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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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5. Heft
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Grund, Otto: Innenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0143

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MODERNE KUNST.

Innenkunst.

Von Otto Qrund.

[Nachdruck verboten.J

K^Jögen auch nicht alle Schöpfungen moderner Innenkunst zu loben
sein, so muß doch anerkannt werden, daß in der geschmack-
vollen, zweckdienlichen und soliden Einrichtung der Wohn-
räume außerordentliche Fortschritte gemacht sind. Der ornamentale
Schwulst, der noch vor einigen Jahrzehnten die Möbel überwucherte und
ihre Benutzung erschwerte, ist geschwunden, und die dekorativen Aus-
wüchse, zu denen sich Architekten, Zeichner und Tapezierer verleiten
ließen, sind verbannt. Es war kein Vergnügen, seine Schienbeine an
den scharfkantigen Mobilien eines deutschen Renaissance-Wohnzimmers
wundzustoßen oder unter der schwer lastenden Balkendecke und hinter
den Butzenscheiben eines Speisezimmers desselben Stils zu tafeln. Man
fühlte sich im Milieu melancholisch wirkender tiefbrauner Holztöne und
dunkler Schatten bedrückt, empfand Sehnsucht nach Licht und Luft
und merkte, daß die Stilfexerei in ihrer Sucht, ein Stück Gotik oder
Renaissance hervorzuzaubern, sich nur zu oft einer recht übertriebenen
und unverstandenen Wiedergabe alter Formgedanken schuldig machte.

Mit Lächeln gedenkt man jener mit umfangreicher Architektur be-
dachten Büfette, deren Pilaster und Säulen sich
beim Öffnen einerTür lustig mitdrehten, obgleich
sie notwendige Stützen des schweren Gebälks zu
sein schienen. Mit Lächeln der Dreiecksgiebel
und Muschelaufsätze, die jedem Schrank, jedem
Spiegel und sogar dem Haupte des Bettes auf-
gesteckt waren, und zwar gewöhnlich mit einer
Neigung nach vorn, als sollten sie überkippen.

Und mit Grauen der Überfülle von Spitzen,

Kugeln, Zapfen, Konsolen, Balustern, Reliefs und
Masken, die als Zierat dienten. Diese Ornamentik
hat im Verein mit den zahlreichen Kehlleisten
die Möbel erheblich verteuert und schwer
reinigungsfähig gemacht — letzteres aus dem
Grunde, weil der Staub sich in all den vielen
Ecken und Winkeln festsetzte, um mit dem Wachs
oder gewissen fettigen Rückständen der Politur
eine zähe Masse zu bilden, die jeder Entfernung
hartnäckigsten Widerstand entgegensetzte. Man
kann froh sein, daß solche Möbel auf den Index
gesetzt sind, und neue Möbelformen besserer Art
in Verbindung mit geschmackvolleren Grund-
sätzen der Dekoration zur allgemeinen Annahme
gelangt sind.

Was der Belgier Van de Velde und gewisse
deutsche Künstler, wie Obrist, Pankok, Behrens,

Olbrich, Bruno Paul und Schultze-Naumburg, auf
dem Gebiete der Raurnkunst reformierend ge-
wirkt haben, trug gute Frucht und ist jetzt
Allgemeingut geworden. In gleichem Sinne hat
auch der feinsinnige Paderborner Max Heidrich
mit seinen vorzüglichen Entwürfen für Zimmer-

Max Heidrich:
Aus den Werkstätten Bei

Max Heidrich: Frühstückszimmer.

Aus den Werkstätten Bernard Stadler, Paderborn.

einrichtungen gewirkt. Ihre treffliche Ausführung
in den Werkstätten von Bernard Stadler zu Pader-
born liefert einen neuen Beweis für die Güte
des Ergebnisses, wenn Kunst und Technik har-
monisch zusammenarbeiten. Knapp, klar, zweck-
entsprechend, ohne jeden überflüssigen Aufwand,
mit schönen Linien und Formen ist jedes Möbel
konstruiert und der Gesamteinrichtung einge-
gliedert. Mag es ein Empfangs-, Speise-, Wohn-,
Arbeits-, Schlaf- oder Kinderzimmer sein, immer
ist das Bequeme und Geschmackvolle unter be-
sonderer Beachtung des Charakteristischen wohl-
tuend und anheimelnd zum Ausdrucke gebracht.
Man sieht, es geht auch ohne den Ornamenten-
schwall, wenn nur die Prinzipien gesunder Kon-
struktion beachtet werden.

Es konnte die Reaktion gegen das Über-
maß von traditioneller Stilsimpelei, die sich auf
Renaissanc.e, Barock oder Rokoko eingeschworen
hatte und darüber das praktische Bedürfnis der
modernen Zeit vergaß, ebensowenig wie die
gegen die ornamentale Hochflut ausbleiben. Der
Künstler rang nach Ausprägung seiner Eigenart
unter voller Berücksichtigung der Anforderungen
neuzeitlichen Lebens, hingegen der mit ihm im
Bunde stehende Techniker nach neuen Methoden,
die Besonderheiten des Materials, insbesondere
der verschiedenen Holzarten, in ihren vollen
Reizen zu erschließen und auch konstruktiv zur
Geltung zu bringen. So brachten beide Kräfte
ein Neues zustande, an dessen Blühen man sich nun erfreuen kann.

Gewiß, der Gegensatz zum früheren Zustand ist stark, aber an
Gesundes und Tüchtiges gewöhnt sich jeder so schnell, daß er dem
Alten keine Träne mehr nachweint. Mehr Licht ist in unsere Zimmer
gedrungen, zumal allzu tiefe Töne bei der Behandlung der Wand-
flächen vermieden sind, und der Fensterbehang praktischer angeordnet
ist. Mehr Raum ist gewonnen, da Überladung mit Recht als unkünst-
lerisch gilt. Mehr Brauchbarkeit ist erzielt, da diese bei der Kon-
struktion als oberstes Gebot geschätzt wird. Scharfes, Schneidiges und
Eckiges ist zugunsten gefälliger Abrundungen und eleganter Kurven nach
Art englischer Mahagonimöbel vermieden, kraftgeschwellte elastische
Linien wiegen vor — das Möbel ist gewissermaßen beseelt worden, um
am Leben im Zimmer Anteil zu nehrnen. So ist der Gesamteindruck der
einer anheimelnden Behaglichkeit in vollem Sonnenlicht. Letzteres sei
besonders betont, denn früher wurde die Behaglichkeit im Dämmerlicht
und tiefen Schatten gesucht. Solcher Geschmack ist heute kaum noch
möglich, denn unser Lichtbedürfnis ist durch die Leuchtkraft des elektri-
schen Lichtes enorm gewachsen — ein Prozeß, der auch auf Kunst und
Dekoration gewaltigen Einfluß übt.

Eine besonders wichtige Unterstützung hat die Raumkunst durch
den enormen Zuwachs ausgezeichnet wirkender Materialien erhalten. Nur
erinnert sei, wie sich der Reichtum an schätzbaren Holzarten und das
Färben der Ilölzer mit farbigen Beizen erweitert hat, wie für die Beklei-

Empfangszim mer.
nard Stadler, Paderborn.

Max Heidrich: Speisezimmer. Aüs den Werkstätten Bernard Stadler, Paderborn.

XXVII. 5. Z.-Z.
 
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