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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Im Salon Schulte
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-^--s Die Kunst-Halle.

Nr. f

Im Salon Schulte.
er vornelnne Salon an: Pariserplatz eröffnet den
Neigen der diesmaligen Herbstausstellungen
Berlins. Er schickt wohl ein halbes hundert
Künstler ins Treffen, die mit recht tüchtigen Leistungen
den Wettkampf beginnen, indem sie dem neugierigen,
aber anspruchslosen Bilderbeschauer nicht wenig bieten,
worüber sich später in Gesellschaft angenehm
plaudern läßt. Air die Kritik sind indeß nur die
wirklich interessanten und neuen Physiognomien da,
an denen es zum Glück auch keineswegs fehlt.
So ist eine entschieden werthvolle Bekanntschaft der
Franzose Tagniart, dessen vierzig Pastelle das eine
Kabinet völlig füllen. Tagniart uralt Paris. Das
unterscheidet ihn scheinbar nicht, denn Paris giebt
vielen französischen Malern die Stoffe zu ihren
Bildern, von den allen man das Gleiche zu sagen
pflegt. Und doch hat er mit diesen allen von dem
eleganten Gervex, der die schöne Welt der vills
üimiäre, bis zu dein derben Naffaeli, der ihre
Proletarier malt, nichts gemein. Bei ihnen spielen
die Menschen die Hauptrolle; die Heldin des Merkes
von Tagniart ist die Stadt. Sie ist ihn: ein
mächtiges Mesen, in dessen Leben die Menschen keine
größere Nolle spielen als irgend andere Dinge, die
Nolle von Farbenflecken. Man kann, wenn inan
diese Bilder gesehen hat, von keinen: anderen mehr
als von ihren: Meister sagen: er malt Paris. Er ist
der Erste, der die eigenartigen Farbenstimmungen
einer modernen Großstadt empfunden hat, ü: einer
Zeit, wo die Meiste:: auf das Land flüchte:: und die
Stadt unmalerisch schelten. Seine feine und gewandte
Technik reicht gerade aus, um seine Empfindungen
und Eindrücke in runder Form mitzutheilen. Aber es
ist fast noch mehr Verheißung als Erfüllung in ihn:,
er zeigt ein unermeßliches Gebiet, aus dem andere
Kräfte auch ganz andere Dinge herausholen können.
Er hat eigentlich nur eine Art von Stimmungen, die
hübschen; was ihm ganz fern liegt, sind die gewaltigen.
Kaun: ein einziges seiner Blätter zeigt Helles Tages-
licht, das ist also auch in Paris wohl unmalerisch:
aber alle Zwielichte sind vertreten, die Dämmerungen
des Herbsttags und des Schneegestöbers, des Morgens
und des Abends, wenn noch oder schon die Laternen
brennen. Die Laternen spielen überhaupt eine große
Nolle, die rothen des Nonlin ronZs, die bunten der
Omnibusse, die auf den sonst so eintönigen Macadam
zauberische Reflexe malen, und die einfachen weißen,
die mit huschenden: Licht über die Dinge hinfahren.
Sie verrichten sa auch Wunderdinge, diese Laternen,
so, wenn sie aus einer Affichenwand, die an: Tage
in grellen: Bunt leuchtet, ein harmonisches Farben-
spiel machen. Aber Tagniart malt auch die Sonne,
wenn auch nur in den: Augenblick, da sie noch die
sechsten Etagen vergoldet, während die Straße unten

schon dunkel liegt. Das großartigste Blatt vielleicht
ist die Ausfahrt des Bahnhofs, aus dessen bedeckten
Hallen sich die Züge herausschlängeln. — Berlin hat
seinen Maler noch nicht gefunden. Vielleicht über-
zeugt Tagniart unsere Künstler, daß hier ein reicher
Schatz von Motiven verborgen liegt: die Stimmungen,
die er giebt, hat auch Berlin. —
Z. T. Taz in, der hochberühmte, hat zwei Land-
schaften gesandt, die an seinen: Nuhn: gemessen kann:
zu seinen besseren Arbeiten gehören dürften. Hält er
wie viele seiner Landsleute, die in der großen Aus-
stellung vertreten waren, für das preußische Berlin
auch die geringeren für gut genug? Es giebt ja
wirklich bei uns Leute, die von allein Fremden und
gar vor einen: „berühmten" Franzosen in Ehrfurcht
verstummen. Aber die Zielbewußten stehen jetzt auf
den: anderen Standpunkt, daß gerade von den:
Fremden uns nur das Beste gut genug ist. Tazins
„Kanal von Artois" ist nichts destoweniger ein fein
gestimmtes Bild. Die stille Frohheit, der feierliche
Glanz der Spätsommersonne ist schön zum Ausdruck
gekommen. Das ist viel, aber das können deutsche
Künstler an: Ende auch. Das kann nicht eines von
den Werken sein, die Tazin allein zu schaffen vermag,
an denen sein Nuhn: hängt; und das muß ausge-
sprochen werden, damit das allgemeine Nrtheil nicht
gefälscht wird. Von Nenü Bilotte, dessen Platzan-
sicht mit der „Notre-Dame" mancherlei Vorzüge be-
sitzt, kann man übrigens ähnliches sagen.
Unter den Berliner Künstlern fällt Benedix
passig auf. Wenn nicht alles trügt, entwickelt sich
hier eine Persönlichkeit. Es ist etwas Unreifes,
Schwerfälliges in seinen Bildern: nicht nur in der
harten, unerfreulichen Farbengebung, sondern in der
undeutlichen, manchmal sogar schiefen Art, wie er
seine Zdeen ausdrückt. Man hat die Empfindung,
einen „Einsam'" vor sich zu haben, den niemand lehrt
und dein niemand räth, der vielleicht auch Lehre und
Nath verschmäht. Einen, dessen Seele leicht fliegt,
und dessen Leib schwer sich schleppt, von jenen
Künstlern einen, die in Schmerzen schaffen. Das
Bild, das mir an: deutlichsten das verräth, heißt „die
Künste". Es enthält eine bittere Satire. Ein Käfig. Auf
einer Erhöhung steht trübselig mit gesenkten Flügeln
Pegasus, neben ihn: hockt, die Leier in: Arm, ein
sphinxartiges Wesen. Das Weib scheint mit dirnen-
haftem Lächeln den Mäcen zu locken, den: vorn der
Thierbändiger die Künste der beiden Wesen da oben
erzählt. Der Ausdruck in den Köpfen, besonders in
dem namenlos brutalen des Bändigers, ist von
schlagender Kraft. — Man muß jedenfalls den jungen
Künstler im Auge behalten.
V. 8t.
 
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