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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 9
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Stahl, Fritz: Die Ausstellung im Atelier
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0157

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Nr. 9

—Die K u n st - H a l l e. g>-°-

Maßstab mehr. Der unbefangene Beschauer wird
dem Künstler an: besten zeigen, wo es seinem Werke
fehlt, was an ihm wirkt und was nicht. Heute
wälzt der Künstler die Schuld, weun er uicht ver-
stauden wird, auf das publik:::::. Ls läßt sich so
herrlich auf dies Neutrum schimpfen. Er macht sich
nicht klar, daß zu dieser Masse auch verständige, fein-
fühlige Menschen gehören, Menschen, deren Urtheil
er schätzt. Wenn er diese Menschen in Fleisch und
Blut vor sich hat, sie ihr Urtheil, ihre Empsiuduug
begründen hört, wird er nicht wenigstens zu zweifelu
beginueu, ob die Schuld au ihren: Unverstand liegt,
ob nicht an seinen: Mangel an Kraft?
Und noch eins. In den großen Ausstellungen
sind fast immer die ersten Meister vertreten. Der
Künstler wird nicht gefragt, er mag noch so be-
scheiden von seinen: Werke denken, für die Oeffent-
lichkeit scheint er immer mit jenen den Wettstreit zu
wageu. Wer mag sich bei einen: noch so talent-
vollen Phantasten T. aufhalten, wenn in: Saal da-
neben er bei Böcklin verweilen kann? Der vergleich
ist unvermeidlich, er liegt in: Wesei: der Institution.
Bei sich und für sich kann auch der bescheidenste An-
fänger Interesse erregen. Der Vergleich ist, außer
für dei: vereidigten Bilderbeschauer, fast aus-
geschlosseu.
Nur zu erwähne::, nicht zu beweise:: ist, daß das
Arbeiten auf die Seusation hin aufhören würde,
weil es durchaus zwecklos wäre. Selbst der Unter-
schied zwischen der Arbeit für sich und der Arbeit
für die Ausstellung würde aufhören.
Damit kommen wir zu deu mehr äußerlichen
Vortheilen des vorgeschlagenen Verfahrens.
Man hat im Großen und Ganzen völlig falsche
Anschauungen davon, was den Künstler veranlaßt,
so viel Werth darauf zu legen, daß seine Werke in
die Ausstellung kommen. Ls ist wahrhastig nicht
sein freier Wille, sondern der bitterste Zwang. Die
Anklagen gegen die Jury würden weniger scharf
sein, wenn es sich dabei nur um die Erfüllung des
Lhrgeizes handelte. Ls sind wirthschaftliche Fragen
im Spiel, und der Spruch der Jury entscheidet oft
über Sein und Nichtsein. An: schroffsten tritt das in
der Bildnißmalerei hervor, deren durchschnittliche
Leistungen eigentlich am allerwenigsten in die Oeffent-
lichkcit gehören. Aber es ist fast schon stillschweigende
Uebereinkunft, daß der Besteller das Bild nur ab-
nimmt, wenn es in die Ausstellung gelangt. Ja
mehr, der Porträtist, der zurückgewiesen ist, wird in
der nächsten Zeit auf neue Aufträge ruhig verzichte::
können. Aber auch soust wird der zurückgewiesene
Künstler, selbst der Künstler, der etwa ein paar Jahre
nichts geschickt hat, schwerlich ein Werk verkaufen.
Deshalb allein tragen die Armen geduldig die Opfer.
Deshalb allein sind unsere Ausstellungen überlastet.
Und alle Forderungen größerer Strenge in der Aus-

nahme sind grausam, siud aber zugleich hiufällig,
weil sie uicht mit diesen Verhältnissen rechnen.
Auch hier, scheiut nur, würde mein Vorschlag
Abhilfe schaffen. Wird es Sitte, daß Alle, auch die
Berühmte::, iu der Regel uur iu ihren: Atelier aus-
stellen, so wird man es auch den Anderen nicht mehr
verübeln. Der Eitelkeit der porträtirten wird auch
so ihr Recht, denn die Oeffentlichkeü wird ja, min-
destens in kurzen Notizen, von diesen Ausstellungen
Kenntniß nehmen. Die großen Ausstellungen werden
entlastet werden, ohne daß die Jury uöthig hat,
Existenzen zu verbuchten. Und dann: der Künstler
wird nicht mehr gezwungen sein, unter Umständen
Hals über Kopf ein liebevoll begonnenes Werk zu
eiuen: bestimmten Termin fertig zu stellen. Er wird
dann etwas zeigen, wenn er etwas fertig hat, sei es
aus freier Kouzeption, sei es in: Auftrage gearbeitet.
Er wird die großen Ausstellungen überhaupt nur
alle paar Jahre beschicke::, was ihm selbst ebeuso
zu Gute komme:: wird wie den Ausstellungen. Zeigen
diese doch mehr und mehr, wie müde eigentlich unsre
Künstler sind.
Was die wirthschaftliche Seite der Frage betrifft,
so habe ich zunächst die Erfahrung jüngerer Künstler
auf meiner Seite. Gerade von den talentvollen haben
Viele nur verkauft, wem: Jemand sie in: Atelier be-
suchte. Die Ausstellung zwingt den Künstler die
Preise ziemlich hoch zu stelle::. Ein gewisser Galgen-
humor, den Gedanken, den ich oft auch laut werde::
hörte: „koofen thut's doch Keener!" treibt sie sogar
weiter als nöthig wäre. In: persönlichen Verkehr
hört das auf. Einen: Menschen, der Freude an
seinen: Werk hat, wird der Künstler es gern zu
mäßigem Preise hergeben. And wenn man gar von
den Aermsten reden will, die heute ihre Arbeit einen:
Auktionshaus gebe:: müssen, für diese ist der geringste
Preis ein hoher. Das Schwitz-System der elendesten
Handwerker ist milde gegen ihr Schicksal. Sie er-
halten schlechtweg gar nichts für ihre Arbeit. Die
Auktion bringt nur das Geld für den Rahmen, den
sie den: Händler wieder mit Bildern bezahlen müssen.
Für sie wäre schon ein Netter, wer ihnen hundert,
ja, fünfzig Mark für ein Bild bezahlt. Und es ist
durchaus nicht gesagt, daß es die Unfähigsten sind.
Ich kenne manchen, den der Kamps um's trockne
Brod für die Seinen zu diesen: nicht für ihn schmach-
vollen Dienst treibt, in dem er natürlich unter-
gehen muß.
Ich biu überzeugt, Mauchen würde der Verkehr
in: Atelier zum Kaufe:: bringen, der heute gar uicht
darauf kommt, daß er es könnte. Man würde ein-
sehen, daß der Künstler nicht ein genialer Müßig-
gänger ist, sondern zu Deuen gehört, die an: schwer-
sten vielleicht den Kampf um's Dasein auszufechten
haben. Man würde eine Ahnung davon bekommen,
wie auch für deu ärgste:: Naturalisten, und für den
vielleicht an: meisten, eine ungeheure Summe von
 
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