MODERNE KUNST.
33 1
Knaben! — Der ältere, etwa dreijährig, stand — bereits ein kleiner Mann —
schon fest auf den eignen stämmigen Beinchen neben ihr und scbaute
mit seinem frischen Bubengesichte dreist und gottesfürchtig zu mir auf,
mit einem Blicke, der zu sagen schien: Aha, so sieht er also aus! —
Der jüngere safi noch im kurzen Kleidchen wohlgeborgen auf dem weichen
Arme der Mutter und lehnte, wie Schutz suchend, das blonde Köpfchen
gegen deren runde Schulter, indem er mich scheu mit großen fragenden
Augen musterte.
Und dennoch war nicht er — das kleine unbeholfene Menschenkind —
der scheuere von uns beiden, sondern ich, der welterfahrene und vom
Leben zerzauste, ausgereifte Mann.
Seltsames, mir selber kaum Faßbares ging plötzlich in mir vor beim
Anblicke der strahlend stolzen jungen Edelfrau und machte meine eben noch
so frohe Seele unsäglich traurig.
Die bange Ahnung, daß ich mich für
sie dessen würde schämen müssen,
was ich nun über sie erfahren sollte,
legte sich wie eine Last auf mein
Gemüt und machte mich unfrei und
scheu.
In meiner hilflosen Befangen-
heit begann ich ihre Knaben zu be-
wundern, und das mochte sich wohl
recht linkisch und unbeholfen aus-
nehmen, denn die junge Mutter
unterbrach meine Lobpreisungen
sehr bald durch den lachenden Zwi-
schenruf: „Hören Sie bloß auf, lieber
Freund! — Wie sollte solch ein hart-
gesottener Junggeselle auch etwas
von kleinen Kindern verstehen!“
Darauf übergab sie die beiden
Buben dem beiseite wartenden Kin-
dermädchen und lud uns Männer
ein, Platz zu nehmen.
Und während dann meine Augen
wie gebannt jeder ihrer anmutigen
Bewegungen folgte, mit denen sie
uns den Kaffee reichte, machte mich
der Gedanke von neuem fast elend,
daß srch nun bald ein dunkler Schat-
ten über den Glanz, dieses edlen
Frauenbildes breiten würde. Er
nahm mir fast den Atem und ließ
meine Hände, als ich Sahne und
Zucker in meine Tasse tat, leicht
beben.
Indem ich noch in dem natür-
lichen Wunsche, den gefürchteten
Augenblick möglichst weit hinaus-
zuschieben, nach einem passenden
Gesprächsstoffe suchte, schreckte mich plötzlich des Freundes lachender
Anruf auf: „Menschenkind, was fehlt dir denn? — Du siehst ja aus wie
sieben Tage Regenwetter!“
In meiner Verwirrung wußte ich nicht gleich, was ich darauf erwidern
sollte, und platzte, unwillkürlich meiner Gemütsstimmung nachgebend, mit
den sehr einleuchtenden Worten heraus: „Ach Gott, es ist so traurig!“
Der gute Sepp sah mich an, als ob er mich nicht für ganz richtig im
Kopfe hielte: „Traurig? — Ja, was denn in aller Welt?“
„Na, daß ihr-? Ich meine, daß ihr damals so habt leben
müssen.“
Nun hatte ich selbst den Stein ins Rollen gebracht. — Frau Mytala
sah fragend ihren Mann an, und dieser schüttelte verständnislos seinen
Kopf, bevor er antwortete: „Aber lieber Kerl, das ist doch nun glücklich
überstanden! — Jetzt ist ja doch alles gut!“
Ich begriff nicht, wie sich ein sonst durchaus ordnungsmäßig denken-
der Mensch so leichtfertig über altererbte Anschauungen hinwegsetzen
konnte, und wandte vorwurfsvoll ein: „Glaub doch das nicht! — So
etwas wird nie wieder gut!“
Nun endlich schien er mich zu begreifen.
„Dumm'er Kerl, was denkst du dir eigentlich? — Natürlich waren wir
doch auch damals schon richtig verheiratet! — Unten in Korsika hatten
wir uns trauen lassen.“
Mir war, als fiele mir ein Stein vom Herzen; aber ich wagte inimer
noch nicht an mein unbändiges Glück zu glauben. — Da war noch so
vieles, was ich mcht veistand. Und so forschte ich denn hastig weiter:
„Ja, um Himmels willen, waium habt ihr das denn nicht gesagt? ^Vie
konntest du denn deine Frau in eine so unwürdige Laoe brino-en?“
„Mein Kerlchen, du hast gut reden! — Ich hatte doch keinen Kon-
sens, schon weil wir nicht das Kommisvermögen aufbringen konnten. —
Und dann ging das damals ja auch
alles so schnell: Ihre Mutter vor
Schreck darüber, daß sie ihren
Prozeß gegen den Majoratserben
und damit ihr ganzes Vermögen
verloren hatte, plötzlich gestorben!
