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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 3
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Eller, George: Die fünfte Jahresausstellung der englischen Porträtisten
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Wiener Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0052

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§0

Die

Kunst - pal 1L

Dr. Z

Ich kann diesen kurzen Bericht nicht schließen, ohne
die deutschen Künstler auszusordern: Erstens, sich im
nächsten Jahre an der Ausstellung der Porträtisten in
London recht zahlreich zu betheiligen, und zweitens, sich
darüber zu berathen, ob es nicht gut und nützlich wäre,
in Deutschland eine ähnliche Herbstausstellung zu veran-
stalten.


wiener Nunstbrief.
Im M e st err e i ch i sch e n Kunst-Verein steht die
Sensation obenan. Da kamen der Reihe nach Diesen-
bach, der Religionsmystiker und Malerphilosoph, der neben
einem Lyclus seiner eigenthümlichen Tendenzgemälde auch
seine Person zur Ausstellung bringen mußte, I. Koppay,
der leichtfertig-oberflächliche und doch poesiereiche palb-
moderne, Otto Sinding mit seinen nordischen Farben-
rauschorgien, Permann pendrich mit seinen mystisch-
fantastischen Farbendichtungen, und nun kommt ein ehr-
licher, echter Pariser, I. Spiridon, dessen Gemälde in
einem Theile Europas und namentlich in Nordamerika be-
deutendes Aufsehen erregten. Die wirklich große Kunst
hält aber nur selten Eingang in die Räume des Kunst-
vereins, sie läßt meist an den Pforten der sicherer aus-
tretenden, sorglosen Loquotten - Königin Sensation den
Vortritt.
„Sappho", das größte der von Spiridon im Kunst-
verein ausgestellten Bilder, ist nicht nur das Bild eines
Parisers, es ist auch ein pariser Bild. Sujet und Behand-
lung sind von jener blendenden Ligenthümlichkeit, deren
Erfolg mehr dem Schaustück als der künstlerischen Schöpfung
gilt. Man würde vielleicht irren, wenn man die wirkungsvolle
Anordnung der Farben, die überraschende, diskrete und
elegante Abtönung der Kontraste, die feine Findigkeit in
Lichteffekten einem zielbewußten geklärten Kunstverstande zu-
schreiben würde, weit eher könnte man behaupten, hier
habe die leichtgeschürzte Phantasie den Pinsel geführt und
mit dein eigenen Glück und der seltsamen Sicherheit der
Sorglosigkeit die pand über die schwierigsten Klippen des
Kunsttechnischen hinweg geleitet. Spielend, könnte man
sagen, denn man sieht es dieser Arbeit an, daß sie nicht
im Schweiße geschaffen wurde. Alles an diesem Bilde ist
oberflächlich — auch seine Wirkung, alles graziös, be-
strickend und nur scheinbar in hohem Naße künstlerisch.
Sappho ist nach einem Daudet'schen Roman entstanden:
„Daudet erzählte dem Künstler den Vorwurf seines Romans
„SappHD und schilderte ihm das erste Kapitel, in welchem
die peldin srüh Morgens vom Maskenball heimkehrt.
Daudet und Spiridon sahen einander dann einige Zeit nicht,
Spiridon stellte die heimkehrende Sappho dar, wie sie sich
in seiner Phantasie gestaltet hatte, der Roman Daudet's
aber war mittlerweile veröffentlicht worden — der Dichter
und der Maler variirten in dein für die peldin gewählten
Maskenkleide, aber in der inneren Auffassung des gefähr-
lichen schönen Weibes dürften sie sich kongenial erwiesen
haben ..."
Soweit der Katalog, wie hat der Maler nun dieses
Weib dargestellt? Sie tänzelt über die Marmorstufen herab;
die rechte Band hält das Kleid — eigentlich eine bloße

