Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0679
DOI Heft:
22. Heft
DOI Artikel:Reinke, Siegfried: Künstlerische Porträtphotographie
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Dame am Splnett.
Pbot. Becker & Maaß.
Künstlerische Porträtphotographie.
Von Siegfried Reinke.
ie Photographie ist ein Stiefkind unter den Künsten. — Zwar in Wissen-
schaft und Technik, überall da, wo man sie brauchte, ließ man sie
gelten, sobald sie aber versuchte, neben den Künsten ein Plätzchen zu
finden, schalt man sie anmaßend und versuchte sie wegzudrängen.
Vielleicht war sie selbst an der leisen Mißachtung und Anrüchigkeit, die
ihr anhaftete, nicht ganz schuldlos. Sie war die jüngste unter den Künsten und
hatte keine, oder wenigstens keine bedeutsame Geschichte. Bis vor wenigen
Jahren noch war sie ein Handwerk und nicht einmal ein gutes. Einige ganz
wenige Ausnahmen von Fachleuten und Amateuren abgerechnet, war alles, was
die Porträtphotographie leistete, trostlosester Stumpfsinn. Ein jeder erinnert sich
wohl noch an jene „Bitte-recht-freundlich“-Photographen (ausgestorben sind sie
ja auch heutigen Tages noch nicht) und ihre Produkte, die Babys, die durchaus
bäuchlings und im Hemdchen auf einem Felle liegen mußten, die jungen Mädchen,
die immer an eine Säule gelehnt vor einer gemalten Parklandschaft standen,
oder die in der Sonntagsbluse süß und lächelnd auf Wolken thronten, die
Männer, die so schön waren, große Augen, gekräuselte Bärte und schöne
Kravatten hatten. Das herbste Gesicht wurde unter den Händen des tüchtigen
•- 1— [Nachdruck verboten ]
Photographen und des noch tüchtigeren Retoucheurs zur faltenlosen, lächelnden
Larve. Allmählich vollzog sich dann die Wandlung. Die jungen Photographen
nannten sich jetzt Lichtbildner und hatten den Ehrgeiz Künstler zu sein. Diese
Bewegung war an sich gut und heilsam, wenn sie auch in manche Sackgasse
lief. Aber man warf wenigstens endlich die albernen Klischees über Bord,
unterließ die Retouche oder beschränkte sie auf die Unterdrückung störender
Kleinigkeiten. Schließlich ist die Erkenntnis, daß eine Porträtphotographie, die
den Anspruch erhebt, als künstlerische Leistung gewertet zu werden, nichts Zu-
fälliges sein darf, sondern ebenso wie ein Werk der Malerei bewußtes Gestalten
voraussetzt, heute eine Selbstverständlichkeit, aber ihre Umwertung in die
Leistung ist viel schwieriger und darum auch seltener, als man anzunehmen
geneigt ist.
Trotz der eminenten technischen Fortschritte, trotz des eifrigsten Strebens
unserer Photographen nach künstlerischer Wirkung, haben wir nur sehr wenig
wirklich gute Bildnisphotographen.
Es bedarf eben dazu einer ganzen Reihe von Eigenschaften, die seiten in
einem einzelnen Menschen vereinigt sind.
XXVII. 70.
Pbot. Becker & Maaß.
Künstlerische Porträtphotographie.
Von Siegfried Reinke.
ie Photographie ist ein Stiefkind unter den Künsten. — Zwar in Wissen-
schaft und Technik, überall da, wo man sie brauchte, ließ man sie
gelten, sobald sie aber versuchte, neben den Künsten ein Plätzchen zu
finden, schalt man sie anmaßend und versuchte sie wegzudrängen.
Vielleicht war sie selbst an der leisen Mißachtung und Anrüchigkeit, die
ihr anhaftete, nicht ganz schuldlos. Sie war die jüngste unter den Künsten und
hatte keine, oder wenigstens keine bedeutsame Geschichte. Bis vor wenigen
Jahren noch war sie ein Handwerk und nicht einmal ein gutes. Einige ganz
wenige Ausnahmen von Fachleuten und Amateuren abgerechnet, war alles, was
die Porträtphotographie leistete, trostlosester Stumpfsinn. Ein jeder erinnert sich
wohl noch an jene „Bitte-recht-freundlich“-Photographen (ausgestorben sind sie
ja auch heutigen Tages noch nicht) und ihre Produkte, die Babys, die durchaus
bäuchlings und im Hemdchen auf einem Felle liegen mußten, die jungen Mädchen,
die immer an eine Säule gelehnt vor einer gemalten Parklandschaft standen,
oder die in der Sonntagsbluse süß und lächelnd auf Wolken thronten, die
Männer, die so schön waren, große Augen, gekräuselte Bärte und schöne
Kravatten hatten. Das herbste Gesicht wurde unter den Händen des tüchtigen
•- 1— [Nachdruck verboten ]
Photographen und des noch tüchtigeren Retoucheurs zur faltenlosen, lächelnden
Larve. Allmählich vollzog sich dann die Wandlung. Die jungen Photographen
nannten sich jetzt Lichtbildner und hatten den Ehrgeiz Künstler zu sein. Diese
Bewegung war an sich gut und heilsam, wenn sie auch in manche Sackgasse
lief. Aber man warf wenigstens endlich die albernen Klischees über Bord,
unterließ die Retouche oder beschränkte sie auf die Unterdrückung störender
Kleinigkeiten. Schließlich ist die Erkenntnis, daß eine Porträtphotographie, die
den Anspruch erhebt, als künstlerische Leistung gewertet zu werden, nichts Zu-
fälliges sein darf, sondern ebenso wie ein Werk der Malerei bewußtes Gestalten
voraussetzt, heute eine Selbstverständlichkeit, aber ihre Umwertung in die
Leistung ist viel schwieriger und darum auch seltener, als man anzunehmen
geneigt ist.
Trotz der eminenten technischen Fortschritte, trotz des eifrigsten Strebens
unserer Photographen nach künstlerischer Wirkung, haben wir nur sehr wenig
wirklich gute Bildnisphotographen.
Es bedarf eben dazu einer ganzen Reihe von Eigenschaften, die seiten in
einem einzelnen Menschen vereinigt sind.
XXVII. 70.