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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 22
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Imhof, Franz: Sezession im Kunstgewerbe
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Bierbaum, Otto Julius: Die Münchener Ausstellungen: Vorbetrachtung, [1]
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Nr. 22

->-<8 Die Kunst-Halle.

339

sonderen Ansprüche an das Leben in eine künstlerische
Form gebannt hat, dann geben sie uns einen Anhalt
dafür, auf welchen: Wege wir, von anderen Voraus-
setzungen ausgehend, mit anderen Hilfsmitteln ar-
beitend, derartige, an sich gesunde Motive gleichsam
in neues Erdreich verpflanzen müssen, um sie lebens-
fähig zu erhalten." —
Ob diese Ausführungen die in ihrem Gewissen
beunruhigten Reichenberger Kunsthandwerker befrie-
digt haben, wissen wir nicht, glauben es aber kaum.
Lessing müßte nicht der kluge Kopf und geschickte
Dialektiker sein, um sich und seine bisherige Thätig-
keit hier nicht glänzend rechtfertigen zu können. Nie-
mand erwartet etwas Anderes von ihm und Jeder
wird seine hübsche Antwort Wort für Wort unter-
schreiben können. Aber man soll den Menschen nicht
nach seinen Worten, sondern nach seinen Thaten be-
urtheilen. Und der Weg, den das heimische Kunst-
gewerbe soweit es sich die Führung des berühmten
Mannes gern gefallen läßt, in letzter Zeit gewandelt
ist, verdient keine große Sympathie.
Die heute „führende::" Herren sind sich der
Tragweite ihrer Doktrinen offenbar nicht völlig be-
wußt. Sie vergessen, wie oben gesagt, nur zu häufig,
mit welchen Leuten sie zu thun haben. Ihre geist-
reichen Verklausulirungen werden dort nur halb oder
gar nicht verstanden. Die Mehrzahl faßt schlecht
und recht das, was ihr als Muster nachdrücklichst
empfohlen wird, gleichsam als Parole, als die je-
weilige Kunstmode auf und folgt blind der Führer-
schaft. Und was dann herauskommt, sieht man
leider mit Schrecken auf der gegenwärtige:: Berliner
Gewerbeausstellung. Sie bedeutet für das Kunst-
gewerbe, so hoch auch die technische Ausführung fast
in allen Fächern heute steht, geistig nicht eben viel.
Man hatte nach den Anregungen, die in unzähligen
Vereinssitzungen geboten wurden, nach den Meurer-
fchen Lehren u. s. w. ungleich viel mehr erwartet.
Die Hinweise auf England und Amerika haben vor-
läufig uur Verwirrung angerichtet, keine Klarheit
über das Wesen des künstlerisch veredelten Gebrauchs-
gegenstands gebracht. Die formale Lösung der mo-
dernen kunsthandwerklichen Aufgaben in: national-
deutschen Sinne steht noch fast durchweg aus. Man
ist nur in ganz vereinzelten Fällen bis jetzt auf die
so einfache, so naheliegende Wahrheit gekommen: le
style e'est llobjok —> der Stil ist der Gegenstand
selber. Eine Wahrheit, die in der Litteratur schon
lange gilt und die dort lautet: le style e'est llllmmne.
Also, im Kunstgewerbe sollte es nur heißen: jedes
Stück hat seinen eigenen Stil, seinen Zweckstil und
seine eigene Schönheit. Diesen Maßstab hätte eigent-
lich das Kunstgewerbe auf der Treptower Ausstellung
vertragen müssen. Es verträgt ihn aber keineswegs.
Und man wird daher fragen dürfen: Wer ist
Schuld daran?

Die Münchener Ausstellungen.
Von Gtto Iulius Bierbaum.
I.
Vorbetrachtung.
>^?^ie Maler haben keine Lust mehr für Ausstellungen
zu malen, die Kritiker haben keine Lust mehr
über Ausstellungen zu schreiben, das Publikum
hat keine Lust mehr in Ausstellungen zu gehen. Diese
Stimmung wäre durchaus erfreulich zu nenuen, wen::
sie zur Folge hätte, daß die Ausstellungen in Abzehr-
ung geriethen. Aber die Ausstellungen, oder was
als Grund hinter ihnen steckt, sind mächtiger als
Künstler, Kritiker und Publikum. Kein Gedanke, daß
sie am Eingehen sind; sie schwellen vielmehr noch
immer auf, wie der dämonische Pudel in Faustens
Studirstnbe. Wo sie, wie in Berlin, mit Doppel-
konzert und guter Nestauration verbunden sind, er-
freuen sie sich auch noch einer Art von Besuch; er
gilt zwar nicht eigentlich ihnen, aber sie werden doch
so mitgenommen. Wo aber blos Kunst zu haben ist,
wie in München, da nimmt der Besuch merklich ab,
und es mehren sich dort die Leute, die auf die Frage:
„Wo gefällt's Ihnen besser: im Glaspalaste oder in
der Sezession?" die Antwort haben: „Mir sind beide
gleich recht, denn ich gehe weder in die eine noch in
die andere." Trotzdem, wie gesagt, ist nicht zu hoffen,
daß die Ausstellungen eingehen oder sich irgendwie um-
wandeln werden. Im Gegentheil: es wird immer
massenhafter, immer jahrmarktmäßiger.
Es kann auch nicht anders sein. Kunst will sich
bethätigen, will wirken, will ein Stück Leben werden.
Da ihr dies heute nur selteu vergöunt ist, so möchte
sie weuigstens den Schein des Lebens gewinnen; und
dieses Scheinleben gewähren ihr die Ausstellungen.
Vielleicht würden es manche Künstler verschmähen,
den Schein für die Sache zu nehmen, aber es winkt,
wenn auch sehr von ferne, aus ihn: die Hoffnung,
er könne zur Wahrheit werden; realistisch gesprochen:
Sanguiniker erwarten Käufer. Hätten wir einen
Staat, der im großen Stile kunstfördernd sein könnte,
der sich nicht damit begnügte, Kunstregistratoren an-
zustellen, sondern vielmehr durch große Ausgaben
Verständniß für die Wahrheit bewiese, daß man
lebendige Kunst nicht als Museumsgarnitur sonderu
als Lebensfaktor pflegen muß, und hätten wir ferner
in genügender Menge reiche Privatleute, die es als
ein nobile okkeium und als werthvollstes Mittel zur
eigeueu Lebenserhöhung betrachteten, sich mit Kunst
zu umgeben, so würde die traurige Vortäuschung
eines Kunstlebens durch Masseuaufstapelung von
Kunstwerken von selbst verschwinden, und der feine
Kenner sowohl wie das Volk, aber das ganze Volk,
würden Kunst nur im Lebe:: selber genießen wollen,
dort, wo sich die Kunstwerke nicht in verwirrenden:
Nebeneinander zur Schau stellen, wie die Speziali-
 
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