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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 22
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Imhof, Franz: Sezession im Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0388

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338

Die Kunst-Halle.

Nr. 22

Die Leute hätten sich vielleicht nicht in diese An-
schaunng so sehr verbohrt, wenn unsere Theoretiker
nicht so überzeugend davon gesprochen hätten. Julins
Lessing hielt damals ja gedankenreiche Vorträge über
die deutsche Renaissance und über „Unserer Väter
Werke". Also mußte man daran glauben, wollte
man nicht als ein Altmodischer oder gar als Ketzer
erscheinen. Und wer anders nrtheilte, konnte sich da-
mals in den: edlen Kreis jener Herren nicht be-
wegen, der fühlte sich überall, wo sie verkehrten,
gradezu moralisch hinausgeschmissen. Das ist nun
allmälich anders geworden, aber besser ganz gewiß
nicht. Die gelehrten Herren berücksichtigen zn wenig
den Handwerker, mit dem sie zu thun haben. Weil
sie selbst sich leicht im Geiste mit jeglicher Stilfrage
und Stilphase abfinden können, glauben sie, daß dies
die Praktiker auch leicht können oder müssen. Sie
vergessen, daß die mühsame kunsthandwerkliche Arbeit
den Mann schwerfällig macht. Er arbeitet sich lang-
sam in einen bestimmten Kreis von Formenideen
hinein, und kann auf Kommando nicht so schnell
heraus, wie manche Doktrinäre des Faches zu glaubeu
scheinen. Rian berücksichtige doch auch etwas die
deutsche Natur, die mit eiuer gewissen Zärtlichkeit
an dem festhält, was sie sich einmal mühsam er-
rungen hat.
Begreiflich ist daher das Bedenken, das ein in
Reichenberg im verflossenen März gehaltener Vortrag
von Herrn Geheimrath Prof. Lessing über „Das
moderne Haus", in den Kreisen der dortigen Kunst-
handwerker erregt hat. Julius Lessing ist bekanntlich
nach und nach glücklich über Japan nnd Indien,
nach England und den Vnikeä 8tuk68 ok ^merlou ge-
langt; es hat dies seinem Denkerhaupte weiter
keiue Schwierigkeiten bereitet. Ebenso begreiflich ist
es wohl auch, daß der Herr Professor eineu großen
mächtigen Anhang besitzt. Man gehe nnr durch die
Ateliers unserer Möbelfirmen und man wird dort
überwiegend englisches Mahagoni- oder grünes Möbel
sehen. Das englische Empire hat heute, beinahe läßt
sich das behaupten, die Stelle der deutschen Renais-
sance eingenommen; man lobt mit Recht seine Ein-
fachheit, Zweckmäßigkeit und vornehme Schönheit.
Aber man thut zugleich so, als biete das englische
oder amerikanische Möbel die allein mögliche
Lösung für Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Schön-
heit. Und das ist falsch, denn jene Vorzüge tragen
einen fremdnationalen Tharakter. Oder gedenkt unser
heimisches Kunstgewerbe etwa mit seinen jüngsten
imitirten Erzeugnissen gar in England selbst oder wieder
in Amerika die Konkurrenz mit den: Ausland aufzu-
nehmen? Wir würden dort für unsern Mangel an
nationaler Selbstständigkeit doch nur ausgelacht werden.
Auf das in der „Reichenbg. Ztg." abgedruckte
Bedeuten einer Anzahl von Kunsthandwerkern, denen
das Herausstreichen zumal der amerikanischen Zimmer-
ausstattungen Schmerzen bereitete, antwortete Lessing

alsbald in einem Schreiben an den Redakteur des
dortigeu Museumsorgans l)r. pazaurek, das offenbar
für die Oeffentlichkeit bestimmt ist und aus dem wir
hier einen Abschnitt mittheilen wollen:
„Was ich und meine Gesinnungsgenossen fordern,
ist einfach, daß man die alten herrlichen Vorbilder
mcht kritiklos kopiren soll. Wir erklären, daß unsere
Zeit ein Recht hat auf selbstständige Formenbildung
nach ihren besonderen Lebensbedingungen und daß
diese modernen Anforderungen in den: gipfeln, was
wir eine gesundheitsgeinäße Wohnung nennen: daß
dagegen das als „Vorbild" angepriesene Haus des
Mittelalters und der Renaissance diesen Anforderungen
nicht entspricht.
Waren nnn die letzten 20— 30 Jahre deutscher
Kunstentwickelung, die immer auf die „alten Vor-
bilder" Hinsteuern, eine Verirrung oder auch nur eine
Hemmung? Durchaus nicht! Ich habe darauf hin-
gewiesen, daß auch bei uns, trotz scheinbarer historisch
getreuer Nachahmung, die hygienische Umbildung
des Hauses mit zwingender Naturgewalt vorange-
schritten ist.
Ich zeigte dann, wie dieser Prozeß viel entschie-
dener sich in England vollzieht und am allerschnellsten
in Amerika, wo man sich nm keine Ueberlieferung
zu kümmern hat. Daß wir von den dortigen Ein-
richtungen vieles lernen können und müssen, ist ebenso
zweifellos, als daß wir Lokomotiven und Telephon
von dorther übernahmen.
Aber sollen wir nun einfach das amerikanische
Muster übernehmen, wie die Herren fürchten?
Durchaus nicht. Ich habe an einem Beispiel — es
handelte sich um den Schreibstuhl — betout, daß
jede äußerliche Nachahmung unmöglich ist, ich habe
aber vor Allem betont — und dies scheint den
Herren entfallen zn sein —, daß wir ein schweres
Unrecht beginnen, wenn wir den Schatz alter Kultur,
das Erbtheil unseres Volkes, wie es in den Kirchen,
den Schlössern, den Museen angehäuft ist, gering
anschlügen.
Gerade wenn man jetzt mit Hellem Auge daran
geht, neue lebensfähige Formen zu schaffen, bekommen
diese Schätze einen doppelten Werth. Solange man
sich damit begnügte, diese sogenannten Vorbilder
lediglich zu kopireu, waren die Vorbilder schnell auf-
gebraucht, und die gedankenlose Routine haschte immer
nach anderen Stilproben ans allen möglichen Zeiten,
um etwas scheinbar Neues zu bringen, ohne den
eigenen Geist anzustrengen.
Einem solchen Musterraub kann kein Museum
Genüge leisten; inan beschied sich leider oft genug,
Mittelgut anzuhäufen, nm nur ja recht Vieles zu
briugeu, was „direkt benutzbar" sei. Sobald Misere
Kunst dieser Gedankenlosigkeit entsagt, und selbst zu
schaffen beginnt, rücken die Schätze der Museen auf
eine viel höhere Stufe. Dann sind sie uns historische
Belegstücke dafür, wie eine bestimmte Zeit ihre be-
 
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