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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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22. Heft
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Busse-Palma, Georg: Der Juwelenschatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0689

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MODERNE KUNST.

2S7

genug zu bieten hatte. Und jetzt, was ist jetzt der Anwalt ohne Namen noch für
die Inhaberin solcher Schätze? Überhaupt gar nichts mehr, meine Gnädige! Oh!
Jch kenne die Menschen. Und vielleicht ist es auch gut so! Träume sind eben
Schäume!"

Marga Asmus begann leise vor sich hinzuweinen.

„Und das sagen Sie mir?!“ schluchzte sie.

Sie legte den Kopf ganz gebrochen auf die Tischplatte, und das heftige Zucken
ihrer Schultern verriet ihre innere Erregung.

„Aber Fräulein Marga! Weinen Sie doch Tiicht!“ rief Dr. Dirschau und tat er-
schrocken. „Oder bin ich wirklich doch noch etwas für Sie? Ja, Marga? Ja?

Er legte seinen Arm um ihre Taille und hob mit der freien Hand der sich
Sträubenden die Stirne in die Höhe. Da sah sie ihn an, verweint und mit brandroter
Nase, aber wie die Hingebung
selber.

„Ja, bin ich Dir wirküch
mehr?" fragte er nochmals zärtlich.

„Alles!“ brach es da kaum
hörbar über ihre Lippen. Und
Dr. Dirschau ließ die Gelegenheit
nicht vorübergehen.

„Sie schmeckt, als ob sie in
der Schule Federhalter kaut“,
dachte er, als er sie nach einem
glühenden, langen Kuß wieder
freigab.-

* *

*

Das Gerücht von dem iiber-
raschenden Funde lief durch die
Stadt, wie die brennenden Fiichse
durch die Felder der Philister,
überall Neugierde entzündend und
die phantastischsten Vermutungen
hervorrufend. In allen Zeitungen
aber wurde hinter begeisterten,
spaltenlangen Beschreibungen die
Frage laut, wie der schlichte Tote
wohl zu diesen Schätzen gekom-
men sein möge, die doch in gar
keinem Verhältnis zu seinem Bar-
vermögen standen. Die meisten
beruhigten sich ja mit dem Hin-
weis auf eine mehr als dreißig-
jährige Sammlertätigkeit, der er
sich ebenso heimlich wie intensiv
hingegeben haben mußte, aber
einige äußerten doch beängsti-
gende Vermutungen. So zum
Beispiel die Europäische Mittags-
post, die einen Zusammenhang
mit dem berühmten Klosterraub
von Czenstochau als möglich in
die Diskussion zog.

Als Dr. Dirschau das las,
wurde er käseweiß. Wenn da
wirklich ein Verbrechen dahinter
steckte? Die Größe des Reinfalls,
dem er dann entgegenging, war
gar nicht auszudenken! Einige
Minuten lang bangte er, ob die
Energie, mit der er von vorn-
herein alle andern Bewerber ausgeschaltet hatte, nicht doch übereilt gewesen war.

Er schiittelte diese Furcht aber bald ab. Das ganze Leben des Verstorbenen
war so makellos ehrenhaft verlaufen, daß kein Grund dazu vorlag. Er war eben
Sammler gewesen, wahrscheinlich einer von der fanatischen Sorte, die heimlich oft
genug von polnischer Bratwurst und Schmierkäse Ieben, um alles Erübrigte für Steine
hinzugeben.

Wer mochte auch wissen, ob nicht glückliche Börsenspekulationen, denen er fraglos
gehuldigt, ihm viel mehr Geld für seine Leidenschaft zur Verfügung gestellt hatten,
als einer ahnte? Zog er noch in Betracht, daß der Tote einigemale selbst in der
Heimat der Juwelen geweilt hatte, wo das Glück ihn begünstigt haben konnte, so war
der ehrliche Erwerb über alle Zweifel erhaben. Nein, er, der lange genug auf eine
reiche Frau gelauert hatte, war nicht der Mann, sich so leicht ins Bockshorn jagen
zu lassen.

