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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Meissner, Franz Hermann: Berliner Neu-Romantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0013

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Nr. s -Die K u n st - pall e. -

Als grelle Kontraste aber springen von diesem ein-
heitlichen Bilde Ansang und Ende des Jahrhunderts
ab, — die alte Ko in antik läutet es in ehernen
Glockenschlägen ein — mit schmeichelnden Aeolsharfen-
stimmen klingt es lockend in der neuen Koni antik
wiederum aus. wie die alte Komantik wesentlich
litterarischen Ursprungs und Charakters überhaupt
war und ihr Tiefstes auch nur in der Litteratur her-
vorgebracht, so verkörpert sich die alte berliner Ko-
mantik lediglich in einem Poetenkreis, deren
Bedeutendster auch für die übrige deutsche Kunst-
richtung E. T. A. bsossmann, der geniale Musiker-
poet, war. Auf die berliner Malerei seiner Zeit
blieb der Einfluß gering. — Dieser litterarische
Tharaoter bestimmt die gesammte srühromantische
Kialerei, giebt ihr in dem Accent auf den poetischen
Gedanken, die Fabellust, die wie das Manuskript aus
eiuem Poetenrock aus jedem ihrer Werke gucken, den
vorherrschend illustrativen, dienenden Zug, — das
zeichnerische Gepräge den Malern, die nicht malen
konnten, — während in einem interessanten Kontrast
diese Poeten die prächtigsten „Einfallmenschen und
Stimmungskerle" waren, aber weder Menschen noch
die Katur noch eine logische Handlung glaubhaft
zeichnen konnten.
Daran starb die alte Komantik. Aber
romantisch ist die geheime Tonlage der germanischen
Seelenstimmung. Sie wachte bald auf. Wagner
in Bayreuth und Böcklin waren die Wecker. Anfang
der 80er Jahre beginnen beide in Berlin ihren
geistigen Eroberungszug. Jener drückt durch die
Bedeutung der Musik in seinem Gesammtkunstwerk
allem künstlerischen Schaffen seitdem seinen Stempel
auf, und dieser befreit durch seine Ideenwelt wie
seine Darstellungsweise unmittelbarer die Künstler
von: Wahne der Biedermeierzeit, die nicht bis s8F8,
sondern bis s885 etwa reicht. Das gewaltige Drei-
gestirn Thoma, Stuck, der große Mar Klinger, die
dicht um f89O berühmt wurden, — alle von beiden
angeregt und von ihrem Geist durchdrungen, keiner
abhängig eigentlich von ihnen oder mit dem Genossen
verwandt, — sind das Produkt dieses werdeprozesses.
Gb die geläufige Bezeichnung dieser als Neu-
romantiker bleiben wird, bezweifle ich, — sie faßt ihre
Bedeutung doch nicht ganz, — namentlich Klinger
nicht. Aber ein romantisches Werk entsteht unter
ihnen, vielleicht das originellste der Gegenwart und
sicherlich etwas Einziges in der Geschichte, ein
Kadirungscyklus von Max Klinger: die Brahms-
phantasie s89k—9^, die typisch für die ganze
„moderne Komantik " ist —, auf ihre ÜZuellen uud
ihren charakteristischen Zug weist: uämlich die Palette
zur köarfe zu wandeln. Das Werk hat buchhändlerisch
einen ungewöhnlichen Erfolg erlebt, mir scheint in-
dessen, als ob es in seiner Tragweite noch nicht
genug gewürdigt wird, trotzdem es den Schlüssel zum
Lindringeu iu die neue Komantik bietet. Neben

wenigen dichterisch-illustrativen enthält es vorwiegend
Darstellungen, die aus rein musikalischen Intentionen
heraus Touphantasieen iu bildende Kunst übertragen
und die Gesetze dieser denen der Musik anzugleicheu
suchen. Es ist ein Eroberungszug, wie uur wenige
iu der Kunstgeschichte zu verzeichnen sind. Indessen
ist dies Werk nicht unvermittelt geschaffen, — es giebt
Spuren davon schon bei Liebermann und Uhde, in
deren mystischer Naturauffassung, und unbewußt und mit
geringerer Intensivität hat sich das Prinzip auch
weiterhin offenbart. Die ganze moderne Komantik
ist davon erfüllt. Im Gegensatz zur alten legt sie
das Schwergewicht auf die Malerei, —- fie ist zum
Theil so fanatisirt für deu Kolorismus au sich, daß
sie die Zeichnung vernachlässigt, auf mathematischen
Aufbau verzichtet und mit Vorliebe dämmerig-unklare,
verschwommene Themata wählt. Die Farbe selbst,
die Schwingungen seltener und ungewöhnlicher Ton-
reize sucht sie, — sie verwendet sie wie der Musiker
die Saite, um in der Seele des Betrachtenden alle
süßen Schauer und das bethörende Grauen vor dein
Mnrdischen, Ueberfinnlichen los zu machen; die ur-
sprüngliche Kraft unserer Empfindungen will sie an-
stacheln, unser Auge weltvergessen in die dämmerigen
Fernen unseres eigenen Seelenmysteriums blickeu und
unser Ohr lauschen lassen auf ein wahrnehmbares
Klingen neuer und unentweihter Farbenharmonien.
Nicht das Gesicht der Natur sucht fie, sondern die
Schwingung unserer Nerven vor ihren großen
Zuständen.
Das ist der große musikalische Grundzug in
dieser neuen Komantik und unter seinen Zeichen steht
ein kleiner, aber weil er seine Einflüsse nach allen
Seiten ergießt, gewichtiger Theil der Berliner Kunst
in der Gegenwart.
Seit f89O kennt man bf ermann kfendrich.
Er neigt in seinen: Ideenkreis noch zur alten
Komantik, weil er Bayreuth an: nächsten steht. Er
hat viele Motive daher, die Mehrzahl aus den:
Dunkel der längst verklungenen Lddawelt; dazu ein
paar Tropfen Märchenblut iu seinen leidenschafts-
losen pulsen; nur in einigen sehr geschickten
spiritistischen Bildern hat er auch der Wissenschaft
vom Ueberfinnlichen geopfert. Er ist nur Land-
schafts- und Stimmungsmaler, — die Figuren bleiben
ihm Staffage wie ihm im Grunde die Formen der
Landschaft gleichgültig find. Der Eddamythos ist
primitiver, fast reiner, fast embryonaler Naturmythos.
Gedichtet aus wundervoll frischen, intuitiven, aber
denkschweren Bardengehirnen, die mit feierlicher
Stimmung und ergriffen lallenden Lippen einst die
dröhnenden Stimmen vorwelteinsamer Natur zu ver-
dichten suchten, — unwirklich und unplastisch das
Naturbild im leuchtenden Auge. Das spiegelt sich
bei kfeudrich. Er guckt schwer, ohne Sinn für die formale
Struktur und das Kleine in die Landschaft hinein, —
die Naturwissenschaft hat nicht für ihn gearbeitet, sein
 
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