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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 2
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Galland, Georg: Neue Museen
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Oettingen, Wolfgang von: Die Fortschritte der "Modernen"
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20

2 Die K u n st - bs a l l e.

Nr. 2

so recht, warum bei uns die imposanten Museen der
Hellenisten und Gothiker von der strengen Observanz
die naive Kunstfreude vieler Besucher eher verstimmen
als wirklich anregen.

Die Fortschritte der Modernen".
Von Prof, Wolfgang von Gelting en (Düsseldorf).
>^?Eie letzten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts
brachten aus allen Gebieten des wirthschast-
liehen wie des wissenschaftlichen und des
künstlerischen Schassens mächtigen Umsturz, über-
raschenden Aufschwung. Daher diese scharfe, nervöse,
Kampfstimmung, die uns allenthalben auffällt und
anwandelt. Auf der Beite von revolutionären Minder-
heiten gesteigerte Eroberungslust und ein üppiges,
oft vorzeitiges Siegesbewußtsein; ihnen gegenüber die
entrüsteten oder die vorsichtig zähen Brems- und
Dämpfungsversuche der Konservativen. Das sind die
Majoritäten, die das Bestehende nicht anders als
nach bedächtiger Prüfung und gewiß nicht für ein
noch kaum begriffenes Neues dahingebeu mögen.
Sie erscheinen Manchen: schlechthin als eigensüchtige
Reaktionäre. Ihre Taktik sucht jedoch keineswegs,
sofern sie aus sittlichen Gründen entspringt und ver-
ständig gehandhabt wird, den Fortschritt an sich zu
hemmen — und wollte sie es auch, das Bessere ge-
wänne trotz ihrer unaufhaltsam an Boden — sie
stemmt sich nur gegen einen obligaten, aber dem
Skeptiker unerwünschten Begleiter des Besseren,
nämlich gegen das angeblich Allerbeste. Weit vor
dein notwendigen, durch die eingetretene Reise der
Verhältnisse bedingten Fortschritt, segt ja mit Wag-
nissen und großen Worten die Verve ungeduldiger,
von schöpferischen Ideen gepeitschter Köpfe einher,
die tiraillirende Vorhut von „Jungen" und „Jüng-
sten", die eine ideale Zeit herbeizuzwingen und die
veraltete, verrottete Epoche inzwischen abzuthun sich
berufen fühlen. Allerdings, an der Festigkeit gar
mancher, sichtlich aus die uuwaudelbare Grundnatur
der Menschen und der Dinge gestellter Thatsachen
und Gesetze zu rüttelu, will stürmischen Doktrinären
nur selten gelingen: desto leichter haben sie es aber
bei Fragen, deren Grundlagen minder offenbar, die
durch leidenschaftliche Behandlung bereits verdunkelt,
oder überhaupt noch nicht hinlänglich erforscht sind.
Also besonders in politicis und in Aesthetiois.
Der Leser der „Kunst-bsalle" wird wohl jene,
für den Augenblick, den Politikern überlassen wollen
und sich lieber aus den ästhetischen Streitigkeiten einen
Gegenstand zur Erwägung herausgreifen.

Mai: beobachtet, daß die Propaganda der er-
wähnten Modernei:, für unsere Betrachtung auf den:
Gebiete der Litteratur und der bildenden Künste, eine
entschieden überzeugende, eine suggestive Macht ent-
faltet. Ihr flottes Auftretei:, ihre hochgemuthe Un-
duldsamkeit, ihr stets wiederholter, uie ganz ver-
sagender Appell an unser vermeintliches Recht aus
unbeschränkte persönliche Geltung und Ungebunden-
heit verblüffen wirklich mit der Zeit das Publikum,
das die Neuerer sich gern als einen bequemen, etwas
denksaulen Rentenbürger vorstellen und deshalb zu-
nächst aus seiner Gleichgültigkeit ausschrecken wollen,
um ihn dann sosort zu weiterer Leitung einzusangen.
Wirklich erholt sich denn auch das Publikum von
den: ersten Erstaunen über die plötzlich erhobenen
harten Zumuthungen an seinen Geschmack und geht
vielsach von der anfangs geübten, völligen Ableh-
nung des dargebotenen Unerhörten zu einen: immer
unbedingteren Beifall und zu desto ungerechterer Ver-
urtheilung des bisher gewohnten Alten über. Die
Wandlung vollzieht sich zwar, wie die Erfahrung
lehrt, nur sehr allmählich, und wird sich auch uie
vollkommen vollziehen, da ja keine Geschmacks-
richtung auch nur kurze Zeit ohne Anfechtung und
Widerspruch zu herrschen pflegt; aber immerhin, sie
geht doch unzweifelhaft vor sich.
An sich wäre nun eine Umwerthung der ästheti-
schen Erzeugnisse nichts Bedenkliches; ist sie doch mit
jeder natürlichen Entwickelung, mit jeden: Fortschritt
unlöslich verbunden. Allein in revolutionären Epochen
liegen die Dinge wesentlich anders. Wie die Wenig-
sten unter uns in Zuständen der Nervosität es über
sich gewinne«:, an einem ungefärbten, vorzüglich durch
eine«: streng sachliche«: Inhalt wirkenden Buche ihre
Ruhe wieder siuden zu wolle«:, vielmehr hastig nach
einer prickelnden, vielleicht mit arger Kunst auf die
reizbarste«: Empfindungen berechneten Lektüre greife«:,
die ihnen gerade in die bsand geschoben wird, so
überantworten wir uns i«: Zeitei: tiefer, weithin aus-
klingender Aufregung nicht immer der objektive«:
Beobachtung, den: ruhig abschätzendeu Nrtheile. I«:
den: Gefühle der Aufklärungsbedürstigkeit, der inne-
ren Unsicherheit, das nun einmal ei«: Stempel unserer
Tage zu sei«: scheint, vertraue«: wir uus, anstatt ge-
lassen und selbständig feste, rechte Pfade zu suche«:
oder de«: Wegweisern auf de«: Straße«: nachzugehen,
nur zu leicht einem Führer an, der sich verführerisch,
renommistisch und mit der verdächtigen Behauptung
völliger Unfehlbarkeit ausdrängt, um uns alsbald
gewandt anzupacken und zu tollkühnen Sprüngen
Hinzureißen. Das heißt also: wem: wir aushören,
wie das jetzt der Fall ist, an de«: Kunstprodukten einer
zurücktretenden Generativ«: die verständnißvolle Freude
zu empsiuden, die uns Bedürsniß ist, und wenn wir
deshalb unbesriedigt uns nach neuen Ideale«:, neuen
Gesetze«: der Künste umschauen, so ist nur zu wahr-
scheinlich, daß wir in: Unbehagen eines solchen
 
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