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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 2
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Oettingen, Wolfgang von: Die Fortschritte der "Modernen"
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Stahl, Fritz: Die Maler von Worpswede
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0033

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Nr. 2

Die Kunst-Halle. g--«—

worrenheit, in: Vertrauen aus den naturnothwendigen,
aber nie zu überhastenden Fortschritt, an diesen wich-
tigsten Fragen mitzuarbeiten.


Die Maler von Worpswede,
von Fritz Stahl.

^T^er Grsolg, den die Maler von Worpswede aus
2^/ der heurigen Zahresausstellung in: Münchener
Glaspalast errangen, bat in der Geschichte der
neueren Kunst nicht seinesgleichen. Kommen da ein
paar junge Leute daher, dereu Nameu Niemand
kennt, aus einem Ort, dessen Namen Niemand kennt,
und man giebt ihnen nicht nur einen der besten Säle,
sondern der eine erhält die große goldene Medaille
und dein wideren kaust die neue Pinakothek ein Bild
ab. Für den, der irgend weiß, wie ein Künstler zu
solchen Ghren sonst nur durch langjähriges Streben
und gute Verbindungen kommen kann, ist das eine
so sabelhaste Sache, daß er sie nicht glauben würde,
hätte er sie nicht selbst erlebt. Niemals ist eine
Wahrheit so unwahrscheinlich gewesen.
Der Grsolg war verdient, ich habe nicht gehört,
daß sich eine einzige Stimme dagegen erhoben hätte.
Gr war, was er eigentlich immer sein sollte, nur der
äußere Ausdruck sür die Stimmung aller Wissenden.
Gs ist möglich, daß die Bilder der Worpsweder
ihre tiese Wirkung auch der Neuheit der Motive ver-
dankten. Aber es ist salsch, diese Ursache als die erste
zu bezeichnen. Was man zunächst empsand, war,
daß hier die Natur aus erster Hand gegeben wurde,
daß von keinerlei Ginfluß die Nede war. Die Motive
waren, äußerlich genommen, denn doch wohl zu
dürstig, um besonderes Aussehen zu erregen, „Hütten"
oder „Brücken im Moor", ein „Gottesdienst im
Freien", eine Frau mit dem „Säugling". Aber es war
so merkwürdig gesehen, so gar nicht mit den Augen
des Städters, dem solche Dinge seltsam erscheinen.
Akan fühlte eine große andächtige Empfindung
heraus, ein heiliges Grbeben vor der Urkraft der
Natur. Zch habe kaum etwas gesehen, was so ohne
Nücksicht auf den Gffekt gemacht war. Selbst die
naiven Skandinavier erschienen rassinirt dagegen.
Namentlich in Fritz Mackensen's „Säugling" und
in den sarbenglühenden Landschaften Otto Moder-
sohn's kam das heraus.
In allein siel eine gewisse Schwere und Derb-
heit aus, das Fehlen der Schule. Nicht nur, was sie
gabeu, die Anschauung, auch wie sie es gaben, die
Technik, erschienen als ihr eigenstes Gigenthum, selbst
erworbenes Gut. Diese Künstler mußten aus dieser
Natur herausgewachseu sein. Was sür Menschen

mochten das sein, die diesen Dornenweg zum Künstler-
thum gewählt hatteu in einer Zeit, wo überall sreund-
liche Leute aus bequemen Chausseen zum Ziele zu
sichren versprechen? Was sür eine Natur mochte
das sein, die so zu sesseln uud zu erheben vermochte?
Nur eine Fahrt nach Worpswede konnte aus
diese Fragen die Antwort geben.
Vom Weserbett östlich, viele Meilen in's Land
hinein, dehnt sich das Moor. Von der Geest her, der
Küste des Urmeers, schiebt sich durch die Marschen
der Hamme der flache Sandhügel des Weyerberges
bis zu seinen: Nande vor. Am Abhang des söhren-
bestandenen Berges, zwischen den grünen Marschen
und dem braunen Moor, liegt Worpswede.
Freundlich leuchten die Däuser des Dorfes mit dem
-blauen Fachwerk und den rothen Ziegeln, mit den:
hellgrünen Moos aus den dunklen Strohdächer::
zwischen schönen Baumgruppen oder zwischen reihen-
weise gepflanzten silberstämmigen Birken hervor.
Zn: Dors selbst ist noch an: ehesten die Nede
von den:, was Alltagsmenschen eine „schöne Land-
schaft" nennen. Unsere Künstler aber duldet es hier
selteu, ihre große Liebe, ihr uuerschöpslicher Motiven-
schatz ist das Moor.
Das Moor! Gine eudlose Gbeue, mit braun-
grünen: Kraut bewachsen. Schnurgerade Straßen
durchziehen es und schnurgerade Kanäle, an deren
Nändern Birken stehen, eigenartige knorrige Birken,
deren weiße Stämme seltsam gegen den dunklen
Boden abstechen, Hier und da eine Hütte in den-
selben bunten Farben wie die Häuser des Dorses.
Hier und da eine Brücke, deren Holz gelbgrüne
Flechten färben. Schwarzbraune Torfstiche liegen
darin, deren Wände in der Sonne mit vielsarbigen
Reflexen sich beleben. Aus deu Kanälen braune
Schiffe, mit Tors beladen, von Männern in blauen
Hemden mühsam gezogen. Am Horizont tauchen
braune Segel aus, die aus der Hannus dahiuziehen.
Ich kann nur denken, daß, wen ein Zusall in
diese Landschaft sührt, ihr schleunigst entflieht. Und
doch ist sie nur scheinbar eintönig: den:, der zu sehen
gelernt hat, thut sich eine Welt von Formen, Farben
und Stimmungen aus. Zch kenne Landschaften, die
poetischer sind, keine, die so ausgesprochen malerisch
ist, eine solche Fülle von Bildern bietet.
Was ich beschrieb, ist nur der todte Stoff. Was
diesen: Stoff ein Leben von unendlicher Mannig-
saltigkeit verleiht, ist die Lust, eine weiche flimmernde
Lust, welche die Limen verwischt und die Farben
heraushebt. Der scharse böige wind, der saft
ständig herrscht, treibt die Wetter schnell über die
Gbene hin: der Himmel giebt fortwährend die
wunderbarsten Schauspiele. Der weite Horizont läßt
jede Stimmung schärfer und klarer zum Ausdruck
kommen.
 
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