Nr. 23
Die Kunst-Halle.
355
Der Künstler hat mit der ihm eigenen Schärfe des
Blickes die charakteristisch - menschlichen Züge des
Monarchen ersaßt und im Bilde festgehalten.
Die Münchener Ausstellungen,
von Gtto Julius Bierbaum.
II.
Allgemeine Betrachtungen.
ls ich eben znm zweiten Male auf dem Wege
zur „Sezession" war, fügte es sich, daß ich
einen Münchener Maler und königlich bayeri-
schen Professor, also einen Künstler traf, dem es nicht
an Erfolg und Anerkennung fehlt. Er hat sogar ab
und an die Ehre, bei Sr. Königlichen Hoheit dem
Prinzregenten Luitpold zu Tafel zu sein; denn es ist
in München Sitte, daß der Regent zuweilen hervor,
ragende Künstler einlädt, mit ihm zu speisen, wobei
denn wohl auch von Kunst geredet werden mag. Da
der Künstler, den zu treffen ich das Vergnügen hatte,
in: Allgemeinen auch von der Kritik mit Hochachtung
behandelt wird, und da er, zumal als Bildnißmaler,
auch bei der Gesellschaft hoher und klingender Schätzung
genießt, so sollte inan meinen, daß er persönlich des
Künstlers Erdenwallen am Stabe der Zufriedenheit
abfolvirt und keineswegs zu den Vielen gehöre, die
für das, was wir Kunstlebei: nennen, nur ein Stöhne::
und Achselzucken haben, weit gefehlt! Auch dieser
wohlgebettete Meister stöhnte beträchtlich. Gr meinte:
es sei ja Alles ganz gut und schön in Kunst und
Welt, und man käme ja wohl im Allgemeinei: ein
bischen vorwärts, aber eigentlich fange es an, ekel-
haft zu werde:: in der palnestrn nm8nrum; es wäre
kein Zug mehr, sondern ein Gewimmel; die Kunst
fange an, allzu gemein zu werden; man müßte erst
ein paar Hundert Maler umbringen, ehe wieder auf
ein fröhliches Schaffen der paar „wirklichen" zu
hoffen sei.
Das klingt nun wie das übliche Gemurre be-
drohten Würdesassenthums, und ich war nahe daran,
dem unzufriedenen Meister einige freundliche Vor-
haltungen zu machen: wie es doch nicht nett sei,
auf die Nachkonunenden und Mitstrebenden scheel zu
sehen, und wie man sich doch eigentlich freuen müsse,
daß die Saat, zu der man selber mit manchem guten
Wurfe beigetragen habe, nun auf vielen, wenn auch
fremden Aeckern aufgehe, und wie es ja schließlich
der Lauf der Welt sei, daß, wie Goethe sagt, „Jungens
immer geboren werden". Aber da fiel mir ein, daß
derselbe Goethe in seinem Alter einmal ähnlich ge-
murrt hat. Ich weiß den Wortlaut nicht mehr ganz
genau, aber es war ungefähr so: „Die Vielheit der
Poeten ruinirt die Poesie. Damals, als wir uns
an der Tafel der deutschen Litteratur niederließen, da
fanden wir einen reinen Tisch, — jetzt sitzen allzu
viele daran herum, als daß es ein Vergnügen wäre,
weiter mitzuthun. Und auch das Publikum achtet
nicht mehr mit der gleichen Antheilnahme auf das,
was ihn: in zu großer Fülle und allzu häufiger
Wiederholung geboten wird." Und der alte Goethe
hatte doch wirklich keine Ursache, sich vor der Kon-
kurrenz zu fürchten. So Große murren nicht aus
Angst. Sein Aerger hatte mehr als Stimmungs-
grund.
