MODERNE KUNST.
und Bravsten unter diesen auf dunklen Schicksalsbannen
Entgleisten, die meist nur Totschläger und Mörder
aus Affekt, in unglücklichem, unbeherrschtem
Augenblick geworden waren, weil sie ein
Rachegelüst nicht zu zügeln vermochten
oder weil Eifersuchtsdämonen sie trieben.
Auf Brioni ward ihr Elend miider. Sie
arbeiteten statt hinter kahlen Gefängnis-
mauern in der frischen, bräunenden
Luft des Adriahimmels, sahen die
Umwelt nicht mehr durch Gitter-
fenster, sahen überhaupt Menschen,
und von fern die Freiheit, deren sie
sich aufs neue würdig zeigen sollten.
Sie wußten, daß der Lohn, den der
Herr von Brioni für ihre Arbeit wie
für jede andere gab, in drei Teile fiel,
deren einer nur dem Staat gehörte, indes
zwei Drittel für sie selbst verwendet wur-
den. Und die Sensen sausten, die Spaten
gruben und bohrten sich tief in die Terra rossa
ein: der Herr von Brioni hätte gefügigere, dennoch
leidenschaftlichere Arbeiter nicht finden können.
Die Terra rossa — die ja auch das ganze Karstland
blühend und üppig macht, wo ihr schlimmster Feind, die kalte,
Meeresbrandung bei Val Catena.
hen konnten. Die ganze istrische Küste, der auch
Brioni angehört, ist eine Eroberung der frülien kaiser-
lichen Römerepoche. Im ersten christlichen Jahr-
hundert mag, wie auch die goldquadrigeRiesen-
arena, die Tempel und Theater drüben in
Pola — von seiner herrlichen, fast unver-
sehrten Porta Aurea weiß man, daß sie
Augustus zu Ehren und zur Erinnerung
an seinen Sieg bei Aktium errichtet
ward — die ganze brionische, klassi-
sche Villensiedelung entstanden sein.
Sie hat nicht allein Tempel und
Heiligtümer, ist nicht allein wert-
voll durch die klaren Grundrisse,
an deren geretteten Linien man der
Arbeit dieser in ihrer Sparsamkeit,
ihrer weisen Ausnützung von Raum
und Material so unerreicht geschickten
römischen Baumeister in jedem einzelnen
Gebäude folgen kann. Wichtig für die For-
schung wird vor allem die durch die neuen
Römerfunde deutlich erhellte Tatsache, daß überall
in Istrien ein wenig anders gebaut wurde, als etwa der
Typus der Bürgerhäuser auf italischem Boden galt. Rom
gründete auf istrischem Gebiet keine Städte: Rom schickte in die
zerstörende Bora, riicht hinter
Felsenwälle dringen darf —
die Terra rossa vollbrachte
daün aucli das Landschafts-
wunder von Brioni In Val
Maria weiten sich dort heute
die Palmenhaine mit schweren
Fäehern und mischen sichdem
hochgeschossenen Bambus-
waid. Einsame Wege ziehen
sich zwischen betäubenden
Lorbeerbüschen, zwischen
Oliven hin. Die Pinie ist heute
daheim auf Brioni, die japa-
nische Nispel und die Agave.
Ganz in leuchtende Glyzinien
gebettet das Alt-Venetianer
Kastell am Inselrand ... In
Val Madonna ragen schweig-
sameZypressen, endlosgrüne,
satte Wiesen dehnen sich
zwischen den Tälern und die
Südlandssonne läßt auf weiten,
hellberankten Rebengeländen
die süßesten Weine reifen.
Alles auf dem Zauberland
schimmert und glänzt von
satten, exotischen Farben,
deren Klänge die blauen
Meerbänder der Adria noch
tiefer schattieren: tropischer Garten, wo Wüstenland war . .
