Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0765
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25. Heft
DOI Artikel:Saltzwedel, Hans von: Frau Mytala, [8]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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3 2°
MODERNE KUNST.
Hans Thoma: Die Wonne des Fliegens. Große Kunstausstellung Düsseldorf 1913.
durchaus nicht über das, was sich in dem Sonnenflimmern vor meinen
Augen begab:
DieTür des gegenüberliegenden Hauses öffnete sich, und aus ihr trat
ein Mann. Diesen Mann kannte ich sehr gut; es war mein alter Freund
Lankwitz, den ich seit etwa fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. —- Nun
ja, es kommt wohl vor, daß man im Traume Menschen vor sich sieht, an
die man seit Jahren kaum noch gedacht hat. — Natürlich konnte es nicht
wirklich Lankwitz sein, sondern nur ein Mann, der im Sonnenflimmer
genau so aussah wie der Lankwitz.
Plötzlich höre ich die fette Stirnme des allwissendcn dicken Wirtes
sagen: „Da kommt ja der Herr von Lankwitz. — Ich bin doch neugierig,
ob er dem Rosental die Ungarn abgekauft liat.“
Nanu, träumt der auch! dachte ich einen Augenblick; dann ruckte
es wie ein elektrischer Schlag durch meinen Körper, ich fuhr aus meinem
Traumzustande auf und mit meinem Kopfe nach dem Wirte herum.
Dcr stand breit und behäbig in der Stube und sah durchaus nicht
verträumt aus, wie er so recht neugierig lauernd mit seinen listigen Äuglein
durch das Fenster guckte. Ja, der war ganz wach, und ich selber doch
auch wieder.
Unwillkürlich wandte ich meine Augen, den spähenden Blicken des
Wirtes folgend, wieder nach dem Fenster zurück. — Der Mann, der drüben
aus dem Hause getreten war, hatte sich vor der Tür halblinks gewandt
und schlenderte langsam schräg über den Platz augenscheinlich nach dem
Wichmannschen Laden herüber. Jetzt konnte ich sein Gesicht deutlich
erkennen. Da fuhr mir ein jäher Schreck durch die Glieder: es war
doch der Lankwitz, er war es und blieb es, trotzdem ich ganz wach war.
Ohne Besinnen wollte ich das Fenster aufreißen, fühlte rnich aber wie
gelähmt. — Gleichzeitig kam mir der Gedanke: Was willst du eigentlich?
Der ist ja gar nicht mehr dein Freund! Ehe ich das aber noch zu Ende
gedacht hatte, erschien es mir bereits ganz unsinnig. — Der nicht mehr
dein Freund? — Dein alter, treuer Seppi Lankwitz? — Wie kann man
nur so kleinlich nachtragend sein! — Freue dich, du hast ihn wieder — nach
langen, langen Jahren! Und ich freute mich so, daß'ich zu zittern begann.
Da erscholl wieder die fette Stimme hinter mir.
„Der kauft noch schnell was für seine Gnädige ein! — Die sollten
Sie kennen, Herr Hauptmann! Ich sage Ihnen, sowas sieht man nicht
alle Tage. -— Aber auch er ist ein feiner Herr! Sie werden ihn ja gleich
kennen lernen; denn jedenfalls kommt er noch zu einem Glas Ungarwein
herüber. Der Omnibus fährt erst in zwanzig Minuten zur Bahn.“
Endlich vermochte ich mit zwar noch etwas belegter, aber doch leid-
lich sicherer Stimme zu fragen:
„Wohnt der hier in der Nähe? Ich habe ihn ja noch nie hier ge-
sehen. — Wie kommt das?“
Der Wirt erklärte mir, daß das Gut Lankwitz ja vier Meilen ab,
dicht bei Neustadt, läge, und der Herr daher nur dann herkäme, wenn er
in der Stadt etwas Besonderes zu tun habe. — Dann fügte er noch hinzu:
„Ja, der hat Glück gehabt: Sitzt mit Frau und Kind drüben in Amerika
und hat nichts zu beißen, weil er seine Stellung verloren hat; da kommt
im vorigen Herbst die Nachricht, der unverheiratete Vetter, der Majorats-
herr auf Lankwitz, ist auf der Reise nach Indien gestorben, und nun ge-
hört das Majorat ihm. Ich sage Ihnen: das reine Fürstentum! — Sechs-
tausend Morgen schöner Forst und dreitausend Acker und Wiesen; dazu
eine große Dampfziegelei und Schneideinühle und was weiß ich alles. —
Aber diesinal ist es an den Richtigen gekommen; — ein Herr, der höllisch
auf dem Posten ist und die ganze Geschichte in der Hand hat. — Dcr
bringt Zug in die verlodderte Wirtschaft.“
Mir war mit einemmal so traurig zu Mute! Also Freund Lankwitz ein
vornehmer Magnat mit einer stolzen Gräfin als Gemahlin! — Und da-
gegen ich — ich armes Suppenhuhn! —- Wie wird er mich behandeln? —
Nur nicht mit gnädigem Mitleid! — Lieber soll er mich gar nicht kennen. —
Das beste wäre wohl, ich gehe,. ehe er kommt. — Wir gehören ja doch
nicht mehr zusammen!
Das waren so ungefähr die Gedanken, die mich traurig stimmten.
Und eben wollte ich aufstehen und gehen, als es schon zu spät war.
Der Gefürchtete trat drüben aus dem Laden und kam schnellen Schrittes
gerade auf die Weinstube zu. •— Ich ergab mich also in mein Schicksal
und blieb sitzen, obgleich ich mich so elend fühlte, als erwarte ich in
der nächsten Minute den Einsturz des Himmels.
