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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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24. Heft
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Saltzwedel, Hans von: Frau Mytala, [7]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0740

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MODERNE KUNST.

Herz noch Verstand; denn welch ver-
nünftiger Mensch wirft einen kostbaren
Schatz achtlos fort? — Welch vernünftiger
Mensch aber auch wird einen fortgewor-
fenen Schatz, dessen Wert er kennt, nicht
an sich zu nehmen suchen? Nun, ich
kannte ihn — kannte ihn jedenfalls viel —
sehr viel besser als sein bisheriger Be-
sitzer, also-? Ja was, also?

Soweit war ich in meinen Gedanken
gekommen, während ich mit der geliebten
langen Pfeife im Mund auf meinem harten
Ledersofa lag; da kam es leise, leise in
mir emporgeklettert, grau und häßlich wie
ein scheu zudringliches Nachtgetier: die
häßlich graue Alltäglichkeit mit ihren klein-
lichen Sorgen und Bedenken. Mitten hinein
in mein hohes Seelenempfinden grinste
sie mich an mit teuflischem Hohnlachen.

Du armer Schlucker, der froh sein
sollte, daß er sich endlich ohne Sorgen
satt essen und allmählich seine Kleider-
rechnungen abzahlen kann, der sogar noch
den Kaufpreis für sein Pferd abzutragen
hat, du willst dir noch ein Verhältnis an-
schaffen?

Und daneben stand das traurige Bild
einer wilden Offiziersehe mit all ihrer
Schmach für das geliebte Weib und all den mit ihr verbundenen demüti-
genden Heimlichkeiten und Lügen.

Arme, liebe Frau Mytala! — Es geht nicht — ich kann dir nicht
helfen! — So rief ich mir in Gedanken selber zu, fest entschlossen, die
Sache ein für allemal abgetan sein zu lassen.

Nein, er war kein trotzig-starker Held, der sich lachend über alle klein-
lichen Bedenken hinwegzusetzen vermochte, der „Uralte“! — Kein
Lebensbesieger, aber auch kein weichlich selbstsüchtiger Schuft, der, auf
das Recht der Persönlichkeit pochend, mithilft, die heilsamen Schranken
niederzureißen, die unsere Väter wohlweislich errichtet haben zum
Schutz unserer heiligsten Güter. — War es Recht oder war es Unrecht,
war es Charakterstärke oder Willensschwäche, die mich wieder einmal
verzichten ließ? — Himmel, es ist doch verdammt schwer für einen an-
ständigen Menschen, sich in diesem krausen Leben zurechtzufinden!

Im vorliegenden Falle darf ich mich übrigens damit trösten, daß doch
alles ebenso gekommen wäre, auch wenn ich anders gehandelt, nicht
verzichtet — nicht wieder einmal Herzenswünsche und Träume von Glück
in stiller Wehmut begraben hätte.

Nachdem mir letzteres wieder einmal infolge der vielfachen Ubung
glücklich gelungen war, merkte ich, daß ich meine Pfeife längst aus-
geraucht hatte, und gleichzeitig fiel mir ein: Mensch, du wolltest ja heute
die Rekrutenabteilung des Sergeanten Spikermann im langsamen Schritt
besichtigen! —- Dazu war es nun freilich zu spät geworden; zur Beruhi-
gung meines Gewissens jedoch ging ich dennoch zu meiner Kompagnie.
Natürlich hatte ich dabei das Glück, dem Herrn Bataillonskommandeur
in die Arme zu laufen, der sich statt meiner die Rekrutenabteilung an-
gesehen und an ihr allerlei Tadelnswertes gefunden hatte, was er mir
auch durchaus nicht etwa aus übergroßem Zartgefühl verschwieg. Auch
verfehlte er nicht, seiner Belehrung den kameradschaftlichen Rat hinzu-
zufügen, in Zukunft die Nachmittage lieber im Dienst als auf dem Sofa
hinzubringen.

Ja, sowas kommt vom Philosophieren und von Liebesgedanken.

Ubrigens habe ich fortan nur noch ganz dienstfreie Nachmittage auf
meinem Ledersofa hingebracht und auch dann immer mehr und mehr an
die Ausbildung meiner Kompagnie und immer seltener und seltener an
I rau Mytala und Freund Lankwitz gedacht.

