Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

DOI Heft:
Nr. 17
DOI Artikel:
Seidl, Arthur: Dredner Kunstbrief
DOI Artikel:
Ein Textil-Museum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0306

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
266

H Die K u n st - H a l l e. g>-<-

Nr. s?

Haupthallen — mit wenigen Ausnahmen — über dem Utili-
tätsprinzip fast ganz zu kurz gekommen — es brüllte nur
so in dieser betäubenden Vorführung von Zuchtexemplaren,
die mit denjenigen in landwirthschaftlichen Betrieben und
Viehzucht-Ausstellungen eine verzweifelte Ähnlichkeit besitzen,
je mehr Preise anch diesmal wieder ausgetheilt wurden.
„Die Masse muß es mit sich bringen!" Einzig in feinsinniger
Blumenbinderei ragt Sachsens Kunstübung entschieden her-
vor; aber auch hier wird man sich vor manchem kunstge-
werblichen Nonsens in Zukunft noch zu hüten haben!
Vr. Arthur Seidl.
Ein Textil - Museum.
Wiesbaden, im Mai.
d^er die herrliche Kurstadt besucht, versäume nicht, das von
Friedrich Fischbach geschaffene Textil-Museum,
welches im dortigen RathhausesSäle und einige Korridore füllt,
zu besichtigen. Denn diese interessante Sammlung bietet
vieles, was man selbst in den großen Hauptstädten ver-
geblich sucht. Am glücklichsten trifft man es, wenn der
Besitzer einen Vortrag hält, da der lebendige Kommentar
des freien Wortes jedem gedruckten vorzuziehen ist. Schaut
man doch gleichsam durch die Augen des Sammlers und
Kenners das, was Zeugniß gicbt von früheren Kultur-Ent-
wickelungen. Das Museum ist täglich von u bis Uhr
an Wochentagen Jedermann unentgeltlich geöffnet. Der
Besitzer trägt, wie wir erfuhren, diese Last, so wie die
Kosten für Stellvertretung, Reinigung, Heizung rc., weil er
erwartet, daß sich die Ueberzeugung Bahn bricht, daß ein
solches Museum (ähnlich wie eine Bibliothek für eine
Universität) absolut nothwendig für den Aufschwung des
Kunstgemerbes in jeglichem Distrikte ist. Da es zudem
das einzige größere, im Privatbesitze befindliche Textil-
museum ist, so zweifeln wir nicht, daß Wiesbaden oder
eine andere deutsche Stadt die Last eines solchen großen
Museumsbesitzes einem mäßig begüterten Privatmann ab-
nehmen wird, bevor derselbe genöthigt ist, es den: Auslande
zu überlassen.
wer solchen Sammlungen nach Sempers Werk „Die
textile Kunst" einige Beachtung schenkt, weiß, daß fünf
Sechstel der Gejammt - Ornamentik in ihr wurzelt, und
daß daher nicht nur diejenigen, die mit Geweben, Stickereien rc.
zu thun haben, sondern alle, welche sich für Wohnungs-
dekoration, Kleidung und Drucksachen, ja für die Kunst-
und Kulturgeschichte überhaupt interessiren, mit der Textil-
Grnamentik beschäftigen müssen. Da nnn Herr Fischbach seit
tsso ebenso sehr als entwerfender Grnamentist, wie als Lehrer
(Kunstgewerbeschuldirektor a. D.) und als Schriftsteller und
Herausgeber von Vorlage-Werken Spezialist auf diesem
Gebiete ist, so erreichte er, daß sein Museum relativ mehr
den Besuchern bietet, als die größeren Staatsmuseen. In
letzteren fehlt der genügende Raum, um in permanenter Aus-
stellung die Gruppen zu veranschaulichen, die nach historischen
Epochen und nach dem Material geordnet sind. In einer Stunde
orientirt man sich auf diesem großen Gebiete schneller in
Wiesbaden, als in vielen Wochen in anderen Museen, in
denen ein Kustos erst aus Schränken nnd Mappen das Ge-
suchte herausflnden soll. Da ein solches Museum die Illu-

