so intuitiv zu wählen und zu ordnen vermögen,
daß das Experiment entbehrlich wird.
Bisher war unsere photographische Kultur noch zu sehr vom Experiment,
von der Zufälligkeit des Gelingens abhängig.
Was uns noch fehlt sind nicht so sehr neue Ideen, sondern eine Art neuer
Konvention, ein Sichklarsein über Dies darf ich tun und Jenes nicht. Auch etwas
mehr Bescheidenheit. Daß man vorerst einmal wieder denken kann, dies ist
ein gutes Porträt, und nicht immer und ausschließlich denken muß, diese Auf-
nahme hat Herr Soundso gemacht. Diese falsche Pathetik und Gespreiztheit,
dies eitle Betonen effektvoller Kunststückchen und Hervordrängen der eignen
schönfrisierten Persönlichkeit haben auch unter unseren guten Photographen erst
wenige völlig überwunden.
Jede Kunst zeigt in ihrer Entwicklung einmal die Tendenz nach Unpersön-
lichkeit, ein Sichunterordnen, Aufgehen des Künstlers in dem Werk. So war’s
in der griechischen Plastik, so war’s in jeder guten Architektur, so wies uns in
der Literatur Flaubert den Weg. Und jeder Kunst war dies heilsam und
notwendig, weil ihr erst dadurch ihre immanenten Gesetze zur Klarheit kamen.
Nie war diese schöne Unpersönlichkeit eine Schwäche, sondern stets der ge-
sammelte, in sich gefestigte Ausdruck einer höchst verfeinerten, persönlichen
Kultur.
Nicola Perscheid, Berlin, ist unter den Bildnisphotographen wohl einer der
feinsten. Auch einer der klarsten und einfachsten. Er war einer der ersten,
die in der Photographie neue und eigene Wege gingen. Mathis Masuren, der
verdiente Plerausgeber des Kamera-Almanachs und des photographischen Zentral-
blattes, wies schon 1899 auf die Bildnisse Perscheids hin, der, wie er sich aus-
drückte: „sich als erster in Deutschland um künstlerische Probleme in der
Photographie mühte und in Stellung, Beleuchtung, Arrangement eine Auffassung
zeigte, wie sie uns bei Bildern deutscher Fachphotographen bisher unbekannt
waren.“ — Seine Männerbildnisse sind bei aller Ungezwungenheit von einer
starken Charakteristik. Man fühlt das innerste Wesen des Dargestellten. Er
verzichtet auf alle Beleuchtungsmätzchen, sondern konzentriert unser Interesse
durch klare geschlossene Lichtführung energisch auf Kopf und Hände. Belang-
loses oder gar Zufälliges gibt es auf seinen Bildern nicht. Alles hat seinen
geheimen Radius zur Bildidee, zum Charakter des Dargestellten, ist notwendig
als Fleck in der Harmonie des Ganzen. Betrachten wir daraufhin sein Bildnis
Frank Wedekinds. Dies scheue sprunghafte Sitzen, diese mißtrauische Wach-
samkeit, gemischt aus Tragik und leiser Komik, gibt wirklich den ganzen Wede-
kind. Und dabei das Ganze ein Bild ruhigster geschlossenster Wirkung. Oder
die Energie, mit der der feine schmale Diplomatenkopf des Fürsten von Hatz-
feld modelliert ist, der dabei doch völlig in Haltung und Ausdruck die Noncha-
lance des Aristokraten behält.
Nicht minder schön sind seine Frauen- und Kinderbildnisse. Wie fein und
rhythmisch ein Bild aus Hell und Dunkel, aus Ruhe und Bewegtheit aufgebaut
ist, wie eine Hand mitspricht oder schweigt, wie reich an Nuancen ein Gesicht,
ein Ilals, ein Arm sind. Es gibt Mädchenbildnisse von ihm, die in ihrer lässigen
graziösen Rhythmik, in ihrer Reduktion auf einige wenige untereinander aus-
balancierte Tonwerte, an Whistler erinnern.