Schleppe —; die linke hält die Maske, die sie eben vom
Gesicht genommen. Man kann sich des Eindruckes nicht
erwehren, daß das wichtigste an ihr die Pose ist, die sie
einnimmt. Ls liegt in ihr mehr eine glückliche Lharakteri-
sirung des Typus, als des Individuums. Das Bild trägt
viel Spezifisches au sich, aber wenig Eigenartiges, es ist
die Pariser Grisette, wie sie leibt und lebt. Aber sie ist
mit achtungswerthem Können auf die Leinwand gebannt.
Der Künstler ist ein mehr scharfer Beobachter als ein
liebenswürdiger. Dieses Weib ist nicht schön, aber es ist
aufregend. Das Unregelmäßige im Gesichte, über dessen
Züge sich auch nicht ein Schiminer verklärter Anmuth
breitet, dessen rothe, volle, blühende, beinahe wulstige Lippen
brutale Sinnlichkeit athmen, hat etwas Ungeschlachtes in
seinem Wesen und erscheint dennoch berückend. Das Weib
mit dem ewig unverstandenen, süß - geheimnißvollen Zauber
eures Seelenlebens tritt hier zurück gegen das Weib, dessen
unwiderstehliche Macht die sinnliche Verkörperung seines
Geschlechtes ist. So ist diese Phryne im Ballkleide bei
aller Glattheit und Süßlichkeit in der Behandlung des
Technischen ein realistisches Bild. Es wirkt mit mehr fein
berechneten, als feinen Mitteln auf die Sinne und man be-
greift den Enthusiasmus der Pariser. Der Katalog erzählt
von dein Triumphzug, den dieses Bild durch England und
Frankreich machte — kein Wunder, es sind die Stachel-
kränze der Sinnlichkeit, die die Menge hinter seinen Triumph-
wagen einherpeitschten.
weit vornehmer als die „berühmte" Sappho mnthen
uns einige Porträts des Meisters an. Seine Gabe, auch
liebenswürdig und elegant zu sein, verleiht ihm eine be-
sondere Eignung zum Frauenmaler. Spiridon behandelt die
Farbe weich und pastös und seine Tonturen sind von einer
leisen Heiterkeit umschimmert. Allerliebst ist ein Bild eines
jungen Mädchens „pedi", den: der Künstler in satten:
Roth einen wirkungsvollen Hintergrund gegeben.
Franz Kupka in Wien hat ein: „warum sind wir
erschaffen?" betiteltes Gelgenfitlde ausgestellt, das an seine
bisherigen Schöpfungen nicht heranreicht. Die etwas weit-
schweifende Katalogerklärung erzählt die Geschichte eines
indischen Prinzen, der an seine weisen die obige Frage
stellt. Ein Mann, der vergebens dem Räthsel nachforschte
und an dem Medusenblick der Sphinx wahnsinnig geworden,
liegt am Boden hingestreckt, indeß seine Finger Blätter aus
dem Buche des wissens umklammert halten, um sie zu
zerreißen! Zwischen der Sphinx und dem Manne steht ein
schönes Weib, in dein einen Arn: ein neugeborenes Kind,
in der anderen pand einen Todtenschädel haltend — An-
fang und Ende des Lebens! Die Formen dieser Frauen-
gestalt sind ohne besonderes Ebenmaß und bei dem todt-
gegrübelten Manne, den das Wissen zum Wahnsinn brachte,
sind die Beine unglaublich dünn gerathen.
weit über allem bisher Besprochenen steht Pans
Lanon's „Mliver Lromwell an der Leiche König
Karls I.", ein bedeutendes Geschichtsbild, bei dein der Meister
mit unverkennbarer Absicht jede müßige, historische Staffage
verschmähte und das Pauptgewicht auf die Gestalt Lrom-
well's legte, die mit bedeutender Krast aus den: Rahmen
herauswächst. Die sattdunkle Farbengebung in Rembrandt-
scher Beleuchtung giebt dem Bild etwas erhaben Düsteres
und sichert ihn: die Macht eindringlicher Stimmung.
Erwähnenswerth wären noch ein ausgezeichnetes Genre-
bild „Lin Dorfereigniß" von Rsvüß, ein dnrch und durch
 
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