Hingebende Arbeit in treuer Pflichterfüllung ist nun rnal das beste
Mittel, mit den Torheiten des eignen Herzens fertig zu werclen. — Ich
kann wohl mit gutem Gewissen sagen, daß ich damals tüchtig fleißig ge-

wesen bin — so fleißig, daß ich für anderes
weder Zcit noch Gedänken übrig h atte-
Und wenn ich mir mal eine Erholung um*
besondere Freude gönnte, so war es ein
Ritt auf mciner getreuen Kleopatra, ^ Ll
schönen goldbraunen Vollblutstute, die
der gute Kerl, der Lessentiner Borck, se^ r
billig und noch dazu auf Abzahlung ver"
kauft hatte. — Sie war ja ein wenig leicid
für mein Gewicht, bei ihrem starken Rücken
und den stählernen Sehnen aber konnte
sie mich doch gut tragen.

Ja, sie war ein Prachttier, meine Kleo-
patra, meine einzige Freude und niein
einziger Trost, und dann sollte sie auch
mein Unglück werden, indem sie meiner
ganzen Hauptmannsherrlichkeit bereits
nach vier Jahren ein plötzliches Ende be-
reitete. Und das kam so:

Auf den großen Gütern in der Nach-
barschaft unserer Garnison wurden alljähr-
lich im Herbst Wildjagden hinter der in
gemeinschaftlichem Besitz befindlichen
Meute geritten. Einer, der dabei nie fehlte,
war natürlich der „Uralte“ auf seiner Kleo-
patra. Das brave Tier! Mit welcher Lust
sie hinter den Hunden ging, mit welcher
Sicherheit sie ein jedes Hindernis nahm,
mochte es Hürde, Mauer oder Graben sein! — Und alles das unter einein
für sie bedenldich schweren Gewichte! — Ja, das zu große Gewicht, das
war’s wohl in erster Linie — und dann — —? Nun, der Zaun war wohl
etvvas hoch und ungewöhnlich fest, der Boden durch Regen aufgeweicht.
Kurz und gut, ich lag plötzlich hilflos auf der Erde, die treue Kleopatra
neben mir. Ich sah ihr noch einmal in das brechende Auge, dann streckte
sie sich und verschied.

Das war das letzte: Dann fand ich mich wieder in derselben Lazarett-
stube, in der Lankwitz damals gelegen. Mein rechtes Bein lag im Gips-
verbande, mein Kopf war ganz bepflastert.

Letzterer ist ja bald geheilt, das Bein jedoch blieb steif und etwas
zu kurz. — Ich war ein armes Humpelbein, und ein halbes Jahr später
z. D. und Bezirksoffizier in einern ldeinen oberschlesischen Grenzstädtchen.

Es war ja eigentlich nicht allzuviel, was ich verloren hatte! — Meinen
Beruf? — Du liebe Güte, große Aussichten, es in ihm noch zu etwas zu
bringen, hatte ich ja sowieso nicht! — Und doch — diesmal ward das
Entsagen und Verzichten mir bitter — bitter schwer — trotz aller vor-
hergegangenen Übung in dieser traurigen Kunst. Im besten Mannesalter,
olme Hoffnung, ohne Ziel! —

Dachte schier, ich müßt’ verzagen,

Glaubte, ich ertrüg’ es nie,

Und ich hab es doch getragen;

Aber fragt mich nur nicht — — — wie? — — —

Also, auch ich habe es getragen, habe mich still hineingefunden in
das Unabänderliche: hineingefunden in die Enge der abgelegenen Grenz-
stadt, hineingefunden in ihr bescheidenes kleinbürgerliches Leben und
Treiben, in den Umgang init Menschen aus Kreisen, mit denen ich bisher
nur rein äußerlich zusammengetroffen war. — Warum sollte ich mich
auch nicht an sie gewöhnen? Waren ja doch sehr umgängliche Menschcn
darunter. — Dazu gab es auch hier eine Weinstube am Markte. Freilich
an die meines alten Pfeiffer reichte sie lange nicht, aber auch sie war
recht behaglich, und nachdem ich mich an den Ungarwein, den man hier
statt des Rotspons trank, gewöhnt hatte, fühlte ich mich in ihr ganz wohl-
Allmählich begannen sogar wieder allerlei Lebenspläne und Lebens-
hoffnungen in meinem verödeten Herzen Gestalt zu gewinnen.

War da als einziger Großindustrieller ein Mühlenbesitzer und Holz-
händler mit dem heitern Namen Frobgemut am Orte. Er besaß eine recht
ansehnliche Villa mit parkartigen Anlagen vor der Stadt am Ufer des
Flüßchens. Darinnen waltete mit strenger Zucht eine stattliche Hausehre.

Otto Pilz: Faunj’unge mit zvvei jungen Bären.
Große Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.
 
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