Becker & Maaß lieben es, im Gegensatz zu Perscheid, ihren Bildern ein
mehr genrehaftes Gepräge zu geben, das heißt den darzustellenden Menschen
in einer ihm angemessenen Handlung oder Umgebung aufzufassen, durch die
sein Wesen erläutert wird. Dieses Prinzip, das an die Malerei erinnert, könnte
schwächeren Photographen gefährlich werden und den Blick des Beschauers
vom Wesentlichen ablenken. Wo es aber mit so viel künstlichem Geschmack
und Takt geübt wird, wie bei Becker & Maaß, darf man es wohl gelten
lassen. Bilder wie die Dame an der Tür, oder die Lesende, die wir hier
zeigen, haben auch lineare und kompositionelle Schönheiten, die eindring-
lich genug sind, um nicht übersehen zu werden, Schönheiten, die vielleicht erst
Hermann Bahr.
Phot. Dührkoop.
Micha Mikum.
Phot. Dührkoop.
Schon die Beherrschung der gesamten photographischen Technik, die allmäh-
lich zu einem vveiten Komplex geworden ist, die Erkenntnis ihrer Grenzen, aber
auch Ausnützung ihrer letzten Möglichkeiten, setzt viel Wissen, hohe persön-
liche Geschmackskultur und große manuelle Geschicklichkeit voraus. Dazu
kommt noch ein Zweites.
Es gehört eine eminente Beobachtungskraft dazu, einem Menschen in wenigen
Augenblicken der Unterhaltung sein Wesen abzulauschen, seine ihm eigentüm-
liche Art der Haltung, Bewegung, Rede und Mimik zu erfassen, herauszufühlen,
in welcher Beleuchtung die körperliche und geistige Atmosphäre eines Gesichtes
am klarsten und überzeugendsten zum Ausdruck kommt. Und all dies ist erst
der erste Schritt. Fehlt dem Photographen das Zweite, ein überlegener Wille,
so sind all seine Erkenntnisse und künstlerischen Absichten umsonst.
Denn es genügt nicht, Erkenntnisse zu machen, man muß auch imstande
sein, die daraus resultierenden Folgerungen zu verwirldichen. Der Bildnis-
photograph muß seinen Willen auf das jeweilige Modell übertragen können,
muß aber dabei eine Natürlichkeit, Ungezwungenheit und Flexibilität des eigenen
Temperaments entfalten, die dem Modell diese Absichten nicht als Zwang
empfindbar machen.
Und noch etwas muß der Bildnisphotograph haben. Er muß Maler sein,
d. h. er muß nicht nur malerisch empfinden, Gefühl für Komposition, Rhythmus,
Gliederung, Tonwerte haben, er muß auch hierin die blitzhafte Entschlußfähig-
keit haben, im Moment das jeweilig Richtige zu tun. Der Amateur, der sein
Modell gewöhnlich kennt, hat es darin leichter, weil er Muße zum Experimen-
tieren hat. Der im praktischen Leben stehende Berufsphotograph muß ein so
souveräner Könner sein, muß so intuitiv zu wählen und zu ordnen vermögen,
daß das Experiment entbehrlich wird.
Bisher war unsere photographische Kultur noch zu sehr vom Experiment,
von der Zufälligkeit des Gelingens abhängig.
Was uns noch fehlt sind nicht so sehr neue Ideen, sondern eine Art neuer
Konvention, ein Sichklarsein über Dies darf ich tun und Jenes nicht. Auch etwas
mehr Bescheidenheit. Daß man vorerst einmal wieder denken kann, dies ist
ein gutes Porträt, und nicht immer und ausschließlich denken muß, diese Auf-
nahme hat Herr Soundso gemacht. Diese falsche Pathetik und Gespreiztheit,
dies eitle Betonen effektvoller Kunststückchen und Hervordrängen der eignen
schönfrisierten Persönlichkeit haben auch unter unseren guten Photographen erst
wenige völlig überwunden.
