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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 4
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Zimmern, Helen: Hubert Herkomer
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0067

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Nr. F Die Kunst-Dalle.

natürlich den Dauptgegenstand der Unterhaltung. Und
so kam es, daß ich ihn bat, mir seine Ansichten über
die Aufgaben der dekorativen Kunst mitzutheilen, von
denen ich mir einige zu notiren wünschte, wußte ich
doch, daß seine Meinung hierüber in vieler lhinsicht
eine andere ist, als die, welche man zumeist äußern
hört.
„Ei, du lieber Gott," meinte er, „da geben Sie
nur ja ein umfangreiches Thema. Tage lang könnte
ich reden, und Bände würden Sie vollschreiben
müssen, wenn Sie meine Ideen darüber zu Papier
bringen wollten."
Als ich ihn schleunigst in dieser Einsicht beruhigt
hatte, forderte er mich auf, in sein Atelier zu kommen,
wo der hohe Gerichtsherr, den er grade male, auch
einmal den Zuhörer bei einem Kreuzverhör abgeben
könne.
„Dor allen Dingen —" begann bserkomer, flink
und geräuschlos mit seinen pinseln hantirend, „ein
bsaus muß eben ein bseim sein." Und mit dieser
Einleitung traf er gleich den Kernpunkt seiner Be-
trachtungen über bsäuserbau und Wohnungseinrich-
tung, den er stets mit einer pietätvollen Innigkeit,
fast wie eine religiöse Ueberzeugung betont. Dieses
Gefühl, welches bei ihm in seinen: deutschen Blute
liegen mag, hat ihn: auch offenbar den in seinen:
Atelier angebrachten Spruch diktirt: „In: krause
liegt das Glück." Und dasselbe deutsche Motto
sollte grade zur Zeit meines Besuches in die riesige
Kupferplatte gravirt werden, welche die Eingangs-
thür seines bfauses bildet.
„Ja, und damit ein bsaus ein bseim sei, muß es
den Charakter Dessen, der es bewohnt, zu erkennen
geben, es muß darin, womöglich in jeder Linie, die
Persönlichkeit des Besitzers ausgeprägt sein."
„Das wird freilich noch lange ein frommer
Wunsch bleiben," fügte er lächelnd hinzu, „aber ich
sehe dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft. Noch ist
ein wirklich edler Dekorationsstyl etwas Seltenes, viel
seltener als in der Malerei, und zu lehre:: ist er viel
schwieriger, als das Malen. Das, was den Kunst-
techniker zum Künstler macht, kann nacht in einer
großen Schule gelehrt werden, etwa nach dem
System des South-Kensington-Instituts. Das Kunst-
gewerbe will in der Werkstatt gelernt sein. Die
Schulen in Werkstätten umzuwandeln, würde nichts
helfen, was ich tadle, ist das Klassensystem, wer
das Kunstgewerbe lernen will, muß in die Lehre
gehen. Wären unsere Künstler dieses Fachgebietes
richtig ausgebildet, so wie ich es meine, so würden
wir einen verfall des Kunsthandwerks nicht erlebt
haben."
„Viele machen die Maschinen für diesen Verfall
verantwortlich. Sie freilich, bserr Professor — Sie
wären der Letzte, der dies thäte."
„Ganz recht. Sie wissen, ich schätze die Maschinen
überaus hoch und bin überzeugt, daß sie uns in Zukunft

noch viel mehr als jetzt schon von Nutzen sein werden.
Sehen Sie hier dieses kleine Instrument, die kürzlich
xatentirte Erfindung eines armen Mannes. Es ist eine
höhere Art Kaleidoskop. Das kleine Ding zeichnet Ihnen
in einer Stunde mehr Ornamente, als das mensch-
liche Gehirn in einen: Jahrhundert ersinnen könnte,
warum sollte man den Apparat nicht anwenden, um
sich Zeit und Arbeit zu ersparen? In bloßer Arbeit
steckt nichts Verdienstliches."
Er legte Palette und pinsel nieder, warf etwas
Kupferdraht, einige Gold- und Silberfäden und ein
paar Blumenblätter unter den Apparat und zeigte
uns, welche mannigfaltigen herrlichen Zeichnungen
sich daraus ergaben.
„Diese Maschine stilisirt nämlich sofort jede
Blume und jedes Blatt, und ich glaube, daß solche
mechanischen bsilfsnüttel mehr und mehr in Gebrauch
kommen werden. Die Seele, der leitende Gedanke,
das künstlerische Urtheil — das bleibt immer noch
des Künstlers Theil. Ich setze auch Vertrauen in das
Publikum. Ich zweifle nicht an feiner Fähigkeit,
Arbeiten von Meisterhand richtig zu würdigen. Ich
glaube auch, es ist noch nie eine aussichtsvollere
Periode für das Kunstgewerbe da gewesen, wir
haben ja noch die alten Traditionen. Die Photo-
graphie versorgt uns bequem mit allen denkbaren
mustergiltigen Werken der Vergangenheit, und die
Maschinen endlich kommen der Lsand des Künstlers zu
bsilfe. Sie sehen in nur nicht nur einen gelegentlichen
Liebhaber der Maschinen, die Arbeit ersparen; ich
kaufe sogar Zilles Brauchbare. Ich begreife nicht,
warum solche Mittel, durch die der Künstler seine
Ideen schneller zum Ausdruck bringen kann, ihm
nicht willkommen sein sollten? Denn ich bleibe da-
bei — bloße Arbeit an sich ist kein Verdienst."
„Ist es wahr," fragte ich, „daß Ruskin es ab-
lehnte, Ihr bsaus zu besichtigen, weil Sie Maschinen,
,diese Erfindungen des Teufelsh angewandt haben?"
„Ja, das ist wahr. Er beharrt bei seiner An-
schauung — es sei keine Kunst, eine Säge durch ein
Stück b^olz zu führen. Er macht eben leider die
Maschinen für jeden Mißbrauch, der mit ihnen heut
zu Tage leider getrieben wird, verantwortlich. Und
um auf die Zukunft unseres modernen Kunstgewerbes
zurückzukommen, darf ich wiederholt versichern, daß
dieses noch niemals mit so günstigen Umständen zu
thun hatte. Da ist erstens die überreiche Auswahl an
schönem Material; sodann haben wir die Chemie, die
Maschinenlehre und die Metallurgie, die den: Kunst-
techniker jetzt zauberische Wirkungen ermöglichen, von
denen sich die alten Meister gewiß nichts träumen
ließen. In der That, der moderne Dekorateur kann
— wenn er nur wollte — zum Zauberer werden.
Aber einen solchen Zauberer vermögen nicht etwa
die Schulen hervorzubringen. Die Künstler können
Schulen des Kunstgewerbes schaffen, aber die Schulen
keine Künstler. Das ist's, was ich meinen bsörern
 
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