Ich behielt meine Vorhaltungen also für mich,
obwohl jener Meister nicht als ein Goethe der Malerei
gedeutet werden kann. Was bei ihm vielleicht nur
Stimmungsärger ist, bezeichnet doch den Zustand der
augenblicklichen Kunstentwickelung zu einem Theile
ganz richtig. Wir befinden uns in dem Stadium der
Mitläufer. Die schöne Zeit der Vorkämpfer ist vor-
über; die Masse ist in die Schlachtlinie gerückt; ja,
aus dem Trosse fuchteln schon manche mit. Daß es
dabei nicht mehr heroisch zugeht, versteht sich. Der
Kampf ist zu einem immer langsamer werdenden
Vorwärtswälzen geworden, und die Massen schieben
sich manchmal recht träge durcheinander. Wer bloß
so obenhin sieht, kann selbst meinen, es gehe gar nicht
mehr vorwärts, sondern die Schlacht stünde, ja, es
sei gar keine Schlacht mehr, sondern nur noch ein
Heerlager mit ein paar Marodeurgeplänkel::. Und
das ist ja richtig: der bisherige Feind, jene absolute
Widerstandsdumpfheit des deutschen Publikums, ist
geschlagen, — er fraternisirt sogar theilweise mit der
nachrückenden Masse, und es kommt nicht selten vor,
daß er sich ganz entzückt darüber geberdet, nieder-
geworfen zu sein.
Ich begreife, daß das denen, die allein gekämpft
haben, und nicht wie Helden, sondern wie Narren
und Wüthige behandelt worden sind, mißfällt. Aber
es wäre sehr schlimm, wenn sie deshalb wie erzürnte
Achillesse in ihren Zelten verschwänden. Sie dürfen
und sollen sich dem Kampfe nie entziehen, wenn sie
nicht mehr Kraft genug haben, Jenen hinter ihnen
leuchtende Muster zu sein. Sie sind jetzt nicht minder
nöthig als damals, da sie wie Könige allein kämpften.
Haben sie damals gekämpft, so müssen sie jetzt bauen,
für sich selbst und das Ganze. Es gilt jetzt Festungen zu
errichten, in denen man das Erworbene gegen die
Ueberwundenen schützt, die im Grunde noch nicht gar
fest gewonnen sind, und auch gegen die eigenen
Schaaren, die in: faulen Frieden entweder versumpfen
oder flach, übermüthig werden.
Ohne Bild gesprochen: Wir stehen in der Kunst
jetzt so, daß das, was noch vor Kurzem nur das
Wesen weniger in und aus sich selbst schöpferischer
Leute war, zum Gemeingut Vieler geworden ist, die
im Grunde ernten, ohne gesät zu haben. In dieser
Menge sind zweierlei Tendenzen. Einmal die, be-
Die Kunst-Halle.
355
Der Künstler hat mit der ihm eigenen Schärfe des
Blickes die charakteristisch - menschlichen Züge des
Monarchen ersaßt und im Bilde festgehalten.
Die Münchener Ausstellungen,
von Gtto Julius Bierbaum.
II.
Allgemeine Betrachtungen.
ls ich eben znm zweiten Male auf dem Wege
zur „Sezession" war, fügte es sich, daß ich
einen Münchener Maler und königlich bayeri-
schen Professor, also einen Künstler traf, dem es nicht
an Erfolg und Anerkennung fehlt. Er hat sogar ab
und an die Ehre, bei Sr. Königlichen Hoheit dem
Prinzregenten Luitpold zu Tafel zu sein; denn es ist
in München Sitte, daß der Regent zuweilen hervor,
ragende Künstler einlädt, mit ihm zu speisen, wobei
denn wohl auch von Kunst geredet werden mag. Da
der Künstler, den zu treffen ich das Vergnügen hatte,
in: Allgemeinen auch von der Kritik mit Hochachtung
behandelt wird, und da er, zumal als Bildnißmaler,
auch bei der Gesellschaft hoher und klingender Schätzung
genießt, so sollte inan meinen, daß er persönlich des
Künstlers Erdenwallen am Stabe der Zufriedenheit
abfolvirt und keineswegs zu den Vielen gehöre, die
für das, was wir Kunstlebei: nennen, nur ein Stöhne::
und Achselzucken haben, weit gefehlt! Auch dieser
wohlgebettete Meister stöhnte beträchtlich. Gr meinte:
es sei ja Alles ganz gut und schön in Kunst und
Welt, und man käme ja wohl im Allgemeinei: ein
bischen vorwärts, aber eigentlich fange es an, ekel-
haft zu werde:: in der palnestrn nm8nrum; es wäre
kein Zug mehr, sondern ein Gewimmel; die Kunst
fange an, allzu gemein zu werden; man müßte erst
ein paar Hundert Maler umbringen, ehe wieder auf
ein fröhliches Schaffen der paar „wirklichen" zu
hoffen sei.