Jede Kunst zeigt in ihrer Entwicklung einmal die Tendenz nach Unpersön-
lichkeit, ein Sichunterordnen, Aufgehen des Künstlers in dem Werk. So war’s
in der griechischen Plastik, so war’s in jeder guten Architektur, so wies uns in
der Literatur Flaubert den Weg. Und jeder Kunst war dies heilsam und
notwendig, weil ihr erst dadurch ihre immanenten Gesetze zur Klarheit kamen.
Nie war diese schöne Unpersönlichkeit eine Schwäche, sondern stets der ge-
sammelte, in sich gefestigte Ausdruck einer höchst verfeinerten, persönlichen
Kultur.
Nicola Perscheid, Berlin, ist unter den Bildnisphotographen wohl einer der
feinsten. Auch einer der klarsten und einfachsten. Er war einer der ersten,
die in der Photographie neue und eigene Wege gingen. Mathis Masuren, der
verdiente Plerausgeber des Kamera-Almanachs und des photographischen Zentral-
blattes, wies schon 1899 auf die Bildnisse Perscheids hin, der, wie er sich aus-
drückte: „sich als erster in Deutschland um künstlerische Probleme in der
Photographie mühte und in Stellung, Beleuchtung, Arrangement eine Auffassung
zeigte, wie sie uns bei Bildern deutscher Fachphotographen bisher unbekannt
waren.“ — Seine Männerbildnisse sind bei aller Ungezwungenheit von einer
starken Charakteristik. Man fühlt das innerste Wesen des Dargestellten. Er
verzichtet auf alle Beleuchtungsmätzchen, sondern konzentriert unser Interesse
durch klare geschlossene Lichtführung energisch auf Kopf und Hände. Belang-
loses oder gar Zufälliges gibt es auf seinen Bildern nicht. Alles hat seinen
geheimen Radius zur Bildidee, zum Charakter des Dargestellten, ist notwendig
als Fleck in der Harmonie des Ganzen. Betrachten wir daraufhin sein Bildnis
Frank Wedekinds. Dies scheue sprunghafte Sitzen, diese mißtrauische Wach-
samkeit, gemischt aus Tragik und leiser Komik, gibt wirklich den ganzen Wede-
kind. Und dabei das Ganze ein Bild ruhigster geschlossenster Wirkung. Oder
die Energie, mit der der feine schmale Diplomatenkopf des Fürsten von Hatz-
feld modelliert ist, der dabei doch völlig in Haltung und Ausdruck die Noncha-
lance des Aristokraten behält.
Nicht minder schön sind seine Frauen- und Kinderbildnisse. Wie fein und
rhythmisch ein Bild aus Hell und Dunkel, aus Ruhe und Bewegtheit aufgebaut
ist, wie eine Hand mitspricht oder schweigt, wie reich an Nuancen ein Gesicht,
ein Ilals, ein Arm sind. Es gibt Mädchenbildnisse von ihm, die in ihrer lässigen
graziösen Rhythmik, in ihrer Reduktion auf einige wenige untereinander aus-
balancierte Tonwerte, an Whistler erinnern.
Becker & Maaß lieben es, im Gegensatz zu Perscheid, ihren Bildern ein
mehr genrehaftes Gepräge zu geben, das heißt den darzustellenden Menschen
in einer ihm angemessenen Handlung oder Umgebung aufzufassen, durch die
sein Wesen erläutert wird. Dieses Prinzip, das an die Malerei erinnert, könnte
schwächeren Photographen gefährlich werden und den Blick des Beschauers
vom Wesentlichen ablenken. Wo es aber mit so viel künstlichem Geschmack
und Takt geübt wird, wie bei Becker & Maaß, darf man es wohl gelten
lassen. Bilder wie die Dame an der Tür, oder die Lesende, die wir hier
zeigen, haben auch lineare und kompositionelle Schönheiten, die eindring-
lich genug sind, um nicht übersehen zu werden, Schönheiten, die vielleicht erst
Hermann Bahr.
Phot. Dührkoop.