Und nicht bloß das Landschaftswunder von Brioni lockt; nicht bioß der
verschwenderisch gesteigerte Stimmungsreichtum, der bald aus Felsbrücken,
malerisch gegen das Blau von Himmelsglocke und Meer ge-
stellt, bald aus mediterraner Flora, dann wieder aus englisch
frei sich dehnender Natur quillt. Wen Palmen und Agaven,
der glühende Rausch der Glyzinien kühl läßt, der kann in Val
Catena sich im Traume versunkener, zu neuem Licht herauf-
getragener Kulturen verspinnen.
In Val Catena hat der um die Altertümer des österreichi-
schen Küstenlands längst vielverdiente Professor Anton Gnirs,
der Landeskonseryator für Istrien, verschollenen Spuren Alt-
Roms nachgeforscht. Und schon was er bis heute an antiken
Schätzen, antiken Kulturdokumenten aus dem Schutt aufholte,
wird die Altertumsforschung als einen der wichtigsten Funde
jün CTster Zeit buchen müssen. In Val Catena ist heute eine
^anze römische Villenkolonie freigelegt, die ein deutliches
Bild davon schenkt, wie Roms Bürger, wenn sie das Gebot
des Staates hinaus in die Provinzen schickte, in diesen Pro-
vinzen zu bauen und zu leben pflegten. Bei den Römer-
ausgrabungen auf Brioni handelt sich’s urn die Villegatur Alt-
Polenser Patrizier, die sich fern vom kaiserlichen Rom mit
all dem Luxus, all der Behaglichkeit einzurichten suchten, die
den Glanz der schwerentbehrten Cäsarenhauptstadt vergessen
Blick auf die Römerburg in Val Catena.
neugewonnene Provinz Verwaltungsbeamte, die zerstreut im Lande wohnten, zer-
streut in weitem Umkreis über' Roms Herrschaft wachten. Sie bauten also keine
Bürgerhäuser enger Städte, sie schufen die Landvillen und Herrensitze in der
Art moderner Meiereien. Und Brioni hat das Muster solch eines altrömischen
Meierhofs, der auf die Einheit des Hauses im freien, weiten Terrain verzichtete.
Der römisclie Landsitz auf Brioni hat Wohngebäude (deren Mosaiken noch nach
Das Venetianische Kasteh.
zweitaüsend Jahren in zierlichsten Mustern leuchten), hat Wirtschaftsräume,
Zisternen und Salinen und Kellereien. Ölpressen waren den römischen Herren
zu eigen und jüngst ist i'iberdies eine Weinkellerei aufgedeckt worden, die
auch die ganze Technik des Weinkelterns im altrömischen Haus enthüllt. Die
schräge, steinerne Rinne ist noCh unverletzt, durch die der Most herangeführt
wurde, das Löwenmaul spitzt noch die Lippen, durch die der Most in die riesigen
irdenen Bottiche träufelte, die heute noch stehen wie vor
zwei Jahrtausenden . . .
Aber die Erinnerungen an Altrömertage künden nur von
einer Kulturepoche auf Brioni, das dennoch die Farben und
die Denkmäler dreier verschiedener Ivulturepochen trug. In
nicht allzu ferner Nachbarschaft von den Korinthersäulen des
Venustempels in Val Catena, ragen drüben im palmenbestan-
denen Val Madonna die Trümme.r einer Basilika, über deren
Bögen und geborstene Wände in horchender Einsamkeit, an
böcklinisch schwermütigen Zypressen vorbei sonnüberglitzert
die Eidechsen huschen. Byzantinische Mönche herrschten dort
im achten Jahrhundert, als längst die Tiberstadt an Ostroms
Herrlichkeit sein Szepter abgegeben hatte . . . Und dann er-
zählt das Glyzinienkastell, das unverändert seit den Tagen
der Dogen steht, noch von Venedigs Löwen und seiner
Meermacht.
All das ist Historientraum und jahrhundertalte, tausend-
jährige Versunkenheit. Von den Herrschaftskämpfen, von
grausen Schrecknissen weiß die neuerblühte Insel nichts mehr:
nur die Südlandssonne strahlt ewig heiter, aus ewig heiterm
Blau übcr lachende, fruchtselige Gegenwart. Karl Fr. Novuak,
Das Geigensolo im Palmenhain.
und Bravsten unter diesen auf dunklen Schicksalsbannen
Entgleisten, die meist nur Totschläger und Mörder
aus Affekt, in unglücklichem, unbeherrschtem
Augenblick geworden waren, weil sie ein
Rachegelüst nicht zu zügeln vermochten
oder weil Eifersuchtsdämonen sie trieben.