Hans Thoma: Schlafender Hirt. Große Kunstausstellung Düsseldorf 1913.
MODERNE KUNST.
Hans Thoma: Die Wonne des Fliegens. Große Kunstausstellung Düsseldorf 1913.
durchaus nicht über das, was sich in dem Sonnenflimmern vor meinen
Augen begab:
DieTür des gegenüberliegenden Hauses öffnete sich, und aus ihr trat
ein Mann. Diesen Mann kannte ich sehr gut; es war mein alter Freund
Lankwitz, den ich seit etwa fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. —- Nun
ja, es kommt wohl vor, daß man im Traume Menschen vor sich sieht, an
die man seit Jahren kaum noch gedacht hat. — Natürlich konnte es nicht
wirklich Lankwitz sein, sondern nur ein Mann, der im Sonnenflimmer
genau so aussah wie der Lankwitz.
Plötzlich höre ich die fette Stirnme des allwissendcn dicken Wirtes
sagen: „Da kommt ja der Herr von Lankwitz. — Ich bin doch neugierig,
ob er dem Rosental die Ungarn abgekauft liat.“
Nanu, träumt der auch! dachte ich einen Augenblick; dann ruckte
es wie ein elektrischer Schlag durch meinen Körper, ich fuhr aus meinem
Traumzustande auf und mit meinem Kopfe nach dem Wirte herum.
Dcr stand breit und behäbig in der Stube und sah durchaus nicht
verträumt aus, wie er so recht neugierig lauernd mit seinen listigen Äuglein
durch das Fenster guckte. Ja, der war ganz wach, und ich selber doch
auch wieder.
Unwillkürlich wandte ich meine Augen, den spähenden Blicken des
Wirtes folgend, wieder nach dem Fenster zurück. — Der Mann, der drüben
aus dem Hause getreten war, hatte sich vor der Tür halblinks gewandt
und schlenderte langsam schräg über den Platz augenscheinlich nach dem
Wichmannschen Laden herüber. Jetzt konnte ich sein Gesicht deutlich
erkennen. Da fuhr mir ein jäher Schreck durch die Glieder: es war
doch der Lankwitz, er war es und blieb es, trotzdem ich ganz wach war.
Ohne Besinnen wollte ich das Fenster aufreißen, fühlte rnich aber wie
gelähmt. — Gleichzeitig kam mir der Gedanke: Was willst du eigentlich?
Der ist ja gar nicht mehr dein Freund! Ehe ich das aber noch zu Ende
gedacht hatte, erschien es mir bereits ganz unsinnig. — Der nicht mehr
dein Freund? — Dein alter, treuer Seppi Lankwitz? — Wie kann man
nur so kleinlich nachtragend sein! — Freue dich, du hast ihn wieder — nach
langen, langen Jahren! Und ich freute mich so, daß'ich zu zittern begann.
Da erscholl wieder die fette Stimme hinter mir.
„Der kauft noch schnell was für seine Gnädige ein! — Die sollten
Sie kennen, Herr Hauptmann! Ich sage Ihnen, sowas sieht man nicht
alle Tage. -— Aber auch er ist ein feiner Herr! Sie werden ihn ja gleich
kennen lernen; denn jedenfalls kommt er noch zu einem Glas Ungarwein
herüber. Der Omnibus fährt erst in zwanzig Minuten zur Bahn.“
Endlich vermochte ich mit zwar noch etwas belegter, aber doch leid-
lich sicherer Stimme zu fragen:
„Wohnt der hier in der Nähe? Ich habe ihn ja noch nie hier ge-
sehen. — Wie kommt das?“
Der Wirt erklärte mir, daß das Gut Lankwitz ja vier Meilen ab,
dicht bei Neustadt, läge, und der Herr daher nur dann herkäme, wenn er
in der Stadt etwas Besonderes zu tun habe. — Dann fügte er noch hinzu:
„Ja, der hat Glück gehabt: Sitzt mit Frau und Kind drüben in Amerika
und hat nichts zu beißen, weil er seine Stellung verloren hat; da kommt
im vorigen Herbst die Nachricht, der unverheiratete Vetter, der Majorats-
herr auf Lankwitz, ist auf der Reise nach Indien gestorben, und nun ge-
hört das Majorat ihm. Ich sage Ihnen: das reine Fürstentum! — Sechs-
tausend Morgen schöner Forst und dreitausend Acker und Wiesen; dazu
eine große Dampfziegelei und Schneideinühle und was weiß ich alles. —
Aber diesinal ist es an den Richtigen gekommen; — ein Herr, der höllisch
auf dem Posten ist und die ganze Geschichte in der Hand hat. — Dcr
bringt Zug in die verlodderte Wirtschaft.“
Mir war mit einemmal so traurig zu Mute! Also Freund Lankwitz ein
vornehmer Magnat mit einer stolzen Gräfin als Gemahlin! — Und da-
gegen ich — ich armes Suppenhuhn! —- Wie wird er mich behandeln? —
Nur nicht mit gnädigem Mitleid! — Lieber soll er mich gar nicht kennen. —
Das beste wäre wohl, ich gehe,. ehe er kommt. — Wir gehören ja doch
nicht mehr zusammen!
Das waren so ungefähr die Gedanken, die mich traurig stimmten.
Und eben wollte ich aufstehen und gehen, als es schon zu spät war.
Der Gefürchtete trat drüben aus dem Laden und kam schnellen Schrittes
gerade auf die Weinstube zu. •— Ich ergab mich also in mein Schicksal
und blieb sitzen, obgleich ich mich so elend fühlte, als erwarte ich in
der nächsten Minute den Einsturz des Himmels.
Hans Thoma: Schlafender Hirt. Große Kunstausstellung Düsseldorf 1913.