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-Die Kunst-Halle.
Nr. 22
giebt gothische Becher, die auf Pfeilern ruhen und
auf dein Deckel eine ganze Burg tragen; ja, ein
äußerst originelles Stück im South Kensington Museum
in London ist sogar mit Fenstern versehen, die — eine
große Seltenheit — mit sogen, emml ü jour, d. h.
mit farbigem Schmelzglase, gefüllt sind. Am weitesten
geht die architektonische Ausbildung bei den Trink-
hörnern, die in einzelnen Fällen durch ganze Fialen-
thürme gestützt werden oder auf der Abbildung eines
mittelalterlichen Burggebäudes ruhen. Das haben
neuerdings die Münchener mit Erfolg nachgeahmt,
und es ist als ein Zeichen des mehr und mehr er-
starkenden künstlerischen Selbstgefühls unserer Zeit mit
Freuden zu begrüßen, daß man nicht nur nachahmend,
sondern auch selbstständig Phantasie-Gefäße in
neuen, originellen Formen wieder zu fertigen beginnt.
Der bekannte Becher in Form eines Kibitzeies mit
Kibitzkopf und -füßen, den Fürst Bismarck den Ge-
treuen in Zever verehrte, ist ein Phantasie - Gefäß.
Und eine der jüngsten Schöpfungen des um unser
Kunstgewerbe so hoch verdienten Müncheners N. Seitz
ist auch nichts anderes, nämlich zwei zur silbernen
Hochzeit gespendete Becher in der Form zweier Hände,
die innig verschlungen in einander ruhen.
L
Dre Internationale Kunstausstellung,
von Fritz Stahl.
Deutschland.
II.
on den Weimaranern treten nur äußerst
Wenige hervor. Alt-Weimar ist beinahe noch
rückständiger als Alt-Düsseldorf und Alt-
Dresden: die Luft scheint einer frischen und kräftigen
Kunst wenig zuträglich zu sein. Was ist da z. B.
aus dem urwüchsigen, fast derben Frithjof Smith
geworden?! Seine Familiengruppe ist mit dem Ge-
schmack des Photographen gestellt und in dünner
trockner Farbe ängstlich gemalt. Eine rechte Freude
hat man dagegen an den Bildern eines bisher ganz
Unbekannten, des Landschafters Fritz Brändel. Sie
weichen so von Allem ab, was sonst hier gegeben
wird, daß man daran zweifeln muß, ob der Künstler
in Weimar geworden ist. Am ehesten ist seine Art
mit der des großen Stuttgarters Otto Neiniger zu
vergleichen. Wie jener geht er darauf aus, den
großeu Eindruck zu geben; frei und wuchtig setzt er
das Wichtige hin, mit solcher Sicherheit, daß er trotz
des fehlenden Details überzeugt. Nur ist er technisch
gewandter und leichter und auch in der Farbe bei
allem Ernst nicht so trüb wie Neiniger. Die zwei
schönsten seiner Bilder zeigen das Hochwasser im
Frühling. Die zernichtende Kraft des Elements ist
packend geschildert, und ebenso, wie ss von dem
mattblauen wolkigen Lenzeshimmel eine gleißnerische
Schönheit borgt. Dieser neu Entdeckte gehört zu den
bedeutendsten Meistern auf seinem Gebiet. Sehr reiz-
voll sind diezarten, duftigen Landschaften von Theo-
dor Hagen, der mit den verfeinerten Ausdrucks-
mitteln der modernen Kunst die Poesie der wogenden
Felder zu schildern unternimmt. Man kann seinen
Bildern aus Thüringen in ihren farbigen Finessen,
namentlich in den unbeschreiblichen, weil nicht be-
nennbaren Zwischentönen, besonders gerecht werden,
wenn man eben aus einer ähnlichen Landschaft
kommt. Zn mehr skizzenhafter, nur auf das Farben-
problem ausgehender Art giebt ähnliche Motive
L. von Gleichen-Nußwurm. Solche Anregungen,
die eigenthümlichen Neize der unmittelbar umgeben-
den Natur zu schildern, sollten doch mindestens auf
die jüngeren Künstler wirken: man sucht aber in den
Sälen Weimars vergebens nach den Spuren dieser
Wirkung. Zn Oskar Michaelis lernen wir einen
Bildnißmaler von großen Gaben kennen: er erfaßt
seine Modelle ungemein scharf, er weiß nicht nur die
Züge, sondern auch die Nuancen in Haar und Haut
fein zu geben, nur der Neiz der Farbe fehlt ihm eiu
wenig. Otto Fröhlich's „Froschkonzert" ergötzt
durch seinen grotesken Humor, der au Böcklin ge-
mahnt, und dem der flotte Bortrag entspricht.