Auf Brioni ward ihr Elend miider. Sie
arbeiteten statt hinter kahlen Gefängnis-
mauern in der frischen, bräunenden
Luft des Adriahimmels, sahen die
Umwelt nicht mehr durch Gitter-
fenster, sahen überhaupt Menschen,
und von fern die Freiheit, deren sie
sich aufs neue würdig zeigen sollten.
Sie wußten, daß der Lohn, den der
Herr von Brioni für ihre Arbeit wie
für jede andere gab, in drei Teile fiel,
deren einer nur dem Staat gehörte, indes
zwei Drittel für sie selbst verwendet wur-
den. Und die Sensen sausten, die Spaten
gruben und bohrten sich tief in die Terra rossa
ein: der Herr von Brioni hätte gefügigere, dennoch
leidenschaftlichere Arbeiter nicht finden können.
Die Terra rossa — die ja auch das ganze Karstland
blühend und üppig macht, wo ihr schlimmster Feind, die kalte,
Meeresbrandung bei Val Catena.
hen konnten. Die ganze istrische Küste, der auch
Brioni angehört, ist eine Eroberung der frülien kaiser-
lichen Römerepoche. Im ersten christlichen Jahr-
hundert mag, wie auch die goldquadrigeRiesen-
arena, die Tempel und Theater drüben in
Pola — von seiner herrlichen, fast unver-
sehrten Porta Aurea weiß man, daß sie
Augustus zu Ehren und zur Erinnerung
an seinen Sieg bei Aktium errichtet
ward — die ganze brionische, klassi-
sche Villensiedelung entstanden sein.
Sie hat nicht allein Tempel und
Heiligtümer, ist nicht allein wert-
voll durch die klaren Grundrisse,
an deren geretteten Linien man der
Arbeit dieser in ihrer Sparsamkeit,
ihrer weisen Ausnützung von Raum
und Material so unerreicht geschickten
römischen Baumeister in jedem einzelnen
Gebäude folgen kann. Wichtig für die For-
schung wird vor allem die durch die neuen
Römerfunde deutlich erhellte Tatsache, daß überall
in Istrien ein wenig anders gebaut wurde, als etwa der
Typus der Bürgerhäuser auf italischem Boden galt. Rom
gründete auf istrischem Gebiet keine Städte: Rom schickte in die
zerstörende Bora, riicht hinter
Felsenwälle dringen darf —
die Terra rossa vollbrachte
daün aucli das Landschafts-
wunder von Brioni In Val
Maria weiten sich dort heute
die Palmenhaine mit schweren
Fäehern und mischen sichdem
hochgeschossenen Bambus-
waid. Einsame Wege ziehen
sich zwischen betäubenden
Lorbeerbüschen, zwischen
Oliven hin. Die Pinie ist heute
daheim auf Brioni, die japa-
nische Nispel und die Agave.
Ganz in leuchtende Glyzinien
gebettet das Alt-Venetianer
Kastell am Inselrand ... In
Val Madonna ragen schweig-
sameZypressen, endlosgrüne,
satte Wiesen dehnen sich
zwischen den Tälern und die
Südlandssonne läßt auf weiten,
hellberankten Rebengeländen
die süßesten Weine reifen.
Alles auf dem Zauberland
schimmert und glänzt von
satten, exotischen Farben,
deren Klänge die blauen
Meerbänder der Adria noch
tiefer schattieren: tropischer Garten, wo Wüstenland war . .