Das junge Ding seelenallein in dem
einsamen Fischerdorf im fremden
Lande, die gute Hecker, die ganz
den Kopf verloren hatte, als einzi-
gen Trost!-Und dazu bis über
die Ohren in mich verliebt — —!“
Hier wurden seine übermütigen
Worte durch einen Klaps von schö-
ner Frauenhand auf seinen loscn
Mund unterbrochen.
„Da hört sich aber wirklich alles
auf!“ erhoh Frau Mytala sehr ent-
schieden Einspruch. „Bis über die
Ohren verliebt! —■ Und du? —
Warst du es etwa nicht?“
„Aber natürlich, Schatz! — Ich
erst recht! — — Also, ich mußte
zurück, mein Urlaub war zu Ende. —
Was nun tun? — Ich konnte doch
unmöglich das hilflose junge Ding,
das so schrecklich in mich verliebt
war, mit der noch hilfloseren Frau
Hecker gänzlich mittellos allein
lassen? — Ich glaube, das hättest
du auch nicht getan. — Da gingen
wir einfach zu dem alten weltfrem-
den Pfarrer, bei dem wir immer zu-
sammen musiziert hatten, und ließen
uns von ihm trauen.“ — —
Mir war so leicht, als hätte ich
auffliegen können, nachdem die kui ze
Erzählung meines Freundes die
drückende Last von mir genommen hatte; aber ich mußte immer noch
mehr wissen; und darum fragte ich mit — jetzt vor Freude — zittern-
der Stimme: „Aber, was dachtet ihr euch denn, wie das enden sollte?“
„Ja, Gott, viel gedacht haben wir damals wohl überhaupt nicht in
unserer Verliebtheit. — Vor allen Dingen wollten wir durchaus zusammen-
bleiben; anderseits aber konnten wir ohne mein Offiziersgehalt nicht
leben. — So taperten wir einfach in die verdammte Situation rein, in der
wir denn aueh beinahe zugfunde gegangen wären.“
Nun endlich war alles gut! — Meine Frau Mytala war und blieb
fleckenlos rein! — Am liebsten wäre ich ihr zu Füßen gesunken und hätte
sie um Verzeihung dalüi gebeten, daß ich je an lhrer Reinheit g'ezweifelt
hatte. V ortlos erhob ich mich, trat vor sie hin und führte ihre Rechte
ehrfurchtsvoll an meine Lippen.
Mit einein Ausdiuck in ihrem lieben, klaren Gesichte, dcn ich in
seinem edlen Liebieize nie vergessen werde, schaute sie feuchten Auges
zu mir auf und sagte mit sanfter Stimme: „Ja, wenn wir Sie nicht gehabt
A. Baur: Auf der Landstraße. Große Kunstausstellung Düsseldorf 1913.
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Knaben! — Der ältere, etwa dreijährig, stand — bereits ein kleiner Mann —
schon fest auf den eignen stämmigen Beinchen neben ihr und scbaute
mit seinem frischen Bubengesichte dreist und gottesfürchtig zu mir auf,
mit einem Blicke, der zu sagen schien: Aha, so sieht er also aus! —
Der jüngere safi noch im kurzen Kleidchen wohlgeborgen auf dem weichen
Arme der Mutter und lehnte, wie Schutz suchend, das blonde Köpfchen
gegen deren runde Schulter, indem er mich scheu mit großen fragenden
Augen musterte.
Und dennoch war nicht er — das kleine unbeholfene Menschenkind —
der scheuere von uns beiden, sondern ich, der welterfahrene und vom
Leben zerzauste, ausgereifte Mann.
Seltsames, mir selber kaum Faßbares ging plötzlich in mir vor beim
Anblicke der strahlend stolzen jungen Edelfrau und machte meine eben noch
so frohe Seele unsäglich traurig.
Die bange Ahnung, daß ich mich für
sie dessen würde schämen müssen,
was ich nun über sie erfahren sollte,
legte sich wie eine Last auf mein
Gemüt und machte mich unfrei und
scheu.
In meiner hilflosen Befangen-
heit begann ich ihre Knaben zu be-
wundern, und das mochte sich wohl
recht linkisch und unbeholfen aus-
nehmen, denn die junge Mutter
unterbrach meine Lobpreisungen
sehr bald durch den lachenden Zwi-
schenruf: „Hören Sie bloß auf, lieber
Freund! — Wie sollte solch ein hart-
gesottener Junggeselle auch etwas
von kleinen Kindern verstehen!“
Darauf übergab sie die beiden
Buben dem beiseite wartenden Kin-
dermädchen und lud uns Männer
ein, Platz zu nehmen.
Und während dann meine Augen
wie gebannt jeder ihrer anmutigen
Bewegungen folgte, mit denen sie
uns den Kaffee reichte, machte mich
der Gedanke von neuem fast elend,
daß srch nun bald ein dunkler Schat-
ten über den Glanz, dieses edlen
Frauenbildes breiten würde. Er
nahm mir fast den Atem und ließ
meine Hände, als ich Sahne und
Zucker in meine Tasse tat, leicht
beben.
