Die Kunst-Halle — 1.1895/1896
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Nr. 17
DOI Artikel:Seidl, Arthur: Dredner Kunstbrief
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Nr: s7
Die Run st-Halle. s^>
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giebt nämlich bei solcher „Kollektion" den Grnndton an,
denn nicht auf das Wesen einer künstlerischen Erscheinung
für sich wird die Aufmerksamkeit konzeutrirt, sondern die
„Fülle der Gesichte" bis Zur Ueberfülle und geistigen Zer-
streuung wird gesammelt, der Schwerpunkt also von dem
Multum aus ein fatales Multa mit einem Male verlegt.
Das mag für den Veranstalter solcher Ausstellungen mit
Rücksicht aus den Zulaus und das Abonnement ja gewiß
sehr praktisch sein, denn es schlägt eine breite Brücke für
die weitesten, ost ganz kunstsremden Interessenten-Kreise, die
da zur „Sensation" berühmter Köpfe sich Herbeidrängen —
aber künstlerisch ist das eben nicht, denn der Stoff regiert,
ganz abgesehen noch davon, daß sich ja doch nie eine völlig
systematische und erschöpfende Uebersicht über ein solches
Gebiet Herstellen und gewinnen läßt. Darum: viäounk arti-
üo68, ne qniä äktrimsuki oaxiat ur8 pnblioL! Lin grausam
Unrecht würde man besagter Ausstellung freilich anthun,
wollte man ihr im Einzelnen nun die künstlerischen Ab-
sichten sowohl, als auch die idealen Wirkungen gänzlich ab-
sprechen, müßte sie doch nicht eine so stattliche Reihe der
größten und hervorragendsten, heimischen sowie fremden
Portraitmaler unserer Zeit — darunter den viel zu wenig
gekannten Franz Siebert-Dresden— enthalten haben!
Im „Kunstverein" hat sich die bekannte „Gesell-
schaft deutscher Aquarellisten" unlängst vorgestellt
und einen freundlichen, wenn auch nicht eben weltbewegenden
Eindruck hinterlassen, nebenher der köstliche Märchenhumo-
rist Hermann Vogel - Loschwitz mit seinen sinnigen,
lustigen Thier- und Nenscherizeichnungen Herz und Geist
von Alt und Jung über die Naaßen gelabet und erquickt
— der ist wahrlich nicht „Malepartus", der diesen Part
für sich erwählt! Line bei Richter hier soeben erschienene
Portraitsammlung bedeutender sächsischer Persönlichkeiten
aus Earl Mediz' charakterstarker Zeichnerhaud wird,
schon wegen ihrer künstlerischen Bedeutung, zur Zeit hier
viel besprochen. Endlich hat die — wie die Maueranschläge
der Dresdener Gartenbau- und der hiesigen Gewerbe-Aus-
stellung bis zur Beschämung eben wieder erweisen — noch
immer viel zu wenig grassirende „Plakat-Epidemie" durch
eine planvolle Vierteljahres-Ausstellung moderner Pla-
kate im „Kgl. Kupferstichkabinet" neue, nützliche
Nahrung erhalten. Ich sage „nützliche", dem: so fremd-
ländisch-verrückt der Anblick all' dieser meist großen, bunten
Papiertafeln denn ersten Eintritt den Neuling auf diesem
Gebiete auch berühren mag, der ausgezeichnete, geschmack-
voll ausgestattete offizielle Katalog dazu mit seinem gehalt-
vollen, in seiner ganzen Haltung so zielsicheren Vorwort aus
der sachkundigen Feder des neuen Direktors der Kupferstich-
sammlung, Prof. Lehrs, kann und wird zur Belehrung
wie Klärung in diesem Punkte sehr viel beitragen. Kein
Zweifel mehr, daß wir bereits begonnen haben, nicht nur
das Fremde mechanisch nachzuahmen, sondern nach Aneig-
nung seiner technischen Errungenschaften auf unser deutsches
Ligenwesen organisch selbstständig zu übertragen. Keine
Frage auch, nach diesen Proben, daß die Engländer, die ge-
borenen Helden kaufmännischer Reklame, dem Temperament
der farbennnruhigen Franzosen, dieser professionirten Aus-
schreier ihrer theatralischen Sensationen, im Plakatstyl be-
reits den Rang abgelaufen haben. Dem in seiner ver-
wirrenden Komxlizirtheit beinahe unklaren Lhöret z. B.