stration der Vorträge bietet, ist alles unter Glas ausgestellt.
Jedem ist erlaubt, zu kopiren und Werke zu entleihen. An
den Donnerstagen finden unentgeltliche Vorträge für Jeder-
mann statt.
was Gottfried Semper im Jahre ^858 ahnte, nämlich
daß durch das Studium der Textilkunst der vergleichenden
Sprach- und Mythensorschuug eine wesentliche Unterstützung
erwachsen werde, scheint sich immer mehr zu bewahrheiten. . .
Bevor Schriftzeichen erfunden, blühte schon die Orna-
mentik, jedoch nicht als Zierform in unserem Sinne, sondern
als schöne Kultuszeichen, die Sagen bedeuteten, vor neun
Jahren entdeckte Fischbach die auffallendste Ähnlichkeit alt-
peruanischer Ornamente mit deutschen Leinen-
stickereien des Mittelalters. Der Schlüssel war nur
in uralten Kultuszeichen zu finden. Diese umfassenden
Studien, welche die wichtigsten Grundformen der Orna-
mentik besser wie bisher erklären, erscheinen vom Mai an
im „Kunstgewerbe-Gehilfen" in Stuttgart.
Dies vorausgeschickt, eröffnen wir nun eine Wanderung
durch das Museum. In dem reizenden Thurmzimmer des
von G. Hauberisfer gebauten Rathhauses befindet sich der
Fülle des Lichtes wegen die recht umfassende Spitzen-
sammlung, die jegliche Technik zeigt. Ferner ist dort eine
Auswahl der schönsten ostasiatischen Gewebe und Stickereien,
die selbst Exc. von Brandt, der ehemalige deutsche Gesandte
in Ehina, als vorzüglich bezeichnete. Vom historischen
Standpunkte beginnt der Vortragende zunächst mit der Er-
klärung der Eigenart der altperuanischen Textilkunst. Ist
diese auch konservativ bis zur Lrorberung Peru's durch die
Spanier geblieben, so zeigt sie doch eine Formsprache, die
weit vor der ägyptischen Kunst zurückliegt. Alle Orna-
mente werden als Symbole aus dem Feuer- und Sonnen-
kultus der Inkas erläutert. Aus den Gräberfunden des
Todtenfeldes Ancon bei Lima sehen mir in Originalen und
in täuschenden Abbildungen die Helden jener Zeit und selbst
einen Raucher. Virchow erfreute die Berichtigung, daß der
mit einem Federbusch auf einen: Ruhbett lagernde Inka
nicht ein Gefäß, sondern eine mächtige Tigarre am Mnnde
halte. Selbst der Rauch ist in Gobelintechnik vorzüglich
farbig dargestellt (eingewirkt).
Die zweite vorchristliche Abheilung betrifft die Gräber-
funde der Krimm aus Kertsch und die dritte die der im
heißen Sande gut konservirten Gewebe Aegyptens vom
5. Jahrhundert vor bis 6. Jahrhundert nach Thristus.
wenige Museen dürften diese Gruppe so großartig und
ausgewählt zeigen. I)r. Stern, der fünf Jahre in Aegypten
war und über Alt-Aegypten ein großes Werk herausgiebt,
gestand, daß er dort in keinen: Museum so gut geordnete, reich-
haltige Textilien Aegyptens gefunden, wir nennen noch kurz
die Pfahlbau-Gewebe aus Robbenhausen, die deutschen Köper-
stoffe aus den: 2. bis 3. Jahrhundert aus Mainz, ferner
die alexandrinifchen, byzantinischen und sarazenischen Ge-
webe; und ebenso flüchtig können wir an dieser Stelle die
italienischen, spanischen, flandrischen, niederrheinischen und
französischen, orientalischen und polnischen Brokate, Sammete,
Damaste und Teppiche nur andcuten. was nicht in Ori-
ginalen käuflich, aber kunstgeschichtlich größte Bedeutung
hat, wurde in Photographie rc. eingereiht. Lin erläuternder
Text wird an jeder Gruppe nach und nach die mündlichen
Mittheilungen, so weit wie möglich, ersetzen. Leider sind
die Räume etwas hoch gelegen und muß man an-
empfehlen, auf den drei Korridoren die Ausstellungen zu be-
 
Annotationen