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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 9
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Feld, Otto; Martin, Henri [Honoree]: Henri Martin
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Dresdner Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0159

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Nr. 9

Auch mir ist's nicht recht verständlich, woher
diese Teilnahmslosigkeit kommt, denn gerade die
Bilder Henri Martiu's sind Werke sür den echten
und rechten Kunstfreund. Im prunkhaften Salon
werden sie kaum wirken, sie sind zu fein, zu be-
scheiden in der stillen Größe, die in ihnen lebt, zu
intim. Aber dort, wo ein sinniges Gemüth in stiller
Beschaulichkeit zu weileu liebt, da mögen sie zu ihm
sprechen mit den süßen leise klingenden Melodien, die
in ihnen tönen, mit dein sanften poetischen Zauber,
der in ihnen lebt..
Der milde, weiche Frieden des Abends strömt
daraus — wenn der Mond emporsteigt über dem
alten Gemäuer, das die Dämmerung einzuhüllen be-
ginnt, wenn ein Tugel in das verfallene Feuster
hineinschwebt, Frieden bringend, Labung, Trost!
Wieder ist's Abend um dieselben alten Mauern, noch
glänzt der Himmel von den letzten verscheidenden
Strahlen der Sonne. Müde unter seiner schweren
Last steigt ein Greis die morschen Stufen hinauf der
Thür entgegen, aus der das gedämpfte Licht des
Herdfeuers ihm entgegenleuchtet, Nast und Labung
verheißend nach dem schweren Tagwerk . . . Unter
hohen tiefdunklen Typressen, zwischen schlanken
weißen Grabsteinen eine ernste schwarzgekleidete
Frauengestalt'. Tin Heller Strahl fällt aus dein
Kreuzeszeichen, das hinter ihr am Himmel leuchtend
erscheint, auf sie herab, ein Strahl der Gnade, der
Liebe. . . . Tin Mönch in verzückter Andacht zu dem
leuchtenden Schein emporblickend, der an dem Nacht-
himmel über der toten Fläche ihn: entgegenstrahlt!
Und nun wieder, wie ein Märchentraum, ein lieb-
liches Kind unter leuchtenden bunten Blumen;
sinnende herrliche Frauen, die mit den träumerischen
Augen eine andere erdferne Welt zu schauen scheinen;
leuchtender Frühlingssonnenschein im Walde; ein duf-
tiger Sommermorgen über dem thaufrischen Feld;
Abendsonne, die in den Spitzen der Kiefern stammt,
unter denen ein Mönch ganz in sein heiliges Buch
versunken dahin wandelt; ein märchenhaft schönes
Weib, halb Kind, halb Jungfrau, goldenen Lorbeer
in der Hand, fröhliches Lachen auf rochen Fraueu-
lippen, die um die Wette leuchten mit den rochen
Granatblüthen im rabenschwarzen Haar . . .
Welche Töne hätte der Meister nicht auf seiner
Palette, welche feinste Seelenregung wüßte er nicht
zu erfassen, wiederzugeben. verzückter innigster
Glaube, mystisches Dämmern in weichen Frauen-
herzen, Sehnsucht nach Frieden und Ruhe, Freude
und Lust, Aufsauchzen und sinnige Heiterkeit — für-
Alles findet er einen Ausdruck, einen malerischen
Ausdruck. Denu es ist kein Suchender, der zu uus
spricht, nicht einer, der einen Begriff mit ein paar-
kümmerlichen Farbenflecken umkleidet. Mit seinem
Malerauge sieht er die Welt in eigenthümlichen
Farben und Tönen. Die feine differenzirte Stimmung,
in die er sich vertieft, erschließt sich ihm ganz, sie

strömt auf ihn über und er findet die Kraft sie
wiederzugeben, uns zu sagen, was sich ihn: offenbart.
Tr sieht aber nicht etwa die einfache Deutlichkeit der
Dinge, er erfaßt vielmehr gleichsam deren Inhalt.
Tr erschließt uns dabei eine Welt, die nicht die Welt
von Paris, von Berlin oder London ist, sondern jene
höhere Welt von Schönheit und Poesie, in der die
großen Künstlerpoeten gern leben, jene Welt, zu der
wir gewöhulichen Menschenkinder nur zu pilgeru ver-
mögeu an der Hand eines begnadeten Künstlers! —
Henri Martin, der Maler, für den es tech-
nische Schwierigkeiten nicht zu geben scheint, ist eben
ein Dichter, vielleicht einer der feinsten des modernen
Frankreichs, ein Dichter in Farben und Linien. Mit
süßen weichen Lauten klingt es aus seinen Bildern
uns entgegen von dem Trieben eines Sonntagskindes
in der Natur. Die Hand des Malers führt der
Geist des Poeten, dessen Seele erfüllt ist von Liedern
zum Preise der Schönheit der Welt. Seine engere
Heimath hat Frankreich schon manchen Dichter ge-
geben, hier gab sie ihm Tinen, der zugleich eiu
Maler ist.
Henri Martin ist Südfranzose, das erklärt vieles
in seinen: künstlerischen Schaffen; üppige Phantasie,
poetische Tmpfindung und einen Zug von frommem
Mystizismus. Auch äußerlich ist er der Typus des
Südfranzosen: auf der mittelgroßen, kräftigen, doch
biegsam geschmeidigen Gestalt ein prächtiger Kopf.
Das blaffe feingeschnittene Gesicht von tiefschwarzen:
Bart und leichtlockigem dichten: Haar umrahmt,
nachtdunkele, blitzende Augen, lebhaftes ausdrucks-
volles Mienenspiel. Liebenswürdig, bescheiden und
doch von jenen: Selbstgefühl, das echte Begabung
verräth. Hat inan mit den: Meister ein Stündchen
in: Atelier zur Dämmerungsstunde verplaudert —
dem: am Tage giebt's keine Muße für einen so
emsigen Arbeiter — dann trägt man den Eindruck
nach Hause: dieser hier ist keiner von den Pinsel-
führern, denen die Kunst profanes Geschäft geworden,
sie ist sein Alles, sein Glaube, seine Liebe, seine Welt.
Heißblütig in Haß und Liebe, unbiegsam in seiner
Reberzeugung, voll Andacht vor den: Schönen, ohne
Neid vor fremder Größe, ein echter rechter Künstler.
O
Dresdner Runstbrref.
^^st Dresden Kunststadt? — oder richtiger: Ist Dresden
noch eine Kunststadt? So hört man ja wohl oft
fragen. Ich glaube aber, es geht der sächsischen Re-
sidenz, wie es dein alten Invaliden und dem jungen Schul-
knaben in der Fabel vom Fuchs und Bären in ihrer
Begegnung mit den: Jäger, die wir ja alle kennen, mit dem
„Menschsein" ergangen ist: sie ist einmal eine gewesen und
will erst wieder eine werden, derweilen der Münchner „Fuchs"
 
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