tritt die einfache Größe eines Greiffenhagen voll Kraft der
Fernwirkung unbedingt siegreich entgegen. Sieht man jene
französischen Plakatmeister, bei denen schier überall die alte
Frage: „Oü osk la kommo?" am Platze ist, so möchte man
in der That schon meinen, daß die schlüpfrige Frivolität
zum modernen Plakatwesen überhaupt unvermeidlich gehöre,
bis man sich dann freilich an der ruhigen Sicherheit der
Engländer erst überzeugt, daß das alles eben nur der Aus-
fluß einer Tingel-Tangel-Kultur ist, an der Frankreich, das
ja Paris vorstellte, nun einmal unheilbar zu kranken, an
die es für Zeit und Ewigkeit unrettbar verloren zu sein
scheint. Um uns kurz zu fassen: Die Franzosen sind reiz-
voller, die Engländer wirksamer; jene ziehen durch tolle
Farbe, diese durch die imxonirenden, dabei doch aber auch
rasch übersichtlichen Formen, den Beschauer festhaltend, ihr
Publikum so mächtig an. Deutsche Küustler mögen aus
Beiden lernen und an Solidität darüber hinauswachsen.
Aber welches Kgl. Kupferstichkabinet wohl bemüht sich so
gewissenhaft und auch erfolgreich, wie das Dresdener, um
die Volksbildung seiner Stadt und seines Landes im weitesten
Sinne?
Daß ein „wettin-Obelisk" kürzlich hier enthüllt
worden ist, Haber: Sie in einer knappen Notiz bereits ge-
meldet, ebenso wie bei jener Gelegenheit von der „Kunst-
halle" treffend auf die ungesunde Hast hingewiesen wurde,
welche mehr und mehr darin überhand nimmt, Denkmäler
noch zu Lebzeiten der gefeierten Persönlichkeiten zu errichten.
Die Dresdener sind nun einmal ein komisch Völkchen: erst
begehen sie festlich den Gedenktag 800jähriger Regierung
des Hauses wettin im Lande, und dann wieder, nach weiteren
7 Jahren, feiern sie die Einweihung von Denkmälern auf
ihre eigenen Gedenkfeiern! Rein künstlerisch betrachtet, er-
weckt das neue Denkmal jedenfalls kein rechtes Behagen.
Schon daß die wenig monumentale Barock-Ausbildung der
Gbeliskenform gewählt wurde, gereicht dein Monument als
Ganzen nicht eben sehr zum Vortheil; malerisch und archi-
tektonisch lassen zudem Plazirung wie Umgegend keine ganz
glückliche Stimmung anfkommen — es müßte denn das
deutliche Hinaufzeigen der einen weiblichen Figur uach den:
neuen Residenzschloß hinüber dies besorgen; und im plastischen
Haupttheil vollends steckt viel zu viel vou jenem lärmenden
Bum-bum-patriotismus, der in seinem hohlen Pathos der
Empfindung und seiner akademisch steifen Formengebung
von jeher im umgekehrten verhältniß zur Kunst und ihrer
idealen Wahrheit stand.
Sogar die eben eröffnete „Internationale Garten-
bau-Ausstellung" hat rechten Kunstfreunden arge Ent-
täuschungen bereiten müssen. Nicht nur giebt es viele,
welche der unbequemen, lästerlichen Ansicht huldigen, daß
die neu erbaute große Ausstellungshalle sofort bei dieser
Gelegenheit sich als unzulänglich erwiesen hat, wir keimen
auch lose Münder uud böse Mäuler genug, welche die ganze
Ausstellung bereits in „Azaleen-Ställe" oder in „Kafv-Aus-
stellung" umgetauft haben, von der Kunststadt München
wenigstens hat der Unterzeichnete wesentlich andere An-
schauungen über künstlerische Arrangements und ästhetische
Bedeutung von Blumen-Ausstellungen seinerzeit mit hierher-
gebracht. Der Eindruck des Lebendigen, die freie Gliederung
und Gruppirung in individueller Entfaltung des Blumen-
lebens, eine geschickte, sinnvolle Verwendung einheitlicher,
harmonischer Farbenwirkuugen, wirklich kunstsinnige Be-
nutzung des Wassers zu zwangloser Belebung der Pflanzen-
natur oder künstlerische Verkeilung von Licht und Schatten,
von Leichtigkeit und Schwere: all' dies ist in den großen
Die Run st-Halle. s^>
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giebt nämlich bei solcher „Kollektion" den Grnndton an,
denn nicht auf das Wesen einer künstlerischen Erscheinung
für sich wird die Aufmerksamkeit konzeutrirt, sondern die
„Fülle der Gesichte" bis Zur Ueberfülle und geistigen Zer-
streuung wird gesammelt, der Schwerpunkt also von dem
Multum aus ein fatales Multa mit einem Male verlegt.