Und nicht bloß das Landschaftswunder von Brioni lockt; nicht bioß der
verschwenderisch gesteigerte Stimmungsreichtum, der bald aus Felsbrücken,
malerisch gegen das Blau von Himmelsglocke und Meer ge-
stellt, bald aus mediterraner Flora, dann wieder aus englisch
frei sich dehnender Natur quillt. Wen Palmen und Agaven,
der glühende Rausch der Glyzinien kühl läßt, der kann in Val
Catena sich im Traume versunkener, zu neuem Licht herauf-
getragener Kulturen verspinnen.
In Val Catena hat der um die Altertümer des österreichi-
schen Küstenlands längst vielverdiente Professor Anton Gnirs,
der Landeskonseryator für Istrien, verschollenen Spuren Alt-
Roms nachgeforscht. Und schon was er bis heute an antiken
Schätzen, antiken Kulturdokumenten aus dem Schutt aufholte,
wird die Altertumsforschung als einen der wichtigsten Funde
jün CTster Zeit buchen müssen. In Val Catena ist heute eine
^anze römische Villenkolonie freigelegt, die ein deutliches
Bild davon schenkt, wie Roms Bürger, wenn sie das Gebot
des Staates hinaus in die Provinzen schickte, in diesen Pro-
vinzen zu bauen und zu leben pflegten. Bei den Römer-
ausgrabungen auf Brioni handelt sich’s urn die Villegatur Alt-
Polenser Patrizier, die sich fern vom kaiserlichen Rom mit
all dem Luxus, all der Behaglichkeit einzurichten suchten, die
den Glanz der schwerentbehrten Cäsarenhauptstadt vergessen
Blick auf die Römerburg in Val Catena.
neugewonnene Provinz Verwaltungsbeamte, die zerstreut im Lande wohnten, zer-
streut in weitem Umkreis über' Roms Herrschaft wachten. Sie bauten also keine
Bürgerhäuser enger Städte, sie schufen die Landvillen und Herrensitze in der
Art moderner Meiereien. Und Brioni hat das Muster solch eines altrömischen
Meierhofs, der auf die Einheit des Hauses im freien, weiten Terrain verzichtete.
Der römisclie Landsitz auf Brioni hat Wohngebäude (deren Mosaiken noch nach
Das Venetianische Kasteh.
zweitaüsend Jahren in zierlichsten Mustern leuchten), hat Wirtschaftsräume,
Zisternen und Salinen und Kellereien. Ölpressen waren den römischen Herren
zu eigen und jüngst ist i'iberdies eine Weinkellerei aufgedeckt worden, die
auch die ganze Technik des Weinkelterns im altrömischen Haus enthüllt. Die
schräge, steinerne Rinne ist noCh unverletzt, durch die der Most herangeführt
wurde, das Löwenmaul spitzt noch die Lippen, durch die der Most in die riesigen
irdenen Bottiche träufelte, die heute noch stehen wie vor
zwei Jahrtausenden . . .
Aber die Erinnerungen an Altrömertage künden nur von
einer Kulturepoche auf Brioni, das dennoch die Farben und
die Denkmäler dreier verschiedener Ivulturepochen trug. In
nicht allzu ferner Nachbarschaft von den Korinthersäulen des
Venustempels in Val Catena, ragen drüben im palmenbestan-
denen Val Madonna die Trümme.r einer Basilika, über deren
Bögen und geborstene Wände in horchender Einsamkeit, an
böcklinisch schwermütigen Zypressen vorbei sonnüberglitzert
die Eidechsen huschen. Byzantinische Mönche herrschten dort
im achten Jahrhundert, als längst die Tiberstadt an Ostroms
Herrlichkeit sein Szepter abgegeben hatte . . . Und dann er-
zählt das Glyzinienkastell, das unverändert seit den Tagen
der Dogen steht, noch von Venedigs Löwen und seiner
Meermacht.
All das ist Historientraum und jahrhundertalte, tausend-
jährige Versunkenheit. Von den Herrschaftskämpfen, von
grausen Schrecknissen weiß die neuerblühte Insel nichts mehr:
nur die Südlandssonne strahlt ewig heiter, aus ewig heiterm
Blau übcr lachende, fruchtselige Gegenwart. Karl Fr. Novuak,
Das Geigensolo im Palmenhain.