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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 24
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Galland, Georg: Neue Kunst
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Zimmern, Helen: Neapel, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0426

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372

Die Kunst-Halle,

Nr. 2^

zugen, heißt einen Menschen als Gedankenstrich
zwischen Kostümstücke und Möbel, zwischen Bäume
und Himmel setzen" . . . Und der gleichen scharf-
sinnigen Kritik, die sich von der absoluten Kritiklosig-
keit einer neuerdings vielgenannten Malereigeschichte
berghoch unterschneidet, wird zuletzt jene Richtung
unterworfen, die man „Neuidealismus" getauft hat.
Dieser fünfte Essay betitelt sich „Die gegenwärtige
Lage."
In Wahrheit liegt hier lediglich ein Umschwung
der naturalistischen Bestrebungen, eine Rückkehr zur
alten Ideenmalerei vor. „wo man eben noch eine
kahle Kammer der Armuth gemalt hatte, mußte jetzt
ein Engel durch das Zimmer gehen, und ohne daß
die Welt frömmer geworden, begannen die Heiligen-
scheine zu leuchten, die Wunder zu blühen und die
Stigmata zu glühen" . . . Eine zweite Fluthwelle
brachte eine „auf Flügeln der Musik" getragene
Stimmungsmalerei. Burne - Iones steht auf den
Schultern des alten Venetianers Giorgione. Aber
nicht etwa daß auf derartigen Bildern Musik ge-
macht wird ist das Eigenthümlichste, sondern daß die
Malereien selbst musikalische Wirkungen erzeugen.
Man befindet sich in einem mit solchen Schöpfungen
gefüllten Saale in einer förmlichen Narkose. Alles
spielt hier gleichsam „eou soräino". Neumann ge-
braucht mit Recht den Ausdruck „Morphinismus".
So herrscht der Wunsch vielfach vor, durch das Ge-
suchte, Seltsame, pathologische, Manierirt-Feierliche
oder die Extase allgemein aufzufallen. Man rechnet
meist dabei mit den: Sensationskitzel des Publikums,
man will sich ihm interessant machen, indem man ihm
Rebusse und Eharaden vorführt. Aber „unter der
Flagge geistreich - dunkler Gedankenkunst greift der
Dilettantismus um sich. Das Niveau der Kunst wird
gedrückt." —
Das sind in nur wenigen Sätzen und flüchtigen
Worten wiedergegeben einige der Hauptgedanken des
vorliegenden inhaltreichen Buches, das unseren Lesern
nicht warm genug empfohlen werden kann. „Der
Kampf um die Neue Kunst" gehört zweifelsohne zu
den besten Leistungen moderner Kunstkritik. Und wenn
es sich auch bei uns darum handelte, einen Preis für
eine treffliche Kunstkritik zu vertheilen, ich wüßte kaum
eine zweite gleich würdige Arbeit dafür empfehlend
zu nennen.

Meapel.
von Helen Zimmern, Florenz.


II.
r schon kürzlich von mir erwähnte Bildhauer
Francesco Je race zählt zu den tüchtigsten
Künstlern, welche das moderne Neapel besitzt.

Ierace ist einer der Glücklichen, welche am Ziel sind,

doch erinnere ich mich noch der Zeit seiner Kämpfe,
denn als ich ihn kennen lernte, hatte er sich noch
nicht zu seiner jetzigen Höhe emporgerungen. Nun
ich ihn zu Wohlstand gelangt und ruhmgekrönt
wiedersah, fand ich zu meiner Freude, daß er diesem
so manchem Geisteshelden verhängnißvoll gewordenen
Eapua keineswegs unterlegen ist. Im Gegentheil
macht sich bei ihm nur der segensreiche Einfluß des
Reichthums geltend, welcher dem Künstler die Ruhe
der Seele gewährt, deren er bedarf, um in ungestörter
Sammlung sein Bestes zu leisten. So steht denn Ierace
mit seinen neuesten Schöpfungen auf der Höhe seines
Könnens. Da ist vorerst sein Entwurf eines Kolossal-
Monuments für Beethoven, das im mittleren Hof
des Konservatoriums von Neapel errichtet werden
soll. Ierace, der ein großer Musikfreund ist, und
vor Allem die erhabenen Werke des deutschen Titanen
Beethoven liebt, wünschte in dem Denkmal etwas
von der Eigenart dieses Gewaltigen im Reich der
Töne auszudrücken, er wollte, daß es etwas An-
deres werden solle, als eine akademische Studie kon-
ventionellen Stils. Lange dachte er über seine Auf-
gabe nach, lauschte dem Vortrag von Kompositionen
des Meisters, repetirte diese und jene Strophe Homers,
den er für geistesverwandt mit Beethoven erklärt;
und dann plötzlich war die Inspiration da. Nun
hat er es in wenigen Tagen modellirt, das unge-
heure Monument, welches den Komponisten in zurück-
gelehnter Stellung an einem mächtigen Felsblock zeigt,
wie er der sein Inneres erfüllenden Musik im Geiste
lauscht, während neben ihm ein Blatt Papier für die
Aufzeichnungen der Noten bereit liegt. Noch ist nur
das Gypsmodell vorhanden, das in Venedig aus-
gestellt und dort viel bewundert worden ist. Dasselbe
soll aber jetzt für den ihm bestimmten Standort zur
Ausführung gelangen. Die Gestalt wird aus schöllen:
Marmor von lichtem Grau gemeißelt werden, und für
den Felsen, der möglichst in seinem natürlichen Zu-
stand nur aus dein Groben gehauen werden soll,
ist der schöne, röthliche, körnige Granit aus Baveuo
in Aussicht genommen. Von diesem Werk müßte eine
Replik nach Deutschland kommen, für irgend eine
dortige Hochschule der Musik. Ierace hat Glück mit
seinen Musikerstatuen. Als ich in seinem Atelier war,
traf gerade die Nachricht ein, daß sein Entwurf für
das Denkmal Donizetti's, welches vor dem Theater in
Bergamo, seinem Geburtsort, errichtet werden soll, in
der Konkurrenz den Sieg davongetragen hat. Durch
eine höchst charakteristische Auffassung zeichnet sich
auch diese symbolisch gehaltene Komposition aus.
Natürlich mußte Donizetti, der Meister der leichten,
melodienreichen italienischen Oper, in einer milderen
Umgebung vorgeführt werden, als der gigantische
Beethoven. Der Umstand, daß dieses Denkmal im
Freien unter Bäumen seinen Platz erhalten soll, stimmt
gut zu Ierace's Darstellung, der den verewigten Ton-
künstler auf einer antiken Exedra sitzend modellirt
 
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