Das mag für den Veranstalter solcher Ausstellungen mit
Rücksicht aus den Zulaus und das Abonnement ja gewiß
sehr praktisch sein, denn es schlägt eine breite Brücke für
die weitesten, ost ganz kunstsremden Interessenten-Kreise, die
da zur „Sensation" berühmter Köpfe sich Herbeidrängen —
aber künstlerisch ist das eben nicht, denn der Stoff regiert,
ganz abgesehen noch davon, daß sich ja doch nie eine völlig
systematische und erschöpfende Uebersicht über ein solches
Gebiet Herstellen und gewinnen läßt. Darum: viäounk arti-
üo68, ne qniä äktrimsuki oaxiat ur8 pnblioL! Lin grausam
Unrecht würde man besagter Ausstellung freilich anthun,
wollte man ihr im Einzelnen nun die künstlerischen Ab-
sichten sowohl, als auch die idealen Wirkungen gänzlich ab-
sprechen, müßte sie doch nicht eine so stattliche Reihe der
größten und hervorragendsten, heimischen sowie fremden
Portraitmaler unserer Zeit — darunter den viel zu wenig
gekannten Franz Siebert-Dresden— enthalten haben!
Im „Kunstverein" hat sich die bekannte „Gesell-
schaft deutscher Aquarellisten" unlängst vorgestellt
und einen freundlichen, wenn auch nicht eben weltbewegenden
Eindruck hinterlassen, nebenher der köstliche Märchenhumo-
rist Hermann Vogel - Loschwitz mit seinen sinnigen,
lustigen Thier- und Nenscherizeichnungen Herz und Geist
von Alt und Jung über die Naaßen gelabet und erquickt
— der ist wahrlich nicht „Malepartus", der diesen Part
für sich erwählt! Line bei Richter hier soeben erschienene
Portraitsammlung bedeutender sächsischer Persönlichkeiten
aus Earl Mediz' charakterstarker Zeichnerhaud wird,
schon wegen ihrer künstlerischen Bedeutung, zur Zeit hier
viel besprochen. Endlich hat die — wie die Maueranschläge
der Dresdener Gartenbau- und der hiesigen Gewerbe-Aus-
stellung bis zur Beschämung eben wieder erweisen — noch
immer viel zu wenig grassirende „Plakat-Epidemie" durch
eine planvolle Vierteljahres-Ausstellung moderner Pla-
kate im „Kgl. Kupferstichkabinet" neue, nützliche
Nahrung erhalten. Ich sage „nützliche", dem: so fremd-
ländisch-verrückt der Anblick all' dieser meist großen, bunten
Papiertafeln denn ersten Eintritt den Neuling auf diesem
Gebiete auch berühren mag, der ausgezeichnete, geschmack-
voll ausgestattete offizielle Katalog dazu mit seinem gehalt-
vollen, in seiner ganzen Haltung so zielsicheren Vorwort aus
der sachkundigen Feder des neuen Direktors der Kupferstich-
sammlung, Prof. Lehrs, kann und wird zur Belehrung
wie Klärung in diesem Punkte sehr viel beitragen. Kein
Zweifel mehr, daß wir bereits begonnen haben, nicht nur
das Fremde mechanisch nachzuahmen, sondern nach Aneig-
nung seiner technischen Errungenschaften auf unser deutsches
Ligenwesen organisch selbstständig zu übertragen. Keine
Frage auch, nach diesen Proben, daß die Engländer, die ge-
borenen Helden kaufmännischer Reklame, dem Temperament
der farbennnruhigen Franzosen, dieser professionirten Aus-
schreier ihrer theatralischen Sensationen, im Plakatstyl be-
reits den Rang abgelaufen haben. Dem in seiner ver-
wirrenden Komxlizirtheit beinahe unklaren Lhöret z. B.
