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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 7
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Thomas, Bertha: Ein Schilderer der Themsestadt: Herbert Marshall
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Berliner Kunstschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0124

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un-

—>--tz Die Kunst-Palle.

Nr. 7

artig stinunungsvollen Reiz, während sie selbst die gewöhn-
lichsten Päuser, mißlungene Denkmäler oder unansehnliche
krumme Straßen mit einem verschönernden mystischen Pauch
umgiebt. Ls sind also keine idealen Inspirationen, die der
Maler hier empfängt, wohl aber findet er Motive, die
künstlerischen Scharfblick erheischen, eine (Labe, die Marshall
in so hohem Grade besitzt, daß er nie die beabsichtigte
Wirkung verfehlt. Und die große Mannigfaltigkeit der
Ansichten bewahrt den Künstler, der sie ausschließlich zum
Gegenstand seiner Studien erwählt hat, vor der Monotonie
des Spezialisten.
Sein „Sonnenaufgang im Winter, von der waterloo-
Lrücke gesehen" ist eine außerordentlich fein empfundene
Studie. In einem Straßenbilde „Picadilly nach dem
Regen" sind die Sonnenreflexe auf den nassen Trottoirs
und Schmutzlachen meisterhaft geinalt. Durch Ansichten
von Ludgate pill, dem St. Pauls-Kirchhof und dem Lord-
Mayor-Palast wird uns die Lity mit ihren durch Solidität
imxonirenden Gebäuden, ihrem rastlosen Geschäftsverkehr und
Gewühl ungemein lebendig zur Anschauung gebracht. In
völligen: Gegensatz dazu steht eine Zwielicht - Studie in
Lhelsea mit rothen Päusern zwischen Bäumen — eines der
noch hie und da am Themse-Ufer erhaltenen stillen und
malerischen Fleckchen, die wie ein weltvergessenes altes
Dorf anmuthen. verschiedene interessante Frostwetterstudien
des Stromes und der Straße sind in der strengen Kälte des
vorigen winters entstanden, während dein Künstler beim
Malen die Wasserfarbe zu Lis fror.
Die große Wasserverkehrsstraße der Themse von
Battesea bis Greenwich besitzt natürlich eine starke An-
ziehungskraft für einen Maler wie Marshall, dem sie eine
schier unerschöpfliche Fülle malerischer Darstellungsobjektc
bietet — den herrlichen Themsedamm, die zur Zeit der
Lbbe freigelegten Grundflächen mit den sie unterbrechenden
kolossalen Brückenpfeilern; die hohen Masten gleichenden
Pfosten zum Ankern der Fahrzeuge; die LastkLhne, die
Dampfer mit ihren rothen Schornsteinen, die Segel- und
Ruderboote und vor Allem die stattlichen Themse-Barken,
welche Marshall für die malerischsten Fahrzeuge hält.
was das Moment der Schönheit in seinen Malereien
betrifft, so liegt dies weniger in den Gegenständen, als in
der glücklichen Auffassung der Licht- und Luft-Probleme.
Am meisten liebt er die perbst- und Wiuter-Lsfekte, vor-
nehmlich die der ersten Morgenstunden, ehe noch der rosige
Schimmer über den Dachfirsten und Thurmspitzen von den
aus unzähligen Schornsteinen emporqualmenden Rauch-
massen getrübt erscheint. Lr zeigt uns die Uebergänge vom
ersten röthlich flimmernden Bauch bis zum flammenden
Morgenroth. Dann wieder sehen wir über den blauen
Pimmel dunkle Wolken ziehen, zwischen denen das Sonnen
licht plötzlich hervorbrichü Glänzend behandelt sind die
Sonnenuntergangsmotive, bei denen der Künstler den
leuchtenden Abendhimml mit düsteren Partien in Kontrast
zu bringen liebt. Und höchst charakteristisch sind die selt-
samen Beleuchtungseffekte erfaßt, wo Sonne und Rauch
gleichsam um die perrschaft streiten oder auch sich mit-
einander vermischen. Unermüdlich ist Marshall im Be-
obachten solcher und noch vieler anderer Erscheinungen, die
er in seinen ebenso naturwahren, wie stimmungsvollen
Landschaftsbildern wiedergiebt. wo er das Leben und
Treiben der Großstadt zur Anschauung bringt, verzichtet er
auf individuelle Typen. Lr malt die Menge, in der sich

der Linzelne unbeachtet verliert. Und gerade diese unüber-
sehbare bewegliche Masse bringt dein Beschauer die un-
geheure Größe der Stadt zum Bewußtsein.
6. llKoms«.


