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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 8
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Zimmern, Helen: Leonardo Bistolfi
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Wiener Kunstbrief
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N8

—Die K u u st - Ls a l l e.

Nr. 8

Ausdruck eiues persönlichen Willens, iu deu leer-
blickeudeu Augeu liegt eiue tiefe Ruhe, gleich der
unserer Nächte. Und die Todtenblumen, welche sich
iu lebendigem Durcheinander in Gestalt von Mohn
und Chrysanthemum am Sockel emporschlingen und
dann allmälig höher steigen, werden oben, wo sie die
Schulter der Figur berühren, zu Lilien, diesen kalten,
leblosen, fast Sternen ähnlichen Blüthen."
Dies hier war das Gypsmodell der für den Fried-
hof zu Cuneo in Marmor ausgeführten Kolossal-
Statue, und ich fühlte mich so davon ergriffen, daß
ich nicht ruhte, bis ich mich mit allen Arbeiten des
Schöpfers derselben bekannt gemacht hatte. Leonardo
Bistolfi ist jung, so daß wir noch viel Schönes von
seiner bildnerischen Kraft erwarten dürfen. Er ward
s859 in Casale Monferrato als Sohn eines tüchtigen
Holzbildhauers geboren, der mit sechsundzwanzig
Jahren schon starb. Als Leonardo noch ein Kind
war, zeigte sich bereits, daß er seines Vaters Talent
geerbt hatte, und seine Vaterstadt versorgte ihn mit
den nöthigen Mitteln zum Studimn auf der Akademie
von Mailand. In dieser Stadt arbeitete er vier
Jahre lang, dann ging er nach Turin, wo er den
ersten Auftrag erhielt und einen „Engel des Todes"
modellirte, welches weit über den blos geschickten
und konventionellen Leistungen stehende Bildwerk so-
fort die bedeutende und originelle Begabung des
Künstlers erkennen ließ. Obwohl Bistolfi sehr zum
Symbolismus, einer in Italien nur wenig vertretenen
Richtung, neigt, zeichnete er sich in seinen ersten Ar-
beiten durch vollendete Naturwahrheit aus. Doch
selbst seinen gewöhnlichsten Alltags-Motiven, die er
genau nach dein Leben modellirt hat, ist der Stempel
des Genies ausgeprägt. Bei einer Gruppe von
Wäscherinnen, wie man sie häufig in Italien an den
Flußufern hantiren sieht, waren die Situation und
das Moment der Körperbewegung so lebendig und
packend charakteristisch behandelt, daß die Jury der
promotrice - Ausstellung dem Werke die Aufnahme
versagte. Dieser scheinbare Mißerfolg diente aber in
Wirklichkeit dazu, Bistolfi mit einem Schlage berühmt
zu machen, denn nun gelangte die Wäscherinnen -
Gruppe in das Schaufenster eines Kunstladens und
wurde zum Gespräch des Tages. Vier Jahre später
ist das Werk in Bronzeguß für die Ausstellung an-
genommen worden. Von seinen beiden nächsten
Schöpfungen „Ardens Larvae" und „Die Liebenden"
ist letztere gleichfalls in Turin f88^ ausgestellt ge-
wesene Gruppe kaum geeignet, allgemein zu gefallen,
obgleich der Künstler sich darin als ein Meister
psychologischer Beobachtung zeigt.
Für einen Künstler von dem poetischen Gemüth
Bistolfi's hat natürlich auch das friedlich stille Leben
auf den: Lande viel Anziehendes, wovon drei zart
empfundene Gruppen zeugen — „II Crumouto«,
„Vsi Oumpi" und „CiovG, deren eine („kiovsch der
italienische Staat angekauft hat. Die Neigung zur

ländlichen Idylle wich indessen anderen Phasen, wie
überhaupt ein Künstler, der erst mit Kopf und Lserz
und dann mit den fänden arbeitet, mancherlei Wand-
lungen durchmachen muß, ehe er sein spezielles Feld ent-
deckt. Aus Bistolfi's geistigem und seelischem Empfinden
ging eben jene „Sphinx" hervor, das oben erwähnte
Grabdenkmal der Familie Pansa in Cuneo (vergl.
die Abbildung). Auf diesem Werk beruht sein künst-
lerischer Nus als Bildhauer-Philosoph, als Symbolist
des Metaphysischen.
Zu den nächst der „Sphinx" am meisten be-
wunderten Skulpturen Bistolfi's gehört ein Grabmal
auf dem Friedhof in Casale zum Gedächtniß eines
Familienvaters mit drei Kindern, deren Bildnisse in
Basrelief auf den Feldern eines Triptychon's ge-
meißelt sind, während eine rund modellirte Figur,
welche ein lebendes Kind darstellt, Blumen streut.
„Cu äsllu Norto", nennt Bistolfi ein
Monument, welches ihm selbst das liebste unter seinen
Denkmälern ist. Dasselbe ist, in Borgo San Dalmazzo
bei Cuneo, dem als einem der drei Erbauer des
Mont Cenis-Tunnels berühmten Ingenieur Sebastiano
Grandis gesetzt und giebt in allegorischer Darstellung
dem Gedanken Ausdruck, daß ein Genie nicht wirklich
stirbt, da seine Werke fortleben, wie sein Andenken
bei den Menschen. Die ebenfalls allegorisch behan-
delte Büste des Signor Luigi Ney aus Piemont vor-
der von demselben errichteten Schule in Vinovo ist
umrankt von dein Baume des wissens, den er für
die Kinder der Gemeinde gepflanzt hat. Mit seiner
jüngsten Schöpfung zeigt sich Bistolfi aus einen: ihn:
ganz neuen Gebiet. Er hat die Skulpturen für einen
der in Mber-Italien so häufig gesehenen Kalvarien-
berge ausgeführt und dabei mit dem Verständniß des
Genies für Zweck und Umgebung des Gegenstandes
diesen über das Niveau des Alltäglichen hinaus ge-
hoben, ohne ihn irgendwie dem naiven Glauben der
schlichten Landleute zu entrücken, für deren Andachts-
übung das Werk bestimmt ist. . .
So ersaßt Bistolfi, der zugleich mit den: Auge
des Künstlers und den: sinnenden Blick des Poeten
und Denkers in das Leben schaut, dessen schöne, wie
interessante Seiten, unbewußt Goethe's Wort er-
füllend :
„Greift nur hinein in's volle Menschenleben!
Lin Jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
Und wo Ihr's packt, da ist's interessant.
L
Wiener Kunfkbrref.
Kollektiv-Ausstellungen im Künstlerhause.

(DAei der Summe von Bildern verschiedenartigster Indi-
vidualitäten, welche große Kunstausstellungen alljähr-
lich bringen, hat der Kritiker einen schweren Stand. Kaum
 
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