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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 15
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Feld, Otto: Der Salon des Champ de Mars
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Dworaczek, Wilhelm; Tilgner, Viktor Oskar [Honoree]: Viktor Tilgner (†): der Meister und sein letztes Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0266

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230

Die Kunst-Halle. -

Nr. H3

und ein bischen süßlich. Sonst ragt unter den nicht über-
mäßig zahlreichen Akten die Arbeit Rene Martin's hervor
durch sichere Zeichnung und kräftigen Ton. Die kleinen
Akte Reas sind hübsch bewegt und sehr fleischig. So gut
die lebensgroße weibliche Figur auf dem Bilde Adolphe
Binets ist, so komme ich doch nicht zur rechten Freude daran.
Der Maler nennt das Werk „Maria Magdalena". Lm
nacktes rothhaariges Weib liegt über den Leichnam eines
nackten Mannes gebeugt, dessen Füße Wundmale zeigen.
Neber einen mächtigen Trümmerhaufen, auf dem eine Ka-
none steht, schauen von der Abendsonne angeglühte Kirchen.
Line Schaar baarhäuptiger Arbeiter blickt mit schmerzlichen
Geberden auf die Gruppe. Ich habe keine Lust, vor einem
Bilde Räthsel zu lösen, und so sind mir die einfach-kräftigen
Landfchaftsstimmungen der Maler unvergleichlich lieber als
diese, wenn auch noch so gut gemalte Geschmacklosigkeit.
Allegorien und Symbole müssen verständlich sein. Daß
man dies auch mit modernen Mitteln zu leisten im Stande
ist, beweist Agache's „I'epes". Auch die „Sirenen" Amau-
Jean's wird Jeder verstehen. Ls strömt ein unendlich mild
verführerischer Zauber aus diesem Bilde, wie leise ver-
klingendes Singen tönt es uns daraus entgegen. Aber viel
höher noch'stehen mir die Portraits des Meisters, die mit
dem erwähnten Bildner Lavery's zu dem herrlichsten ge-
hören, was die Bildnißmalerei geleistet und wohl zu leisten
im Stande ist. Diese schlanke Frau, die dort auf der Bank
am See in den Abend hineinträumt, der feine, geistreiche
Kopf von Mrs. B-, dessen Augen uns tief in die Seele
schauen, das herrliche Bildniß des Malers Besnard — ja,
vor diesem Schönheitszauber in Ton und Farbe, vor dieser
Fähigkeit die reiche Fülle einer Menschenseele in einem
Bildniß auszuschöpfen, verblassen freilich die virtuose Ge-
schicklichkeit eines Boldini, der doch wahrhaftig auch n.cht
zu den letzten gehört und das große Können eines Gan-
dara, in dessen breit angelegten Bildern nur die Mache ein
wenig zu stark spricht. In der Lharakteristik vortrefflich,
wenn auch als Bild ein wenig nüchtern, ist Ldelfeld's Por-
trait. Zorn ist in einem Selbstportrait nicht glücklich ver-
treten. Das ist nur noch Technik! Larolus Duran, Be-
raub wie Louise Breslau geben nichts wesentlich Neues, so
wenig wie Roll, Touche und Gervex, dessen große dekorative
Landschaft ein wenig konventionell ist. Frapxe bringt außer
einigen Portraits auch eine mächtige Leinewand, die Darstellung
eines „schlagenden Wetters". Der Ausdruck des Entsetzens
in den Gesichtern der betroffenen Bergleute ist nicht schlecht,
als Ganzes wirkt das Bild nicht. In einem großen Saal
hat Puvis de Lhavannes eine Kollektion Zeichnungen ver-
einigt, die erneutes Zeugniß von der großen zeichnerischen
Kraft des Meisters ablegen, seine 5 großen Panneaux für
die Bibliothek in Boston erreichen die Höhe seines Bildes
im Pantheon bei weitem nicht. Das „elou" der Ausstellung
für das Publikum dürfte Dagnan-Bouverets „Abendmahl"
werden. In der mächtigen schmucklosen Palle sind die
Jünger um einen hufeisenförmigen Tisch gereiht. In der
Mitte der Tafel der Heiland, der aufrecht stehend, einen
Becher rothen Weines in der Hand, sinnend vor sich hin-
blickt. Von ihm strahlt ein Heller Schein aus und beleuchtet
die zu ihm aufblickenden oder vor sich Hinschauenden Jünger.
Das Bild verfehlt durch die Lichtführung nicht eine gewisse
Wirkung, auch die Komposition ist nicht ohne Reiz. Die
Art, wie Judas z. B. durch geschickte Gruxpirung wie zu-
fällig isolirt erscheint, ist sehr gelungen. Aber der Ausdruck

