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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 18
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Dworaczek, Wilhelm; Tilgner, Viktor Oskar [Honoree]: Viktor Tilgner
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Nr. f8

Die Kunst-Palle. g»-«

275

Viktor Tilgner,
von Paul Wilhelm, Wien.
der Großmeister der Wiener Plastik ist in
Viktor Tilgner gestorben. Wieder trauert
die Künstlerschaft um einen ihrer herrlichsten
Söhne. Und nicht am Ende seiner Künstlerlaufbahn
ist er gestorben — nein, noch lange, ehe er seinen
Zenith überschritten, in der Vollkraft des Schaffens,
auf der pöhe des Könnens — jäh, unerwartet, wenige
Tage, bevor von seinem Meisterwerk, in dem er selbst
den Gipfelpunkt seines bisherigen Schaffens erblickte,
die pülle sank. Die Feder, welche sich rüstete, Ihnen
mit voller Lobesfreude über dieses Werk zu berichten,
ist nun berufen, dem Hingeschiedenen Freunde den
Nekrolog zu schreiben. Gewinnt da nicht auch das
Lob und die Begeisterung einen herben Beigeschmack
— vermag der Kritiker angesichts des offenen Grabes
eines echten Künstlers seinem Wirken mit kritischem
Auge gerecht zu werden? Ve wortuis uil nisl bene.
Lin Gesammtbild seiner Vorzüge möge der Mitwelt
überliefert sein, die Fehler und Nachtheile, deren ja
keine Künstlernatur entbehrt, weiß die Nachwelt schon
mit ihrem klareren, schärferen und nicht von Thränen
getrübten Auge herauszufinden.
Viktor Tilgner ist am 25. Oktober f8^ als
Sohn eines Pauptmanns zu Preßburg geboren.
Seinem Schaffen und wirken und der Ligenart seines
Wesens nach war er jedoch ein echter Wiener. In
keinem anderen Künstler hat die Lebensfreudigkeit, die
leichte, heitere Grazie des wienerischen Styls — im
besten Sinne des Wortes — einen so glänzenden Ver-
treter gefunden, als in ihm. Und jene sprudelnde
Lebenslust, jene sonnige Art des Empfindens bedeutete
auch den Pöhepunkt seiner Leistungen. Da konnte er
mit jedem konkurriren und doch im Vorhinein des
Sieges gewiß sein. Selbst der konzeptionsgewaltigere
Weyr vermochte ihn hierin nicht vom Platze zu
drängen. Der stete Wettkampf dieser beiden Meister
zog sich durch Jahre hin, und stets kämpften sie um
den Vorrang in der Wiener Plastik, einer nur den
anderen fürchtend, nachdem sie alle anderen Mit-
strebenden durch den neuen, großen, modernen Zug
ihrer Kunst bereits lange überflügelt hatten. Aber
Keiner vermochte sich jemals eines vollen Triumphes
über den anderen zu erfreuen, Patte doch jeder sein
eigenes Gebiet, auf dem er als unbestrittener Sou-
verän wirken und schaffen konnte. Tilgner —- das
Porträt, Weyr — das Relief. Wo sie aber auf
anderen Gebieten, gleichsam auf neutralem Boden,
sich trafen, da gab es manchen großartigen Wett-
kampf, so den ersten mit den beiden Entwürfen für
die monumentale Ausschmückung des Pochstrahl-
brunnens am Schwarzenberg-Platz. Welches von
beiden Projekten vor dem anderen den absoluten

Vorzug verdiene, ist wohl heute noch nicht entschieden.
Ist Weyr der kräftigere, markigere, so war Tilgner
der freudigere, graziösere. Wohl besaß Tilgner auch
Ernst, und der schwermüthige Formenzauber seiner
Frauengestalten auf einzelnen seiner Grabmäler (Op-
polzer, Gräfin Liebig-Radetzky, Graf O'Sullivan mit
der Gestalt Tharlotte Wolters) ist hinlänglich Beweis
dafür, aber es sind steingewordene Elegien, für die
erschütternde Tragik der Verzweiflung fehlte seiner
lichtfrohen Künstlernatur der letzte Ausdruck. Darum
sind jene aber doch im Unrechte, welche ihn deshalb
geringerer Vertiefung beschuldigen, er hat aus Lebens-
lust und Daseinsfreude mehr herausgeholt, als mancher
andere aus der Tragik des Weltschmerzes. Er war
eben nicht nur ein liebenswürdiger, sondern ein be-
deutender Künstler, und mehr als eines seiner Werke
zeugt von jener fessellosen Kraft des Genies, welche
aus der ihr ureigensten Sphäre heraus mit Glück
und Kühnheit in andere Gebiete hinübergreift, ohne
an künstlerischer Treffsicherheit und Ursprünglichkeit
einzubüßen.
Der Gipfelpunkt von Tilgner's Meisterschaft lag
aber, wie schon oben erwähnt, im Porträt, das er
souverän beherrschte, und in welchem er wohl auf
dem Kontinente llor8 eonoours dastehen dürfte. Sein
Verdienst war die kühne Renaissance des Barockstils.
Bei Bauer hatte Tilgner an der Akademie in Wien
studirt, und die akademische Form mit ihrer trivialen
Unpersönlichkeit hielt ihn in ihrem Banne. Erst als
er die Büsten des französischen Meisters Gustave
Dvloye kennen lernte, da ging ihn: die Ahnung
jener freieren Lebenskraft auf, die dann in seinen
eigenen Porträtbüsten so überwältigenden Ausdruck
sand. Er wußte Menschen in bestimmten Momenten
zu erfassen, in jenen Augenblicken, da die einzelnen
Eigenarten ihrer Individualitäten in einem harmoni-
schen Gesammtbilde physiognomisch ausgeprägt er-
schienen. So haben alle seine Büsten ein überraschen-
des „von innen heraus" und weil ihre Züge den
todten Stein beleben mußten, tragen sie alle jene
höhere Lebenskraft, jenes plu8 von Tharakterisirung,
ohne welches die porträtähnlichste Büste lebloser
Marmor bleibt. Darin lag das Geheimniß, das kein
zweiter zu lösen vermochte — man sah wohl, worin
die Wirkung lag, aber nicht, wie er dazu kam. Und
das hat Tilgner mit sich in's Grab genommen, denn
keiner seiner Schüler, selbst der hochbegabte Arthur-
Strasser, ist im Porträt zu seinem Nachfolger ge-
worden.
So war denn Tilgner bald der gesuchteste Por-
trätist in Wien und selbst weit über die Grenzen
Oesterreichs hinaus und die Züge manches bedeutenden
Künstlers sind durch seinen Meißel der Nachwelt über-
liefert worden: Man denke an die Büste der Wolter
(welche zuerst seinen Ruf begründete), dann an Makart,
Brahms, preyer, Bruckner u. v. A. Seine letzte Büste
ist eben im Künstlerhause, neben einem Werke Döloye's,
 
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