Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

DOI Heft:
Nr. 6
DOI Artikel:
Die schöpferische Kraft
DOI Artikel:
Berliner Kunstschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0106

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
—Die Kunst-Halle.

Nr. 6

dreihundertfünfundsechzig Tage des Jahres eine
Schraubenmutter aus. Es giebt Arbeiter, die an den
Bronzestatuen die Köpfe ziseliren, andere sind für die
Arme, noch andere machen die Hände, wieder andere
die Nägel.
Es wird in einer gewissen Epoche ein Tag
kommen, wo man sich fragen wird, was das Volk
unserer Zeit verbrochen hatte, um zu solchem Frohn-
dienst gezwungen zu sein. Das ist das Bagno, ein
tausendmal schlimmeres Bagno, als das andere; denn
in dem anderen hat man wenigstens sein sicheres
Brot, ohne jede gesellschaftliche Verantwortlichkeit,
ohne eine schlicht zu erfüllen. Und Sie wollen, daß
die Elenden, die durch diese abscheuliche Arbeit jede
Empsindungsfähigkeit verloren haben, nach ihrem
verdummenden Tagewerk daran denken, zu schaffen?
Sie müssen wissen, wie eng sie wohnen. Und das
Werkzeug und das Material, glauben Sie, das wird
ihnen vom Himmel fallen?"
Zn herben Worten geißelt er dann die Sammel-
wuth der Reichen, welche die besten Kräfte in den
Dienst betrügerischer Antiquitätenhändler zwingt. Die
interessanten Enthüllungen, denen er einen breiten
Platz einräumt, gehören nicht recht zum Thema. Viel,
sehr viel wahres enthalten die Zornesworte gegen
die großen Ausstellungen.
„Haben Siemanchmalüber die schönen Materialien
des lieben Gottes nachgedacht, die man ohne Sinn
und Verstand vergeudet, um alle zehn Jahre Welt-
ausstellungen zu machen, wo man ohne Ueberlegung
und ohne Studien Paläste, Galerien, Thürme, Tempel
baut, Stücke einer Stadt und alte Bauwerke kopirt.
Man macht den Entwurf zu einem Palast in acht
Tagen, man baut ihn in sechs Monaten und ein
Jahr später zerstört man ihn, um die Materialien zu
verkaufen. Zehn Jahre darauf fängt man von
neuem an zu bauen, um von neuem zu zerstören und
die Materialien zu verschachern.
Zwingt Sie das nicht zum Nachdenken, diese
schönen Materialien verdorben und vergeudet zu sehen,
die sorgsam bearbeitet zu werden verlangen? Diese
ungeheuren Gelder verloren, diese Talente, dies
Genie verachtet? welche schönen Werke hätte man
mit diesen Mitteln schaffen können!"


Berliner Kunstschau.

d^alther Leistikow ist ein Künstler für die Wenigen.
Man kann die Eigenart seiner Kunst nicht treffender
bezeichnen, als wenn man ihm die Goethe'schen Verse leiht:
„Ich ging im Walde so für mich hin,
Und nichts zu suchen, das war mein Sinn."
Er ist ja nicht nur ein Maler der Mark, aber gerade
sein verhältniß zur märkischen Landschaft giebt eine gute

Illustration zu diesen Versen, zumal wenn man ihn mit
den anderen vergleicht. Die anderen fast alle haben in der
Mark malerische Motive gesucht, uud gefunden. Sie haben
sie geinalt, wo sie an die wüsten des Grients erinnert,
oder wo sie ähnlich ist wie die „schönen Gegenden" des
deutschen Vaterlandes. Alles das giebt es nämlich in dieser
mißkannten Landschaft. Leistikow malt die Mark da, wo
sie an keine andere Landschaft erinnert, er malt die Mark,
wo sie an: märkischsten ist, mit stillen, föhrenumstandenen
Seen und dürftigen Haiden. Und er malt deshalb nur für
die, welche denselben Sinn haben, nichts zu suchen, und die-
selbe Fähigkeit, alles zu finden, in: ärmlichsten Fleckchen
den eigensten Reiz. Und dieser Sinn und diese Fähigkeit
sind nicht gar häufig in dieser Zeit, die im Zeichen des
Tourisinus steht.
Sein ganzes Schaffen wird durch diese Empfindung be-
stimmt. Er wählt fast immer ein kleines Format und die
bescheidene Technik des Aquarells, die zu der Schlichtheit
seiner Motive passen, ja, er verbirgt seine glänzende Be-
herrschung der Mittel mehr als er sie zeigt.
Er bleibt seinen Bildern als Maler nichts schuldig, aber
was ihnen ihren tiefsten Reiz giebt, ist doch die träumerische
Stimmung des Poeten. Nur daß das Wort versagt, aber
das Unaussprechbare im Bilde sich geben läßt, scheint ihn
zu diesem Ausdrucksmittel getrieben zu haben. Ich weiß
wohl, daß dem nicht so ist, nicht so sein kann, aber daß es
so scheint, ist der höchste Triumph des Künstlers, der Beweis
für die zwingende Einheit von Inhalt und Form.
Neben Leistikow hat im Salon Schulte F. M. Bredt
ausgestellt. Man kann keinen schärferen Gegensatz ersinnen:
er geht nicht von der Empfindung, sondern vom Problem
aus. Leistikow giebt immer neue Motive, er ist gar nicht
ängstlich, daß sie ihm ausgehen könnten, er braucht nur
wieder so für sich hinzugehu durch deu überwältigenden
Reichthum, den überall die Natur beut. Bredt klammert
sich an das Problem, das er einmal gefunden hat, und
variirt es zehn Mal, der koloristische Gedanke muß ausge-
nutzt werden, denn es fällt einein so auffallend selten etwas
ein. Bredt ist dabei ein so starkes mV frisches Talent, daß
man diese Aengstlichkeit bei ihm nicht begreift. Er ist
offenbar durch Harrison angeregt: Wald, Wasser, ein nackter
Leib, alles in Sonnenlicht, ist auch seiu Lieblingsmotiv. Das
Landschaftliche ist fast immer vortrefflich: der „Abend am
See", der gar keine Figuren hat, scheint mir sein Bestes.
Den Figuren aber sieht man das Modell zu sehr an. Bei
Harrison auch, aber nur gauz von nah, er hat die Gesichter
absichtlich nicht so deutlich gezeigt. Bredt giebt die koketten
und nicht gerade sehr angenehmen Physiognomien seiner
Dämchen sehr liebevoll. Ich glaube, weuu der wohl noch
junge Künstler sich von dein Suchen in der Natur uud bei
anderen befreien und seine reichen Mittel ganz in den Dienst
seiner Empfindung stellen wird, wird er sich zu uusereu
Besteu gesellen. Seine Note, die sonnige Lebensfreude, ist
noch nicht sehr stark bei uns vertreten. Dann kommt er
vielleicht auch dahin, daß er ungestraft ein Dutzend Bilder
zugleich zeigen darf.
In dem Münchener Wilhelm Volz finden wir noch
einen, der im ängstlichen Suchen eine schöne Kraft vergeudet.
Die Schönheit, zu deren Schilderung er so berufen ist wie
wenige, ist ihm zu einfach, er sucht krampfhaft nach Ab-
scheulichkeiten. Oder will er uns glauben machen, dem
Maler der schönen „Singenden Musen" sei die „Madonna"
 
Annotationen