Erst am vierten Tage nach der Entdeckung, nachdem der ganze Erdball Kunde
davon hatte, und der Rechtsanwalt sich ebensowenig mehr vor Anfragen retten konnte,
wie die Erben vor Bittbriefen und persönüchen Betteleien, erschien der Bruder
Margas strahlend vor seliger Erwartung, zur Teilung. Nicht aus Mißtrauen, sondern
um eine zuverlässige Abschätzung zu erzielen, regte er die Ladung eines Fachmanns

an, und ein bedeutender Gelehrter von europäischem Rufe fand sich auch bereit, die
Juwelen zu besichtigen.

Dr. Dirschau, Marga und der robuste Oberleutnant, der von der Verlobung der
beiden nicht sehr angenehm überrascht war, aber keine Einwendungen erheben konnte,
erwarteten den Geheimrat in feierlicher Runde.

Um ein Uhr mittags, im hellsten Sonnenlicht, kam der würdige Herr mit dem
Automobil vorgefahren und ging nach der üblichen Begrüßung sofort an die Be-
sichtigung.

Der Anwalt öffnete den Kasten. Der Geheimrat ergriff den Becher und hob ihn
an seine Augen, die klug und scharf durch die Brillengiäser bützten. Dann inachte
er ein verbliifftes Gesicht und ließ sich wortlos in seinen Sessel fallen.

„Nun, Herr Geheimrat?" fragte der Offizier gespannt.

Der Geheimrat antwortete
ntcht, aber er nahm den Becher
nochmals an sich, prüfte das
Metall, betastete die Steine und
brach schließlich eine der rosigen
Perlen aus dem Becher heraus
und zerdrückte sie zwischen den
Fingern.

„Sechs davon dürften eine
Mark kosten!" sagte er dann
ruhig. „Das Metall ist vergoldetes
Silber, die Steine billige Glas-
imitationen. Den Höchstwert des
Stückes schätze ich auf zwei-
hundert Mark. Soll ich das andere
auch noch besichtigen?“

Trotz aller Selbstbeherrschung
hörte man es an seiner Stimme,
daß er innerlich empört war.

Ein lähtnendes Schweigen
herrschte für die ersten Sekunden
nach dieser Eröffnung. Dann
hieb der Oberleutnant, das derbe
Gesicht ganz braun vor Wut, mit
der Faust auf den Tisch, daß der
eiserne Kasten und der Becher zu
tanzen begannen.

„Sind Sie desTeufels, Herr?"
schnauzte er den Rechtsanwalt
an. „Wenn Sie nicht mal buntes
Glas von Juwelen unterschei-
den können, waruin haben Sie
denn nicht gleich irgendwen ge-
fragt? Was ist das für eine Affen-
komödie?"

Der Rechtsanwalt rang nun
nach Luft.

„Lieber Gott!" stöhnte er
dann. „Das ist doch gar nicht
möglich! Der alte Herr galt doch
als so ehrenhaft." . . .

„Er hat ja auch niemanden
betrogen", warf der Gelehrte
trocken ein. „Da er kein Geld
hatte, echte Sleine zu sammeln,
hat er eben unechte gesammelt."

„Aber Du bist doch Kenner!"
schluchzte Fräulein Marga und sah
Dr. Dirschau mit nassen Augen an.
Abgründe des Entsetzens lagen vor dem jungen Anwalt offen. Was hatte er
sich da eingebrockt? !!

„Wo — wo — wollen Herr Geheimrat nicht auch die losen Steine besichtigen?"
fragte er schließlich stotternd mit ganz gebrochener Stimme. Es ist doch nicht möglich,
daß alles falsch sein soil!"-

„Gern, wenn es zur Beruhigung der Herrschaften dient", antwortete der Pro-
fessor höfüch.

Dabei ließ er einen neugierigen Blick iiber die Anwesenden gleiten, deren
Beziehungen er nicht begriff.

Der Anwalt, der doch eigentlich nur als Sachwalter in Frage kam, war ja ganz
zerschmettert! Und das ältliche Fräulein nannte ihn „Du“. Komisch! Wie das wohl
zusammenhängt? daclite er sich.

Ganz geschäftsmäßig zog er sich den andern Kasten heran und sah nach der
Reihe in all die vielen Pappschächtelchen hinein. Ab und zu nahm er einen Stein
heraus, untersuchte ihn eingehender und legte ihn dann gewöhnlich beiseite.

„Der ist wenigstens zwanzig Mark wert“, sagte er bei dem einen; „der zehn",
beim andern.

Als er fertig war, zuckte er bedauernd die Schultern.
 
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