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Die Kunst-Halle — 1.1895/​1896

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Nr. 11
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Zimmern, Helen: Bei Böcklin
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https://doi.org/10.11588/diglit.62512#0190

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Nr. U

Mugnone in seiner Nachbarschaft gewohnt hatte, wie
verhaßt Böcklin Atelierbesucher waren und wie barsch
er sein konnte, wobei ich freilich einschalten muß, daß
er dies mir gegeuüber nie war.
Auf mein Schellen kam alsbald ein Gärtner den
gewundenen Pfad entlang, welcher durch deu park-
ähnlichen Garten nach dem Hause fuhrt. So weit
mein spähendes Auge reichte, war Alles üppige süd-
liche Vegetation, Agaven, Bambus, Lorbeer, Rosen-
büsche, Stechpalmen, Gypressen, Oleander, nirgends
ein Zeichen des Winters, denn die wenigen kahlen
Bäume verschwanden im dichten Laub der immer-
grüuen Pflanzenwelt, die hie und da alte Skulpturen,
ein etruskisches Grabmal, einen mittelalterlichen Mutter-
Gottes-Schrein hervorschimmern ließ. Der Gärtner
begrüßte mich artig, doch nicht mit der überschwäng-
lichen Zuvorkommenheit der Italiener, vielmehr etwas
vorsichtig zaudernd. Da er erst den Schlüssel holen
mußte, um das Thor zu öffnen, hatte ich hinlänglich
Zeit, die wunderschöne und gegen jede rauhe Luft-
strömuug geschützte Lage der Villa zu bewundern —
ein wahres Eden mit der herrlichsten Fernsicht über
Florenz und das fruchtbare Arno-Thal bis zu deu
Hügelketten vou pistoja und Larrara, den Abhängen
von San Miniato und Bellosguardo. Endlich war
der Schlüssel da, das Thor offen, und der mit Nosen-
und Oleanderbüschen umhegte Weg für mich frei,
bis ich an ein zweites Thor gelangte — ein offenes
zwar, doch von zwei grimmig blaffenden Kettenhunden
behütet, zwischen denen ich mich furchtsam hindurch-
wand. Jetzt endlich stand ich vor den: viereckig an-
gelegten Hause, einer echt italienischen Villa mit einer
Steinterrasse. Noch gerieth ich freilich beim Suchen
nach dem Eingang in verschiedene Wirthschaftsräume
des Hauses, bis mich ein freundliches Dienstmädchen
durch eiu kleines mit orientalischen Lampen und Or-
namenten geschmücktes Vorzimmer in einen saalartig
großen Raum führte, der so vou Sonnenlicht durch-
fluthet war, daß ich zuerst, davon geblendet, die In-
sassen gar nicht zu erkennen vermochte, Hier nun
wurde nur vou dem Ehepaar Böckliu eiu so herzlicher
Empfang zu Theil, daß alle meiue früheren Be-
fürchtungen sofort schwanden.
Böcklin hatte träumerisch sinnend an einen: der
Fenster das Antlitz den Oliven und Gypressen des
Gartens zugewendet, als ich eintrat. Nun erhob er sich,
um mich zu begrüßen, mit sichtlicher Anstrengung.
Seine Stimme klang etwas rauh und schwerfällig,
so daß ich, da mir sein Schweizer Deutsch ohnehin
stets schwer verständlich gewesen, mit gespannter Auf-
merksamkeit seinen Worten folgen mußte. Jetzt er-
innerte ich mich auch, daß er vor drei Jahren einen
Schlaganfall erlitten. Seit ich ihn zuletzt gesehen,
war er ohne Frage auffallend gealtert. Mn so erfreuter
war ich, als ich während unseres eifrigen Gesprächs
merkte, daß er noch ganz von den: alten Feuergeist
beseelt ist, daß uoch wie ehedem der Schalk ihn: zu-

weileu aus den Augen blitzt, deren Glanz noch der
alte ungetrübte ist. Als seine Gattin mir verschiedene
interessante Gegenstände zeigte, fielen nur beim Um-
blicken in den: mit hohen Bambuspflanzei:, Epheu
und sonstigen Blattgewächsen dekorirten Zimmer, dessen
architektonische und malerische Ausschmückung noch der
Vollendung durch den damit beschäftigten Sohn Böck-
lin's harrt, zwei Klaviere, eine Guitarre und eine
Mandoline auf.
„Unsere Söhne musiziren hier," erklärte Frau
Böckliu. „Das eine Klavier fanden wir in: Hause
vor," fügte ihr Gatte hinzu. „Möchten Sie es spielen
hören?" Und wirklich setzte sich der große Maler an
das Instrument und griff in die Klaviatur, um deu
Saiten die Klänge einer alten Melodie zu eutlocken.
In diesen: Zimmer hängen einige Skizzen, ein
schöner Paulus und ein prächtiges Selbstporträt Böck-
lin's; doch nicht das so häufig reproduzirte mit den:
Weinglas. Auf diesen: hier ist die Stellung eine
andere, würdevollere, und den Hintergrund giebt eine
Loggia nebst grünen: Laub und italienischem Himmel.
„Damals war mein Haar noch nicht weiß," sagte
Böcklin, mit der Hand durch seine ziemlich dichte
Mähne fahrend, die — wie unser Titelbild zeigt —
vor einiger Zeit dem Scheermesser zum Opfer ge-
falle,: war. . .
Bald gingen wir in das Atelier hinüber. Das
war ehemals ein Stallgebäude auf den: Hofe, welches
der junge Böcklin, der Architekt, für seinen Vater
umgewandelt hatte. Und es ist noch jetzt ein ein-
facher Raun:, ohne jeglichen modischen Firlefanz, die
schlichte Arbeitsstätte eines mit Ernst und Thatkraft
schaffenden Künstlers. Was ich hier sehen und be-
wundern durfte, bestärkte mich dariu, daß iu der
Kunst des Meisters keine Spur von einer Abnahme
seiner Kraft, die sein Aeußeres mir verkündigte, zu
erkenueu ist. Eher scheiut das Alter eiuen reifenden,
veredelnden Einfluß auf die Werke seines Genies aus-
geübt zu habeu.
Da wareu keine der Schrullen und Bizarrerien
in der Farbe oder Zeichnung, wie solche früher oft
zur Kritik herausgefordert. Die Jahre, welche eine
philosophische Lebensauffassung fördern, haben offen-
bar auch nach der künstlerischen Seite hin klärend und
mildernd bei ihn: eingewirkt.
Vier Gemälde sah ich hier im Werden begriffen,
deren eins fast schon vollendet war. Es ist dies eine
große Komposition — „Die Flucht des Ulysses vor
den Gyklopen". Ulysses und seine Leute suchen, mit
voller Kraft rudernd, den: Bereich des felsenumgürteten
Eilands zu entkommen, an dessen Strand die grünen
Wogen weißschäumend branden, während auf einer
von den: Meer umspülten abgeplatteten Klippe eine
groteske, plumpe männliche Figur, der geblendete
Polyphem, zum Wurf ausholend steht, in den
Händen die von ihn: abgebrochene große Berg-
kuppe. Das Bewegungsmotiv ist überall mit kraft-
 
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