tritt die einfache Größe eines Greiffenhagen voll Kraft der
Fernwirkung unbedingt siegreich entgegen. Sieht man jene
französischen Plakatmeister, bei denen schier überall die alte
Frage: „Oü osk la kommo?" am Platze ist, so möchte man
in der That schon meinen, daß die schlüpfrige Frivolität
zum modernen Plakatwesen überhaupt unvermeidlich gehöre,
bis man sich dann freilich an der ruhigen Sicherheit der
Engländer erst überzeugt, daß das alles eben nur der Aus-
fluß einer Tingel-Tangel-Kultur ist, an der Frankreich, das
ja Paris vorstellte, nun einmal unheilbar zu kranken, an
die es für Zeit und Ewigkeit unrettbar verloren zu sein
scheint. Um uns kurz zu fassen: Die Franzosen sind reiz-
voller, die Engländer wirksamer; jene ziehen durch tolle
Farbe, diese durch die imxonirenden, dabei doch aber auch
rasch übersichtlichen Formen, den Beschauer festhaltend, ihr
Publikum so mächtig an. Deutsche Küustler mögen aus
Beiden lernen und an Solidität darüber hinauswachsen.
Aber welches Kgl. Kupferstichkabinet wohl bemüht sich so
gewissenhaft und auch erfolgreich, wie das Dresdener, um
die Volksbildung seiner Stadt und seines Landes im weitesten
Sinne?
Daß ein „wettin-Obelisk" kürzlich hier enthüllt
worden ist, Haber: Sie in einer knappen Notiz bereits ge-
meldet, ebenso wie bei jener Gelegenheit von der „Kunst-
halle" treffend auf die ungesunde Hast hingewiesen wurde,
welche mehr und mehr darin überhand nimmt, Denkmäler
noch zu Lebzeiten der gefeierten Persönlichkeiten zu errichten.
Die Dresdener sind nun einmal ein komisch Völkchen: erst
begehen sie festlich den Gedenktag 800jähriger Regierung
des Hauses wettin im Lande, und dann wieder, nach weiteren
7 Jahren, feiern sie die Einweihung von Denkmälern auf
ihre eigenen Gedenkfeiern! Rein künstlerisch betrachtet, er-
weckt das neue Denkmal jedenfalls kein rechtes Behagen.
Schon daß die wenig monumentale Barock-Ausbildung der
Gbeliskenform gewählt wurde, gereicht dein Monument als
Ganzen nicht eben sehr zum Vortheil; malerisch und archi-
tektonisch lassen zudem Plazirung wie Umgegend keine ganz
glückliche Stimmung anfkommen — es müßte denn das
deutliche Hinaufzeigen der einen weiblichen Figur uach den:
neuen Residenzschloß hinüber dies besorgen; und im plastischen
Haupttheil vollends steckt viel zu viel vou jenem lärmenden
Bum-bum-patriotismus, der in seinem hohlen Pathos der
Empfindung und seiner akademisch steifen Formengebung
von jeher im umgekehrten verhältniß zur Kunst und ihrer
idealen Wahrheit stand.
Sogar die eben eröffnete „Internationale Garten-
bau-Ausstellung" hat rechten Kunstfreunden arge Ent-
täuschungen bereiten müssen. Nicht nur giebt es viele,
welche der unbequemen, lästerlichen Ansicht huldigen, daß
die neu erbaute große Ausstellungshalle sofort bei dieser
Gelegenheit sich als unzulänglich erwiesen hat, wir keimen
auch lose Münder uud böse Mäuler genug, welche die ganze
Ausstellung bereits in „Azaleen-Ställe" oder in „Kafv-Aus-
stellung" umgetauft haben, von der Kunststadt München
wenigstens hat der Unterzeichnete wesentlich andere An-
schauungen über künstlerische Arrangements und ästhetische
Bedeutung von Blumen-Ausstellungen seinerzeit mit hierher-
gebracht. Der Eindruck des Lebendigen, die freie Gliederung
und Gruppirung in individueller Entfaltung des Blumen-
lebens, eine geschickte, sinnvolle Verwendung einheitlicher,
harmonischer Farbenwirkuugen, wirklich kunstsinnige Be-
nutzung des Wassers zu zwangloser Belebung der Pflanzen-
natur oder künstlerische Verkeilung von Licht und Schatten,
von Leichtigkeit und Schwere: all' dies ist in den großen