Indem ich noch in dem natür-
lichen Wunsche, den gefürchteten
Augenblick möglichst weit hinaus-
zuschieben, nach einem passenden
Gesprächsstoffe suchte, schreckte mich plötzlich des Freundes lachender
Anruf auf: „Menschenkind, was fehlt dir denn? — Du siehst ja aus wie
sieben Tage Regenwetter!“
In meiner Verwirrung wußte ich nicht gleich, was ich darauf erwidern
sollte, und platzte, unwillkürlich meiner Gemütsstimmung nachgebend, mit
den sehr einleuchtenden Worten heraus: „Ach Gott, es ist so traurig!“
Der gute Sepp sah mich an, als ob er mich nicht für ganz richtig im
Kopfe hielte: „Traurig? — Ja, was denn in aller Welt?“
„Na, daß ihr-? Ich meine, daß ihr damals so habt leben
müssen.“
Nun hatte ich selbst den Stein ins Rollen gebracht. — Frau Mytala
sah fragend ihren Mann an, und dieser schüttelte verständnislos seinen
Kopf, bevor er antwortete: „Aber lieber Kerl, das ist doch nun glücklich
überstanden! — Jetzt ist ja doch alles gut!“
Ich begriff nicht, wie sich ein sonst durchaus ordnungsmäßig denken-
der Mensch so leichtfertig über altererbte Anschauungen hinwegsetzen
konnte, und wandte vorwurfsvoll ein: „Glaub doch das nicht! — So
etwas wird nie wieder gut!“
Nun endlich schien er mich zu begreifen.
„Dumm'er Kerl, was denkst du dir eigentlich? — Natürlich waren wir
doch auch damals schon richtig verheiratet! — Unten in Korsika hatten
wir uns trauen lassen.“
Mir war, als fiele mir ein Stein vom Herzen; aber ich wagte inimer
noch nicht an mein unbändiges Glück zu glauben. — Da war noch so
vieles, was ich mcht veistand. Und so forschte ich denn hastig weiter:
„Ja, um Himmels willen, waium habt ihr das denn nicht gesagt? ^Vie
konntest du denn deine Frau in eine so unwürdige Laoe brino-en?“
„Mein Kerlchen, du hast gut reden! — Ich hatte doch keinen Kon-
sens, schon weil wir nicht das Kommisvermögen aufbringen konnten. —
Und dann ging das damals ja auch
alles so schnell: Ihre Mutter vor
Schreck darüber, daß sie ihren
Prozeß gegen den Majoratserben
und damit ihr ganzes Vermögen
verloren hatte, plötzlich gestorben!
Das junge Ding seelenallein in dem
einsamen Fischerdorf im fremden
Lande, die gute Hecker, die ganz
den Kopf verloren hatte, als einzi-
gen Trost!-Und dazu bis über
die Ohren in mich verliebt — —!“
Hier wurden seine übermütigen
Worte durch einen Klaps von schö-
ner Frauenhand auf seinen loscn
Mund unterbrochen.
„Da hört sich aber wirklich alles
auf!“ erhoh Frau Mytala sehr ent-
schieden Einspruch. „Bis über die
Ohren verliebt! —■ Und du? —
Warst du es etwa nicht?“
„Aber natürlich, Schatz! — Ich
erst recht! — — Also, ich mußte
zurück, mein Urlaub war zu Ende. —
Was nun tun? — Ich konnte doch
unmöglich das hilflose junge Ding,
das so schrecklich in mich verliebt
war, mit der noch hilfloseren Frau
Hecker gänzlich mittellos allein
lassen? — Ich glaube, das hättest
du auch nicht getan. — Da gingen
wir einfach zu dem alten weltfrem-
den Pfarrer, bei dem wir immer zu-
sammen musiziert hatten, und ließen
uns von ihm trauen.“ — —
Mir war so leicht, als hätte ich
auffliegen können, nachdem die kui ze
Erzählung meines Freundes die
drückende Last von mir genommen hatte; aber ich mußte immer noch
mehr wissen; und darum fragte ich mit — jetzt vor Freude — zittern-
der Stimme: „Aber, was dachtet ihr euch denn, wie das enden sollte?“
„Ja, Gott, viel gedacht haben wir damals wohl überhaupt nicht in
unserer Verliebtheit. — Vor allen Dingen wollten wir durchaus zusammen-
bleiben; anderseits aber konnten wir ohne mein Offiziersgehalt nicht
leben. — So taperten wir einfach in die verdammte Situation rein, in der
wir denn aueh beinahe zugfunde gegangen wären.“
Nun endlich war alles gut! — Meine Frau Mytala war und blieb
fleckenlos rein! — Am liebsten wäre ich ihr zu Füßen gesunken und hätte
sie um Verzeihung dalüi gebeten, daß ich je an lhrer Reinheit g'ezweifelt
hatte. V ortlos erhob ich mich, trat vor sie hin und führte ihre Rechte
ehrfurchtsvoll an meine Lippen.
Mit einein Ausdiuck in ihrem lieben, klaren Gesichte, dcn ich in
seinem edlen Liebieize nie vergessen werde, schaute sie feuchten Auges
zu mir auf und sagte mit sanfter Stimme: „Ja, wenn wir Sie nicht gehabt
A. Baur: Auf der Landstraße. Große Kunstausstellung Düsseldorf 1913.