Daß München nach keiner Seite hin gut ver-
treten ist, habe ich schon im Eingang bemerkt. Ge-
wiß : man sah solche oder sogar diese Sachen in:
Glaspalast, aber es waren die, die man nicht ansah
und die man neben viel besseren und interessanteren
nicht anzusehen brauchte. Da giebt es Historien und
Novellen, daß Gott erbarm'! Besonders das senti-
mentale Genre spielt noch eine große Nolle, in un-
serer Kollektion ist es beinahe mit einem halben
Dutzend großer Bilder vertreten. Das größte und
geschmackloseste darunter ist des unendlich überschätzten
Walther Firle „Genesung": in Ueberlebensgröße
und Freilicht ist dies an sich wenig angenehme Genre
vollends unerträglich. Und ebenso unerträglich ist
eine Sorte pseudomoderner Zdealmalerei, wie sie das
Bild „Am Grabe" von Theo Schmuz-Baudis
vertritt: keine Gedanken und keine Schönheit in Form
und Farbe, so schlimm haben es selbst die schlimmsten
Alten nicht gemacht.
Lenbach hat seine „Schlangenkönigin" geschickt,
die zu dem Allerersten der Ausstellung gehört. Man
hat seit ein paar Zähren in München begonnen, an
Lenbach, der nicht zur Sezession wollte, herumzu-
mäkeln, ja, man hatte sogar ein übrigens sehr be-
gabtes Mitglied als „neuen Lenbach" ihm zur Seite
oder gar über ihn gestellt. Zch finde es begreiflich,
daß inan vor manchen flüchtigen Arbeiten, die des
Meisters nicht würdig sind, wie hier das Porträt des
Frl. F., ungeduldig wird, aber vor jeder ganzen
-Die Kunst-Halle.
Nr. 22
giebt gothische Becher, die auf Pfeilern ruhen und
auf dein Deckel eine ganze Burg tragen; ja, ein
äußerst originelles Stück im South Kensington Museum
in London ist sogar mit Fenstern versehen, die — eine
große Seltenheit — mit sogen, emml ü jour, d. h.
mit farbigem Schmelzglase, gefüllt sind. Am weitesten
geht die architektonische Ausbildung bei den Trink-
hörnern, die in einzelnen Fällen durch ganze Fialen-
thürme gestützt werden oder auf der Abbildung eines
mittelalterlichen Burggebäudes ruhen. Das haben
neuerdings die Münchener mit Erfolg nachgeahmt,
und es ist als ein Zeichen des mehr und mehr er-
starkenden künstlerischen Selbstgefühls unserer Zeit mit
Freuden zu begrüßen, daß man nicht nur nachahmend,
sondern auch selbstständig Phantasie-Gefäße in
neuen, originellen Formen wieder zu fertigen beginnt.
Der bekannte Becher in Form eines Kibitzeies mit
Kibitzkopf und -füßen, den Fürst Bismarck den Ge-
treuen in Zever verehrte, ist ein Phantasie - Gefäß.
Und eine der jüngsten Schöpfungen des um unser
Kunstgewerbe so hoch verdienten Müncheners N. Seitz
ist auch nichts anderes, nämlich zwei zur silbernen
Hochzeit gespendete Becher in der Form zweier Hände,
die innig verschlungen in einander ruhen.
L
Dre Internationale Kunstausstellung,
von Fritz Stahl.
Deutschland.