des Heilands ist doch ein wenig zu süßlich. Ls fehlt dem
Werke schlichte Größe und wirkt ein bischen theatralisch.
Immerhin put ab vor dem großen Können! —
Die Plastik ist qualitativ wie quantitativ nicht stark.
Fagel hat ein paar interessante Arbeiten, ebenso vallgreen.
Stockenstrom's „mittelalterlicher Bürgermeister" und „Dame
ans dein Mittelalter" sind reizvoll behandelt. Meunier's
„Arbeiter" ist ein prächtiges Werk.
Brennesen's „bete ImmünsI ein Imperator — wohl
Nero — der seinen Fuß auf den Nacken eines vor ihm
liegenden Weibes setzt, ist nicht ohne Wirkung. Marquet
de Rasselst bringt ein Projekt für ein Balzac-Denkmal.
Auf einem mächtigen Sockel, der mit reichen Basreliefs ge-
ziert ist, ein räthselhaftes Etwas, der naturalistische Kopf
Balzac's auf einem Thierleib. Desbois hat einen eigenen
Saal voll großer plastischer Werke und sehr interessanter
kunstgewerblicher Arbeiten. Die dreitheilige Suprematie
Tegner's ist geistreich gedacht und interessant in der Aus-
führung... In der graphischen Abtheilung finde ich, so
weit sie zur Zeit schon vollendet, nichts nennenswerth Neues.
Zur Stunde, da ich diese Zeilen schreibe, einige Tage
vor der offiziellen Eröffnung, lassen die Vorbereitungen, die
in der kunstgewerblichen Abtheilung getroffen werden nur
vermuthen, daß wir auch hier viel Schönes zu sehen be-
kommen werden.
O
Viktor Tilgner (s).
Der Meister und sein letztes Werk.

M^äh und unerwartet hat der Tod einen bedeutenden
Künstler auf der vollen Höhe seines Schaffens
und in der Vollkraft seiner Jahre dahingerafft. Viktor
Tilgner ist fünf Tage vor der Enthüllung seines
Mozartdenkmales in Wien einem Herzschlage erlegen.
Noch wenige Stunden vorher erfüllten die Brust des
Meisters freudige Hoffnungen, denn sein Lieblings-
wunsch, Wien ein bedeutsames Monumentalwerk ge-
schenkt zu haben, ging seiner letzten Erfüllung ent-
gegen. Da griff die Hand des Todes grausam uud
unerbittlich in den Blüthenhaag seiner Träume und
warf den Künstler auf die Todtenbahre, ehe sein
Meisterwerk auf dem Wege zum ewigen steinernen
Leben die letzte Weihe empfangen hatte. So tragisch
und erschütternd dieses Künstlerschicksal auch ist, es
liegt in diesem Sterben etwas Schönes, der elegische
Zug einer höheren Abberufung: — das Perz des
Künstlers stand still in dem Augenblicke, da er das
höchste und bedeutsamste Ziel seines Strebens erreicht
hatte, voll von Hoffnungen, Erwartungen und innerer
Befriedigung.
Tilgner schied aus dem Leben, umspielt von
Lebenssonnenschein und Daseinsfreude und sein letztes
Vermächtniß, sein Schwanengesang, wenn man es
so nennen darf, war der sonnenfreudige Klozart,
die Helle blinkende Marmorgestalt des großen Meisters
 
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