Das klingt nun wie das übliche Gemurre be-
drohten Würdesassenthums, und ich war nahe daran,
dem unzufriedenen Meister einige freundliche Vor-
haltungen zu machen: wie es doch nicht nett sei,
auf die Nachkonunenden und Mitstrebenden scheel zu
sehen, und wie man sich doch eigentlich freuen müsse,
daß die Saat, zu der man selber mit manchem guten
Wurfe beigetragen habe, nun auf vielen, wenn auch
fremden Aeckern aufgehe, und wie es ja schließlich
der Lauf der Welt sei, daß, wie Goethe sagt, „Jungens
immer geboren werden". Aber da fiel mir ein, daß
derselbe Goethe in seinem Alter einmal ähnlich ge-
murrt hat. Ich weiß den Wortlaut nicht mehr ganz
genau, aber es war ungefähr so: „Die Vielheit der
Poeten ruinirt die Poesie. Damals, als wir uns
an der Tafel der deutschen Litteratur niederließen, da
fanden wir einen reinen Tisch, — jetzt sitzen allzu
viele daran herum, als daß es ein Vergnügen wäre,
weiter mitzuthun. Und auch das Publikum achtet
nicht mehr mit der gleichen Antheilnahme auf das,
was ihn: in zu großer Fülle und allzu häufiger
Wiederholung geboten wird." Und der alte Goethe
hatte doch wirklich keine Ursache, sich vor der Kon-
kurrenz zu fürchten. So Große murren nicht aus
Angst. Sein Aerger hatte mehr als Stimmungs-
grund.
Ich behielt meine Vorhaltungen also für mich,
obwohl jener Meister nicht als ein Goethe der Malerei
gedeutet werden kann. Was bei ihm vielleicht nur
Stimmungsärger ist, bezeichnet doch den Zustand der
augenblicklichen Kunstentwickelung zu einem Theile
ganz richtig. Wir befinden uns in dem Stadium der
Mitläufer. Die schöne Zeit der Vorkämpfer ist vor-
über; die Masse ist in die Schlachtlinie gerückt; ja,
aus dem Trosse fuchteln schon manche mit. Daß es
dabei nicht mehr heroisch zugeht, versteht sich. Der
Kampf ist zu einem immer langsamer werdenden
Vorwärtswälzen geworden, und die Massen schieben
sich manchmal recht träge durcheinander. Wer bloß
so obenhin sieht, kann selbst meinen, es gehe gar nicht
mehr vorwärts, sondern die Schlacht stünde, ja, es
sei gar keine Schlacht mehr, sondern nur noch ein
Heerlager mit ein paar Marodeurgeplänkel::. Und
das ist ja richtig: der bisherige Feind, jene absolute
Widerstandsdumpfheit des deutschen Publikums, ist
geschlagen, — er fraternisirt sogar theilweise mit der
nachrückenden Masse, und es kommt nicht selten vor,
daß er sich ganz entzückt darüber geberdet, nieder-
geworfen zu sein.
Ich begreife, daß das denen, die allein gekämpft
haben, und nicht wie Helden, sondern wie Narren
und Wüthige behandelt worden sind, mißfällt. Aber
es wäre sehr schlimm, wenn sie deshalb wie erzürnte
Achillesse in ihren Zelten verschwänden. Sie dürfen
und sollen sich dem Kampfe nie entziehen, wenn sie
nicht mehr Kraft genug haben, Jenen hinter ihnen
leuchtende Muster zu sein. Sie sind jetzt nicht minder
nöthig als damals, da sie wie Könige allein kämpften.
Haben sie damals gekämpft, so müssen sie jetzt bauen,
für sich selbst und das Ganze. Es gilt jetzt Festungen zu
errichten, in denen man das Erworbene gegen die
Ueberwundenen schützt, die im Grunde noch nicht gar
fest gewonnen sind, und auch gegen die eigenen
Schaaren, die in: faulen Frieden entweder versumpfen
oder flach, übermüthig werden.
Ohne Bild gesprochen: Wir stehen in der Kunst
jetzt so, daß das, was noch vor Kurzem nur das
Wesen weniger in und aus sich selbst schöpferischer
Leute war, zum Gemeingut Vieler geworden ist, die
im Grunde ernten, ohne gesät zu haben. In dieser
Menge sind zweierlei Tendenzen. Einmal die, be-