II.
on den Weimaranern treten nur äußerst
Wenige hervor. Alt-Weimar ist beinahe noch
rückständiger als Alt-Düsseldorf und Alt-
Dresden: die Luft scheint einer frischen und kräftigen
Kunst wenig zuträglich zu sein. Was ist da z. B.
aus dem urwüchsigen, fast derben Frithjof Smith
geworden?! Seine Familiengruppe ist mit dem Ge-
schmack des Photographen gestellt und in dünner
trockner Farbe ängstlich gemalt. Eine rechte Freude
hat man dagegen an den Bildern eines bisher ganz
Unbekannten, des Landschafters Fritz Brändel. Sie
weichen so von Allem ab, was sonst hier gegeben
wird, daß man daran zweifeln muß, ob der Künstler
in Weimar geworden ist. Am ehesten ist seine Art
mit der des großen Stuttgarters Otto Neiniger zu
vergleichen. Wie jener geht er darauf aus, den
großeu Eindruck zu geben; frei und wuchtig setzt er
das Wichtige hin, mit solcher Sicherheit, daß er trotz
des fehlenden Details überzeugt. Nur ist er technisch
gewandter und leichter und auch in der Farbe bei
allem Ernst nicht so trüb wie Neiniger. Die zwei
schönsten seiner Bilder zeigen das Hochwasser im
Frühling. Die zernichtende Kraft des Elements ist
packend geschildert, und ebenso, wie ss von dem
mattblauen wolkigen Lenzeshimmel eine gleißnerische
Schönheit borgt. Dieser neu Entdeckte gehört zu den
bedeutendsten Meistern auf seinem Gebiet. Sehr reiz-
voll sind diezarten, duftigen Landschaften von Theo-
dor Hagen, der mit den verfeinerten Ausdrucks-
mitteln der modernen Kunst die Poesie der wogenden
Felder zu schildern unternimmt. Man kann seinen
Bildern aus Thüringen in ihren farbigen Finessen,
namentlich in den unbeschreiblichen, weil nicht be-
nennbaren Zwischentönen, besonders gerecht werden,
wenn man eben aus einer ähnlichen Landschaft
kommt. Zn mehr skizzenhafter, nur auf das Farben-
problem ausgehender Art giebt ähnliche Motive
L. von Gleichen-Nußwurm. Solche Anregungen,
die eigenthümlichen Neize der unmittelbar umgeben-
den Natur zu schildern, sollten doch mindestens auf
die jüngeren Künstler wirken: man sucht aber in den
Sälen Weimars vergebens nach den Spuren dieser
Wirkung. Zn Oskar Michaelis lernen wir einen
Bildnißmaler von großen Gaben kennen: er erfaßt
seine Modelle ungemein scharf, er weiß nicht nur die
Züge, sondern auch die Nuancen in Haar und Haut
fein zu geben, nur der Neiz der Farbe fehlt ihm eiu
wenig. Otto Fröhlich's „Froschkonzert" ergötzt
durch seinen grotesken Humor, der au Böcklin ge-
mahnt, und dem der flotte Bortrag entspricht.
Daß München nach keiner Seite hin gut ver-
treten ist, habe ich schon im Eingang bemerkt. Ge-
wiß : man sah solche oder sogar diese Sachen in:
Glaspalast, aber es waren die, die man nicht ansah
und die man neben viel besseren und interessanteren
nicht anzusehen brauchte. Da giebt es Historien und
Novellen, daß Gott erbarm'! Besonders das senti-
mentale Genre spielt noch eine große Nolle, in un-
serer Kollektion ist es beinahe mit einem halben
Dutzend großer Bilder vertreten. Das größte und
geschmackloseste darunter ist des unendlich überschätzten
Walther Firle „Genesung": in Ueberlebensgröße
und Freilicht ist dies an sich wenig angenehme Genre
vollends unerträglich. Und ebenso unerträglich ist
eine Sorte pseudomoderner Zdealmalerei, wie sie das
Bild „Am Grabe" von Theo Schmuz-Baudis
vertritt: keine Gedanken und keine Schönheit in Form
und Farbe, so schlimm haben es selbst die schlimmsten
Alten nicht gemacht.
Lenbach hat seine „Schlangenkönigin" geschickt,
die zu dem Allerersten der Ausstellung gehört. Man
hat seit ein paar Zähren in München begonnen, an
Lenbach, der nicht zur Sezession wollte, herumzu-
mäkeln, ja, man hatte sogar ein übrigens sehr be-
gabtes Mitglied als „neuen Lenbach" ihm zur Seite
oder gar über ihn gestellt. Zch finde es begreiflich,
daß inan vor manchen flüchtigen Arbeiten, die des
Meisters nicht würdig sind, wie hier das Porträt des
Frl. F., ungeduldig wird, aber vor jeder ganzen