Berliner Kunstschan.
^)elten führt uns die kritische Pflicht in die stillen Räume
im Architektenhaus, wo der Verein Berliner
Künstler seine permanente Ausstellung hat. Ls gab
eine Zeit, in der diese Vereinsausstellungen künstlerische
Ereignisse waren, aber sie ist längst vorüber. Zwei Dinge
haben es dahin gebracht, daß sie heute garnicht mehr mit-
zählen: die Gleichgiltigkeit der Künstler gegen ihre gemein-
samen Interessen, die sie immer die schwächsten Bilder nach
der eigenen Ausstellung schicken läßt, und die große Rührigkeit
der Berliner Kunsthändler, deren Salons die wahrhaftig
nicht berlinfreundlichen Münchener Neuesten Nachrichten sogar
neulich ein hohes Lob spendeten.
Dieses Mal ist es ein Bild von Segantini, das mich
herführt, ein Kunstwerk von hohen: Range, das sich wunderbar
genug ausnimmt zwischen all den banalen Verkäuflichkeiten
ringsum. Segantini, der seit Jahren als Einsiedler in:
Pochgebirge haust, steht auch in der Kunst als Einsamer
da. Er hat sich ganz aus sich heraus eine durchaus eigene
Art geschaffen. Sein Bild besteht aus kleinen, unvermittelt
neben einander stehenden Flecken und Strichen, die mit dein
Spachtel aufgetragen sind. Er erreicht damit eine scharfe
Gegenständlichkeit und eine sehr intensive Lichtwirkung. Seine
Farbe hat einen fast emailartigen Glanz. Als er vor einigen
Jahren zum erste:: Male hier ausstellte, war seine Technik
noch unfertig, man bemerkte sie noch zu sehr: den Kenner
interessirten seine Arbeiten als versuch, und die anderen
lachten. Jetzt hat er sich zu voller Freiheit durchgerungen:
die mühsame Schwierigkeit der Arbeit hemmt ihn: nicht mehr,
ihre Vorzüge treten rein hervor.
Pochgebirge. Die Sonne ist gesunken, ihr scheidendes
Licht aber färbt die Wolken noch rot und weckt auf den:
Gestein der Gipfel und ihren: Schnee seltsame Farbenspiele.
Aber zwischen den roten Wolken steht schon der blasse Mond,
und in den Schluchten hat die Dämmerung gesiegt. Schnee
und Wald liegen in: Schatten. Aus der Schlucht ragt ein
roter Kirchturm auf. Wohl das Ziel des traurigen Zuges,
der vorn die Straße entlang geht. Lin Arbeitswagen. Lin
schlichter schwarzer Sarg darauf. Auf dem Sarge sitzt ein
Weib, ein kleines Mädchen lehnt still an ihrem Schoß. Lin
älterer Mann führt das Pferd. Das einzige Gefolge bildet
ein großer pund, der gesenkten Kopfes hinter den: wagen
hertrabt, als hätte er eine Empfindung für das, was vorgeht.
Das Motiv ist wahrhaftig nicht neu. Aber es ist kann:
je so ohne Sentimentalität und so ergreifend gefaßt worden.
Und der Nachdruck liegt ganz auf den: wie. 8.
Neben dem Einsiedler aus den italienischen Bergen steht
der Einsiedler aus der norddeutschen Ebene. Bei Schulte
hat Otto Modersohn eine Reihe von Landschaften aus-
gestellt. Ich habe in meinem Aufsatz über die „Maler von
 
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